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Randbemerkungen zur woche

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DIE ERKLÄRUNG DES KANZLERS ZUR ÖSTERREICHISCHEN WIRTSCHAFTSPOLITIK hat beniesen, daß die zuständigen Stellen die Absicht haben — nach einem allzu langen Zögern —, in das keineswegs so freie Spiel der „freien“ Kräfte des Marktes einzugreifen, um so mehr als der Markt-mechanismus nicht jene Harmonie herstellen kann, die stabile Preise und einen gesicherten Geldwert garantiert. Man denke an die mehr als unerfreulichen Holzgeschichten. Es ist nicht zu leugnen, daß Löhne und Preise in Bewegung sind, wenn auch nicht derart, wie es die Boulevardpresse darstellt. Ein weiteres Ansteigen der Preise und der Löhne mag für eine Gruppe den Charakter eines Augenblickserfolges haben, für die Volkswirtschaft sind wir an einein Preisplafond angelangt, der nicht mehr durchstoßen werden darf, soll nicht die Hochkonjunktur eine Episode in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte bleiben. Es ist unleugbar, daß wir Hochkonjunktur haben. Da uns derlei noch nie passiert ist, sind manche fassungslos, so wie etwa der Arbeitslose, der im Toto den Haupttreffer macht. Nun sind aber in der Hochkonjunktur, wie die klassischen Theorien über die Konjunkturbewegungen aussagen, die Ansätze zur Krise enthalten. Die nächste Kon-junkturphase müßte daher nach dem Lehrbuch die Krise sein. Fraglich ist nur, wann sie kommt. Im Dezember vorigen Jahres ist das Geldvolumen um das Zwölf fache angestiegen gegenüber 1953. Zuviel Geld läuft zuwenig Ware nach (wie ein Sozialist einmal gesagt hat). Alles Anzeichen, daß ein weiteres Steigen der Kaufkraft ohne entsprechende Vermehrung des Güteranbotes bedenklich ist. Die Auto-hysterie und die Werbung für das Abzahlungsgeschäft (also die Vorwegnahme künftiger Arbeitsleistungen) verstärken u. a. zusammen mit dem nicht durchweg positiv zu beurteilenden Autobahnprojekt jene Tendenzen, die zu einer Uebersteigerung der Konjunktur führen müssen. Daher war es notwendig, daß der Kanzler feststellte, man würde von oben her Maßnahmen ergreifen, welche die Entwicklung zwar nicht zur Umkehr bringen, aber verzögern. Das aber heißt: Wirtschaftslenkung. Wie notwendig diese Lenkung ist, zeigt sich in der Bauwirtschaft. Wenn Arbeitszeiten von 80 Stunden in der Hochsaison keineswegs die seltene Ausnahme sind, wenn die Unternehmer durch das Versprechen von Anzügen oder von ganzen Schweinen die Arbeitnehmer anlocken, dann ist offensichtlich, daß Fehler gemacht wurden. Nicht bei den Bauunternehmern und nicht bei den Bauarbeitern, sondern bei jenen, die ohne viel Systematik die Bauaufträge ohne Rücksicht auf den gewählten Zeitpunkt erteilt haben. Daß die Budgetpolitik mit dem Verfall von zum Jahresende nicht in Anspruch genommenen Krediten an diesen Tatsachen nicht unbeteiligt ist, ist bekannt. Wie immer man nun über die vom Kanzler angedeuteten Eingriffe des Staates denken mag, es ist jede Wirtschaftslenkung so lange und so weit gut, als sie die Wohlfahrt sichern und steigern hilft. Schließlich ist eine Nichtintervention, das Gewährenlassen der Machtgruppen, auch eine Form der Intervention. Was bis heute in Oesterreich erreicht wurde — das Erreichte ist gewaltig —, das wurde nicht allein von dieser Seite (Raab-Karnitz) und auch nicht allein von jener Seite erreicht (sicher nicht von der Opposition!), sondern durch das heroische Beisammenbleiben der beiden so verschieden etikettierten Partner. Man tut etwa dem fachlich ganz hervorragenden Finanzminister nichts Gutes, wenn man alles, was erreicht wurde, seiner Arbeit allein zuschreibt, ebenso wie sich die sozialistische Presse als durchaus volksfern erweist, wenn sie gerade da den Finanzminister bekämpft, wo er das Sozialprodukt und die Wohlfahrt der Massen sichert. Die Kanzlerrede war vor allem eine Warnung an die Spekulanten und an die Funktionäre der Interessenverbände und ein Bekenntnis zur „Wachsamkeit mitten im Aufschwung“.

DIE ENTSCHEIDUNG ÜBER DIE ERÖFFNUNGS--PREMIERE DES BURGTHEATERS ist gefallen. Wenn im Herbst der Vorhang im Haus am Luegerring das erstemal sich hebt, geht Grillparzers „K önig Ottokars Glück und Ende“ in Szene. Wir freuen uns über diesen Entschluß nicht nur deshalb, weit „Die Furche“ zu jenen gehörte, die für eine Burgtheatereröffnung mit Grillparzer plädierten. Es gibt noch einen anderen Grund zur Genugtuung. Die Freimütigkeit, mit der der Direktor des Burgtheaters von seinen ursprünglichen Plänen und dem entscheidenden Votum weiter, durchaus nicht einer bestimmten Partei oder Weltanschauung zuzurechnender Kreise sprach, das ihn veranlaßt hat, sein Vorhaben zu ändern. Der öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen, ist in einer Demokratie bekanntlich durchaus keine Schande. Im Gegenteil. Das Beispiel, das Direktor Rott gab, sollte auf die öffentlichen Verfechter anderer umstrittener Projekte — zum Beispiel die der neuen Rollbahn durch die Wachau — nicht ohne Eindruck bleiben. Aber zurück zur Eröffnungspremiere unseres Burgtheaters. Als ein ausgesprochen schlechter Verlierer erwies sich jener sozialistische Redakteur, der vor kurzem noch vergeblich versuchte, seine persönliche Meinung zu der seiner Partei zu machen. Die unqualifi-zierbaren Tiraden über den „Sieg der Reaktion“ richten, sich von selbst. Vor allem der Obmann der sozialistischen Journalisten und Schriftsteller, Professor Brunngraber, der wie eine Reihe anderer Sozialisten dem Grillparzer-Stück den Vorzug gab (ebenso wie auch Vertreter des „anderen Lagers“ bekanntlich für „Egmont“ plädierten) wird sich über diese neue politische Einstufung sicher nicht sehr freuen. *

DIE POLITISCHE KRISE IN UNGARN, die durch die am S. März bekanntgegebenen Beschlüsse des Zentralkomitees der Partei der Ungarischen Werktätigen ihren sichtbaren Höhepunkt erfahren hat, zeigt deutlich, zumal durch die außerordentliche Langsamkeit ihres Ablaufes, die in offensichtlichem Widerspruch zu dem raschen Abrollen der Geschehnisse um die Regierungsumbildung in Moskau im vergangenen Monat steht, wieviel schwieriger, komplizierter das Manövrieren in einem Land sein kann, dessen politischer Schwerpunkt sich eben weit außerhalb der Landesgrenzen befindet. Dazu kommt noch, daß es in Ungarn, im Gegensatz zur Sowjetunion, weder starke, selbstbewußte, bereits über eine Tradition verfügende Offizierskader gibt, noch jene Managerklasse, die, in Rußland mit allen ihren Fasern in der Partei verwurzelt, mit ihrem eigengesetzlichen Dynamismus die Parteilinie dauernd und vielleicht für immer zu beeinflussen vermag, ohne die politische Struktur des Landes dadurch zu verändern. In der erst auf eine sechs- bis siebenjährige Vergangenheit zurückblickenden Volksdemokratie Ungarn konnte es bislang noch nicht gelingen, die vorhandenen starken, bodenverwurzelten Kräfte anders als bloß formell in der Kommunistischen Partei zu binden. Es genügten einige vage Formulierungen einiger Versammlungsredner der „Patriotischen Volksfront“, einige Zeitungsartikel von Schriftstellern bäuerlicher Herkunft, um die gewiegtesten Parteitaktiker kopfscheu zu machen. Diese sorgten dann dafür, daß man in den ohnehin stets mißtrauischen, mit eigenen Sorgen beladenen Moskauer Parteikreisen plötzlich das Aufkommen eines ungarischen Titoismus oder gar etwas noch Schlimmeres zu fürchten begann und beschloß, den allzu leutseligen Avantgardisten einer ideologischen und faktischen Koexistenz, eben den seit Juli 1953 auch im Westen vielzitierten Ministerpräsidenten Nagy, in die Schranken zu weisen. Daß dies nicht ohne massive Beschuldigungen seitens des diensteifrigen Zentralkomitees vor sich gehen konnte, versteht sich ebenso von selbst wie die Einbeziehung der Wirtschaftspolitik in das Sündenregister. Gerade das letztere war schon deswegen notwendig, um zu verbergen, daß aus den Schimpfwörtern „Antimarxistische Rechtsabweichung“, „Nationalismus“, „Chauvinismus“ die Stimme des großen Verbündeten (sein ideologisches, aber vor allem strategisches Bedenken) herauszuhören ist. So kam es, daß Rakosi selbst, als er vor einer Versammlung der Budapester Parteiaktivisten zum vergangenen Wochenende das Wort “griff, von jeder weiteren Beschuldigung des übrigens tatsächlich im Krankenbett liegenden Nagy Abstand nahm und dafür unterstrich: Das Juliprogramm, das einst von der Partei beschlossene und von Nagy angekündigte Wirtschaftsprogramm, geht weiter. Im wesentlichen keine Aenderung! Er verschwieg nur dabei, daß „das Wesentliche“ bei dieser Krise nicht oder nicht bloß die Wirtschaftspolitik war. *

DIE VORGÄNGE UM DEN ERZBISCHOF VON SEVILLA. KARDINAL SEGURA, beleuchten eine Tragödie des katholischen Integralismus. „Päpstlicher als der Papst“ zu sein, das war in den letzten einhundertfünfzig Jahren nicht selten die Versuchung extrem rechtsgerichteter Katholiken, die, oft unbewußt, versuchten, für den ihrem Empfinden nach schwachgewordenen Gott und den zu schwachen Papst „die rechte Weltordnuug“ zu verteidigen gegen „die Bösen“, „die Feinde Gottes und der Kirche“. Der Erzbischof von Sevilla, Kardinal Segura, ist als ein Vertreter dieses Integralismus soeben in einem dramatischen Ringen zum Rücktritt gezwungen worden. Segura, von dem ein Mitglied des Kardinalskollegiums sagte, er sei dreihundert Jahre zu spät geboren worden, sah in allen „modernen Ideen“ Werkzeuge des Teufels, in allen Nichtkatholiken Feinde der spanischen Nation. Durch seinen Kampf gegen die verschwindend kleine Minderheit der Protestanten in Spanien bereitete er der gegenwärtigen Regierung nicht geringe internationale Schwierigkeiten, zumal da er auch den Kampf forderte gegen die Amerikaner, die er als „Häretiker“ verwarf. Der Kardinal war ein erbitterter Gegner des Franco-Regimes, dem er vorwarf, daß es zu weich sei gegen die Ketzer“ und andere Feinde Gottes und Seiner Kirche. Diese Gestalt von eigenartiger Größe und Härte ist nun von Rom diszipliniert worden. Vor wenigen Monaten erhielt er ohne seine Zustimmung einen Weihbischof und Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge, den bisherigen Bischof von Victoria, Monreal. Die Vorgänge der letzten Wocne führten nun, wie dem Bericht der „Ecclesia“, des Blattes der spanischen katholischen Aktion Madrid und den ergänzenden Meldungen spanischer Korrespondenten zu entnehmen ist, zur Weisung Roms an Segura, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Bei einer Andacht in der Kathedrale von Sevilla kam es zur öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Segura und dem Päpstlichen Nuntius Antoniutti. Von der Kanzel her beschwerte sich der Kardinal über die Verfolgungen, die er wegen seines Kampfes gegen die Protestanten von maßgeblichen kirchlichen Kreisen zu erleiden habe. Der Nuntius entgegnete sofort, nachdem Segura sich noch darauf berufen hatte, der Papst müsse schlecht informiert worden sein: Priester, die in grundsätzlichen kirchlichen Fragen eine persönliche Politik zu treiben versuchten, seien keine Freunde des Papstes. — Das Volk von Sevilla stellte sich in seiner überwiegenden Mehrheit auf die Seite des Nuntius mit dem Rufe: Sevilla für den Papst, worauf dieser ernst entgegnete: Und der Papst für Sevilla. — Ein Drama, dem die Größe, Düsternis und Wucht mittelalterlicher Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst eignet, geht damit seinem Ende zu. Der greise Kirchenfürst von Sevilla, ein Mann eines tiefen Glaubens, wird seinen Frieden finden. — Wird der heute noch so mächtige und einflußreiche katholische Integralismus eine Lehre aus dieser Tragödie ziehen? Das ist eine andere Frage.

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