Absolute oder relativ beste Wahrheit?

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Die diesjährige Woche für die Einheit der Christen geht zu Ende. Nicht aber das weitere Ringen um die Ökumene - trotz und wegen Dominus Iesus (vgl. auch Ulrich Körtners Kolumne, unten).

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Die diesjährige Woche für die Einheit der Christen geht zu Ende. Nicht aber das weitere Ringen um die Ökumene - trotz und wegen Dominus Iesus (vgl. auch Ulrich Körtners Kolumne, unten).

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Der Konzilstheologe Joseph Ratzinger weist in seinem Kommentar des Dokuments des 2. Vatikanums über die göttliche Offenbarung (Artikel 8) auf einen Mangel dieses Konzils hin: "Nicht alles, was in der Kirche existiert, muss deshalb auch schon legitime Tradition sein ..., sondern neben der legitimen gibt es auch die entstellende Tradition. [...] Das Vaticanum II hat in diesem Punkt bedauerlicherweise keinen Fortschritt gebracht, sondern das traditionskritische Moment so gut wie völlig übergangen. Es hat sich damit einer wichtigen Chance des ökumenischen Gesprächs begeben."

Das Versäumnis des Konzils, das Ratzinger hier bedauert, ist jetzt in der Problematik der von ihm als Kardinal und Präfekt der Glaubenskongregation herausgegebenen Erklärung Dominus Iesus voll wirksam geworden. Denn unter Berufung auf die Einzigkeit und Universalität der Heilsmittlerschaft Jesu Christi wird im Sinn des Ökumenismusdekrets des Konzils von der Verwirklichung der Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche gesagt, dass diese (und nur sie) die ganze Fülle der Gnade und Wahrheit anvertraut erhielt und in ihrer Integrität bewahrt (Nr. 16f). Hier wird nicht damit gerechnet, dass es auch in der katholischen Kirche eine entstellende Tradition geben könnte.

Dabei ist keineswegs nur an die Gefahr einer Verdunkelung der in Gott grundgelegten Wahrheit durch die Sünde zu denken. Denn auch unabhängig von Schuld kann eine von Gott kommende Botschaft von den Menschen immer nur auf begrenzte, geschichtlich bedingte und damit für Fehler anfällige Weise verstanden werden. Schon Thomas von Aquin stellte fest: Was empfangen wird, wird auf die Weise des Empfängers empfangen. Die dadurch möglichen die Sicht "verstellenden" Missverständnisse vermehren sich, wenn diese Botschaft von Menschen weitergegeben und von anderen auf ihre Art aufgenommen wird, etwa beim Übergang in eine andere Kultur. In Bezug auf die Bibel hat die Kirche auf dem letzten Konzil diese menschlichen Fehlerquellen in vorsichtiger Weise anerkannt, nicht jedoch bezüglich ihres Lehramts.

Die Lehre des Konzils Das 2. Vatikanum sagt im Artikel 8 der Kirchenkonstitution von der einzigen Kirche Christi: Sie "ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger des Petrus und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird, auch wenn sich außerhalb ihres Gefüges mehrere Elemente der Heiligung und der Wahrheit finden, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen".

Im Entwurf des Textes hatte es noch geheißen: "Diese Kirche (Christi) [...] ist die katholische Kirche." Das "ist" in diesem Satz wurde durch "ist verwirklicht in" ersetzt, "damit der Ausdruck besser im Einklang steht mit der Aussage über die kirchlichen Elemente, die es anderswo gibt" (so lautet die Begründung der zuständigen Kommission in den Konzilsakten). Das Konzil wollte also sagen, dass auch außerhalb der katholischen Kirche einzelne Elemente der Kirche Christi vorhanden sind. Damit wurde in der Lehre von der Kirche der Exklusivismus verlassen, der die anderen christlichen Gemeinschaften nur negativ beurteilte und ihnen jede Heilswirksamkeit absprach. Es sollte jedoch nicht gesagt werden, dass es außerhalb der katholischen Kirche vollständige und gleichwertige Verwirklichungen von Kirche gäbe.

Gegen Relativismus Daher formuliert Kardinal Ratzinger durchaus im Sinn des Konzils, wenn es in der Erklärung Dominus Iesus (Nr. 16) heißt, "dass die Kirche Christi trotz der Spaltungen der Christen voll nur in der katholischen Kirche weiterbesteht". (Die diesbezügliche Kritik Hans Küngs, unter anderem in furche 1, Seite 11, geht meines Erachtens zu weit).

Mit diesem Dokument wollte Rom also die neuere ökumenische Entwicklung auf den Stand des Konzils zurückführen; ebenso das Gespräch mit den anderen Religionen (die ebenfalls Elemente enthalten, "die von Gott kommen", wie es in Nr. 21 heißt; vgl. Nr. 2 und 8). Das ist insofern verständlich, als einige Theologen im innerchristlichen und interreligiösen Dialog inzwischen einen völlig nivellierenden Pluralismus und Relativismus vertreten, der alle christlichen beziehungsweise religiösen Traditionen für gleichwertig erklärt oder die Wahrheitsfrage überhaupt ausklammert. Allerdings hat in römischer Sicht dieser Dialog demnach nur den Sinn, einander besser zu verstehen und im Bereich der übereinstimmenden Elemente zusammenzuwirken (jedoch in der Hoffnung, die anderen von der katholischen Wahrheit zu überzeugen).

Eine Weiterführung?

Das Konzil hat einen großen Schritt in Richtung Ökumene und interreligiöser Verständigung getan und den katholischen Exklusivismus aufgegeben, indem es Elemente der Heiligung und der Wahrheit auch in anderen christlichen Gemeinschaften und Religionen anerkannte. Es vertrat aber einen reinen Inklusivismus, wonach alle diese Elemente auch in der katholischen Kirche vorhanden und nur in dieser vollständig verwirklicht und bewahrt sind. Es rechnete - wie jetzt die Erklärung Dominus Iesus - nicht mit der Möglichkeit, dass in anderen christlichen Konfessionen oder sogar in anderen Religionen einzelne Elemente wahrer - und der universalen Sendung Christi entsprechender - Religiosität vorhanden sein könnten, die in der katholischen Tradition nicht richtig gesehen oder im Lauf der Geschichte der Kirche entstellt wurden.

Hier könnte die eingangs erwähnte Kritik Ratzingers am Konzil weiterführen: Wenn die Kirche ihre menschlichen Grenzen und ihre Sündhaftigkeit ernst nimmt, kann sie zwar im Glauben davon ausgehen, dass es in Gott eine absolute Wahrheit gibt, muss sich aber bewusst bleiben, dass sie selbst immer nur eine Annäherung an diese Wahrheit zu erreichen vermag, also nur eine relative Wahrheit hat. Sie kann durchaus aus guten Gründen der Überzeugung sein, dass ihre Sicht der (absoluten) Wahrheit am nächsten kommt, also die relativ beste ist. "Relativ" bedeutet hier nicht "relativistisch" (nur subjektiv wahr; gleichgültig), sondern ist als "nicht-absolut" und als "verhältnismäßig", also "alles in allem im Vergleich zu anderen besser oder von allen am besten (aber verbesserbar)", zu verstehen. Denn "die Überzeugung, dass meine eigene Überzeugung die beste ist - nicht nur für mich, sondern überhaupt" (so Bernhard Körner in furche 49/2000, Seite 6), beinhaltet nicht den Anspruch, die absolute Wahrheit zu haben (Körner setzt dies leider gleich).

Die Erklärung Dominus Iesus liefert selbst ein Beispiel für eine solche Relativierung durch Verbesserung, indem im Text des Glaubensbekenntnisses am Beginn ohne weiteren Kommentar bei den Worten über den Hervorgang des Heiligen Geistes das "und dem Sohn" ("Filioque") weggelassen wird, dessen Annahme auf dem Konzil von Florenz im 15. Jahrhundert als notwendiges Element des katholischen Glaubens verlangt wurde. Damit korrigiert die katholische Kirche ihre eigene Tradition, ähnlich wie das auch in anderen Fragen bereits geschehen ist. So hat die Kirche auf demselben Konzil von Florenz noch zu glauben verlangt, dass alle Heiden, Juden, Häretiker und Schismatiker "in das ewige Feuer wandern werden", während nach der Lehre des 2. Vatikanums nicht nur die Christgläubigen, sondern "alle Menschen guten Willens" der Auferstehung entgegengehen (vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Artikel 22).

Wenn die Liebe fehlt ...

Auf der Basis einer solchen Unterscheidung zwischen absoluter und relativ bester Wahrheit ist auch denkbar, dass es Elemente der Wahrheit und Heiligkeit, die dem, was Gott durch Jesus Christus offenbaren wollte, entsprechen, außerhalb der katholischen Kirche und auch außerhalb des Christentums, besser gesehen und gelebt werden als in der Lehre und der Praxis der katholischen Kirche (ein Hinweis in diese Richtung findet sich in der Ökumene-Enzyklika Ut unum sint von Johannes Paul II., Nr. 14, wo von den anderen christlichen Gemeinschaften gesagt wird, dass in ihnen "gewisse Aspekte des christlichen Geheimnisses bisweilen sogar wirkungsvoller zu Tage treten"). Dann hätte ein Dialog auch den Sinn, voneinander zu lernen, und könnte zu einer gegenseitigen Annäherung führen.

Sogar andere Religionen könnten in einer "Fremdprophetie" die Kirche auf Mängel aufmerksam machen (nach der Erklärung Dominus Iesus, Nr. 2, führt der interreligiöse Dialog zu "wechselseitiger Bereicherung"). Vor allem käme dann erst zur Geltung, dass im Sinn Jesu das Schwergewicht nicht auf der Wahrheit der Lehre liegt, sondern auf der Wahrheit der Praxis (vgl. Mt 7,21). Das entscheidende Kriterium für die legitime Verwendung des Begriffs "Kirche" liegt nach dem Neuen Testament in der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe. Was nützten letztlich die ganze Wahrheit über Bischofsamt und Eucharistie sowie deren Gültigkeit, wenn die Liebe zueinander fehlte, die das Kennzeichen der Christen sein soll (vgl. Joh 13,35)? Diese aber kann außerhalb der katholischen Kirche größer sein als in ihr. Und diese Liebe hilft auch zur besseren Erkenntnis und führt zur Einheit, denn "man sieht nur mit dem [guten] Herzen gut".

Der Autor ist Dozent für Pastoraltheologie in Innsbruck. Zuletzt befasste sich mit "Dominus Iesus" der Physiker Reinhart Kögerler in furche 2/2001, Seite 6.,

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