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RANDBEMERKUNGEN zur Woche

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BROTSTREIK. Wia sehr bereits das Brot den Charakter eines Existenzgutes — weil weithin in Konkurrenz mit anderen Nahrungsmitteln — verloren hat, sahen wir an den Wirkungen, die der Streik der Arbeiter der Bäckereien ausgelöst hat. Die Bevölkerung hat das Fehlen von Brot und Gebäck mit einer stoischen Ruhe aufgenommen und sich mit „Surrogaten“ wie Backwaren und Fleisch beholfen. Freilich, die Kinderreichen und die Rentner — die Proletarier dieser Zeit — spürten das Fehlen von Brot. Gegen sie — und beileibe nicht gegen die „Kapitalisten“ — richtete sich so eigentlich der Streik der Bäckereiarbeiter. Zuerst hierj es übrigens, daß von seilen der Streikleitung dafür vorgesorgt worden sei, dafj der Streik sich in Ordnung abwickle. Was ist darunter zu verstehen? Vielleicht, dafj es nicht mehr zum Uebergießen von Brot mit Benzin wie letzthin kam? Immerhin wurde auch diesmal der Verkauf von altem Brot mit Gewalfandrohung verhindert, das Brot daher für den Verderb bestimmt. Dazu kommt, dafj es durchaus versfanden wird, wenn gegen Streikbrecher gewerkschaftliche — aber nicht ungesetzliche — Maßnahmen ergriffen werden. Wie ist es aber, wenn ein Alleinmeisfer (wahrlich kein „Kapifalist“) selbst Brot herstellt und verkauft? Ist der Meisfer dann ein Mensch, der gegen das Prinzip der notwendigen Solidarität der Bäckereiarbeiter versföfjf? Widersprich! es nichf dem Recht auf Freiheit der Berufsausübung, wenn Selbständige daran gehindert werden, selbst Waren herzustellen? Die .Antwort isf eine neue und keineswegs zu begrüßende Welle von Gewerkschaftsfeindlichkeit. Viele Gewerkschaftsmitglieder sagen sich, dafj ihre Mitgliedsbeiträge auch dazu dienen, Streiks, wie den der Bäckereiarbeiter, der sich letzten Endes doch gegen sie richtet, mitzufinanzieren. — Ein anderes isf, dafj die Lohnforderungen der Bäcker offensichtlich gerechtfertigt sind. Im Prinzip. Dadurch, dafj nun weniger das Brot an sich, wohl aber der Brof-preis ein Polifikum isf, kann die Kostenerhöhung, die sich aus einer Lohnsfeigerung ergibt, nichf leicht im Preis untergebracht werden. Auch bei einer Erhöhung des Brofpreises von 50 Groschen würden viele — und nichf die Aermslen — das Gefühl einer erheblichen und „untragbaren“ Kürzung ihres Lebensstandards haben. Neue Lohnforderungen wären die Folge. Auch solche der Bäckereiarbeiter. Die tatsächlich Betroffenen, die Familien mit Kindern und die Renfner, erhalfen aber bei solchen Lohnsteigerungen nichf den notwendigen Ausgleich, obwohl bei ihnen die Gewichtigkeit der Kosten des Broterwerbes eine ganz andere isf als etwa bei einem doppelverdienenden kinderlosen Ehepaar. Die Steigerungen bei den Kinderbeihilfen werden übrigens auch nicht konform zu etwaigen Preisberichtigungen vorgenommen, sondern zusammenhanglos und daher (massenpsychologisch) falsch. Der Brofpreis ist (neben der Miefe) ein falscher Preis und mufj berichtigt werden. Wenn wieder Sleuern gesenkt werden, dann synchron mif dem Abbau der Subventionen und gleichzeitig spezifischer Abgeltung an jene, die durch Preiskorrekturen besonders betroffen sind.

FREIE FAHRT IN DIE ZUKUNFT! Drei Wichtige Ereignisse im Wiederaufbau der zerstörten österreichischen Bahnhöfe und in der Modernisierung des Eisenbahnnetzes wurden zu einer imposanten Feierlichkeit vereinigt: die Teileröffnung des Wiener Südbahnhofes und die Elektrifizierung der Strecken Wien—Gloggnifz und im Kärntner Seendreieck. Der neue Südbahnhof hat eine ganze Reihe eindrucksvoller Details aufzuweisen, vor allem den durchscheinenden Aluminium-rasfer, der anstatt einer Decke angebracht wurde, das Licht gleichmäßig in der Kassenhalle verfeilt und wie eine riesengroße abstrakte Plastik aussieht, aber auch die dem Gürtel zugewandte Fensferfassade und manches andere. Leider fehlt es dem Gebäude, wenn man es als Ganzes betrachtet, an den Proportionen. Auf künstlerische Ausschmückung der grofjen Wandflächen hat man hier von vornherein zugunsten überdimensionierter Neonreklamen verzichtet. — Der erste Zug, der ohne Dampf und ohne Rauch die nunmehr viel höhere Geschwindigkeiten zulassende Strecke Wien—Gloggnitz passierte, fuhr durch ein Spalier winkender Menschen. Aber auch in Kärnten herrschte eitel Freude, als die elektrifizierte Eisenbahnlinie durch das Seendreieck, von St. Veit an der Glan über Klagenfurt, Villach, Ossiach und Feldkirchen zurück nach St. Veit, eröffnet wurde. Vor allem die Anrainer des Ossiacher Sees erwarten sich einen neuen Aufschwung für ihre bisher vom Verkehr etwas stiefmütterlich behandelten Orfschaffen. Freilich wird mancher der Romantik der Dampfeisenbahn nachtrauern, und das mit Recht — abar zusammen mit der Romantik verschwinden auch der Schmutz und der gefährliche Funkenflug, und wer Augen hat, zu sehen, wird auf der Fahrt im elektrisch betriebenen Zug eine neue, moderne Schönheit entdecken.

DAS INNENPOLITISCHE EREIGNIS DIESES JAHRES in Italien scheint der im Oktober in Trient stattfindende Kongreß der zahlenmäßig und politisch bedeutendsten Partei, der Christlich-demokratischen, zu werden. Denn sein Verlauf und sein Ausgang dürften das künftige Schicksal der italienischen Demokratie erheblich beeinflussen. Hinter diesem Kongreß — der letzte fand im Sommer 1954 in Neapel statt —

steht diesmal als Mahner und Warner der Geistliche Luigi Sturzo, 1919 der Gründer und Vorsitzende derjenigen Partei, die sich seif 1945 Democrazia Cristiana nennt. Seit Wochen bietet Don Sturzo im römischen „Giornale d'ltalia' seine zwingende Ueberzeugungskraft auf, um das „gaukelhafte und frevlerische Spiel“ des bis gestern auch formell mit den Kommunisten verbündeten Linkssozialisten Pietro Nenni zu demaskieren. Nenni suche — so Sturzo — im stillen Einvernehmen mit dem sich darob ins Fäustchen lachenden Kommunistenführer Togliatti eine Einheitsfront des marxistischen Sozialismus herzustellen, die von der wahren Demokratie weif entfernt sei und nur eines bewirken würde: Verschiebung der bisher nach der Mitte tendierenden politischen Kräfle nach links. Also Gefahr des allmählichen „legalen“ Eindringens des zahlensla'ken Kommunismus in die Regierung und Zerstörung der demokratischen Mitfe, auf deren Grundlagen das politische, wirtschaftliche und soziale Leben Italiens bis heufe beruht. Don Sturzo also spricht in der ihm eigenen meisterhaften Diktion das aus, was alle, die Nennis Wirken in den letzten Jahren verfolgten, instinktiv fühlten und fühlen. Seine Mahnung aber gilt, ganz natürlich, in erster Linie seiner einstigen Partei, der es als der stärksten demokratischen Gruppe gegeben ist, das Unheil abzuwehren. Das entscheidende Wort wird auf dem Kongreß der 1954 in Neapel mit großer Mehrheit zum Parteiführer gewählte Vertreter der jungen Generation, Ammtore Fanfani, sprechen. Ihm und seinen engeren Mitarbeitern obliegt es, den bislang eingehaltenen Kurs der Mitte weiterzusteuern und sich von dem zum Blendwerk gewordenen Plan der sozialistischen Einigung nicht irreführen zu lassen. Wie dies die bislang zurückhaltende Stellungnahme Fanfanis zeigt, dürfte der die „Kunst des Möglichen“ klug einschätzende Parteiführer in Trient eine Abwartesteilung beziehen, die dem nur langsam reifenden Prozeß des sozialistischen Einigungswerks nicht vorgreift und die vor allem den Weiterbestand des gegenwärtigen, mit kleiner Mehrheit sich geschickt behauptenden Kabinefts Segni nichf gefährdet. Denn würde er durch scharfe Krifik die bislang sich als loyale Mitarbeiter bewährenden Sozialdemokraten von Beginn an wegen ihrer Annäherung an die Nenni-Sozialisfen verstimmen, so könnte die Koalition auseinanderbrechen und unfer Umständen chaotische Verhältnisse heraufbeschwören. Ohnehin ist diese durch die bislang die Regierung unterstützende und sie nunmehr mif ihrer Erklärung vom 17. September scharf verurteilende kleine Gruppe -der Republikaner (5 Deputierte, 2 Senatoren) in ihrem Weiterbestand gefährdet. Fanfani also dürfte, wenn ihm die Parfeimehrheit willig folgt, auf die künftigen Geschicke der italienischen Demokratie erheblichen Einfluß nehmen.

ABGESPRUNGEN. Während einer Zwischenlandung in Beyruf erhielt der hohe Beamte des tschechoslowakischen Außenministeriums Doktor Ctirad Sarka, der sich offiziell auf der Reise zur internationalen Orienlmesse in Damaskus befand, von der libanesischen Regierung politisches Asyl, worum er bereits telephonisch bei der vorhergehenden Zwischenlandung des Flugzeuges in Rom angesucht hafte. Dr. Sarka, der perfekt arabisch spricht, erklärte in einem Vorfrag am Beyrufer Sender die Verhältnisse hinterm Eisernen Vorhang für unerträglich. Jahrelang habe er — unter gleichzeitiger Vorschützung der Loyalität gegenüber dem kommunistischen Regime — sich auf die Fluchf vorbereitet, namentlich durch das Studium der arabischen Sprache, um bei einer allfälligen Orienfmission Gelegenheit zum Absprung zu finden. Er sagte u. a., das ganze Volk würde auf und davon gehen, wenn es könnte. Das Land auf normale Weise zu verlassen sei so gut wie ausgeschlossen, solange das kommunistische Regime an der Macht bleibe. Er machte seine arabischen Hörer mit Nachdruck darauf aufmerksam, daß sich hinter dem Kommunismus der östliche Imperialismus verberge, dessen wahres Gesicht niemand kenne, der ihn noch nicht am eigenen Leibe erlebt habe. „Wir alle müssen im Kampfe gegen den Kommunismus Verbündete werden“, sagfe Dr. Sarka, „wir müssen seine wahren Grundlagen erkennen und allen deutlich machen, auf welche Weise er der Verbreifung des russischen Imperialismus dienf. Die Vernichtung des Kommunismus wird, so Goft will, die Befreiung der ganzen Menschheit von allen Nuancen des Imperialismus und der Diktatur mit sich bringen!“ — Diese Aeußerungen Dr. Sarkas sind in der gegenwärtigen Zeitspanne der großen psychologisch-materiellen Offensive des Ostblocks in den Ländern des Nahen Ostens von höchster Bedeutung.

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