Als Österreichs Kirche noch heil schien

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Vor 20 Jahren manifestierte sich Österreichs Katholizismus letztmals in voller Breite. Die Erfahrungen des Katholikentags 1983 sind aber weiter aktuell.

Die einen erinnern sich an jenen - witterungsmäßig - wahnsinnigen Vormittag des 11. September 1983, als 300.000 Menschen im strömenden Regen beim Festgottesdienst zum Abschluss des Katholikentags mit dem Papst feierten - und trotz oder gerade wegen der Wetterunbill ein nie gekanntes Zusammengehörigkeitsgefühl erfuhren. Andere - wie der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl - schwärmen vom Geist jener Tage: Es sei ein Ereignis "gegen die Provinzialisierung" gewesen, so Krätzl zur Furche, "Freundschaften von Feldkirch bis Wien" seien geschlossen worden. Dann die "Europavesper" am Wiener Heldenplatz, wo der Kardinal von Krakau Asche aus Auschwitz mitgebracht hatte. Fortsetzung S. 2

Neben dem Krakauer legten die Kardinäle aus Berlin, Zagreb und Paris - einer "Windrose Europas" gleich, so Walter Schaffelhofer, damals Generalsekretär des Katholikentags - das Evangelium aus. Und der Papst, der auf dem Heldenplatz ein Kreuz "errichtete", war Hörender - ebenso wie am Abend jenes 10. September, als 100.000 Jugendliche Johannes Paul II. im Praterstadion zujubelten, ihm aber auch kritisch Fragen stellten. Der Heldenplatz, jener durch Adolf Hitlers Auftritt 1938 "entweihte" Platz, sei durch die Europavesper wieder "getauft" worden, erinnert sich die Mitorganisatorin Eva Petrik (vgl. S. 3).

"Überinszeniert" sei das audiovisuelle Schauspiel im Stadion gewesen, zu lang, zu intellektuell: So kommentierte Christof Gaspari 1983 in der Furche, die den Katholikentag publizistisch intensiv begleitete, den Jugendevent. Hingegen erinnert sich heute Franz Bittner, damals Verantwortlicher für die Großveranstaltungen, an anderes: Der Papst sei von den Jugendlichen so gepackt gewesen, dass er vom Manuskript der lange vorbereiteten Rede abgewichen sei.

Mehr als ein Papstbesuch

Der Katholikentag wollte, so Schaffelhofer, nicht nur Papstbesuch sein, sondern auch "auseinanderdriftende Gruppierungen in der katholischen Kirche Österreichs" zusammenführen. So wurden Gruppen aus allen möglichen kirchlichen Traditionen und Lagern - fromme, marianische, politisch-aktivistische... - eingebunden: Der Autor dieses Beitrags etwa verbrachte mit anderen katholischen Studenten die erste Nacht des Katholikentags singend, wachend und betend vor den Steyr-Werken in Wien-Simmering, wo Panzer für die Dritte Welt produziert wurden. Ein kolumbianischer Bischof betete mit für eine Welt des Friedens, in der Waffen nicht mehr produziert werden würden.

Es ging nicht um eine "Papstshow", sondern es sollte österreichweit eine geistig-spirituelle Grundlage geschaffen werden, betont auch Bischof Krätzl. Zu ähnlicher Einschätzung kommt Wilhelm Zauner, emeritierter Pastoraltheologe aus Linz und beim Katholikentag 1983 wie Krätzl an vorderster Front beteiligt: Die Laien hätten diese Veranstaltung getragen, die Vorbereitung habe ein hohes Niveau gehabt, hervorragende Leute aus Wissenschaft und Kunst waren mit von der Partie: Zauner unterstreicht vor allem, dass der Katholikentag vier Jahre lang intensiv vorbereitet wurde. Das Motto "Hoffnung leben - Hoffnung geben" habe sich voll bewährt. Zauner: "Leute wurden persönlich so in ihrer Kirchenzugehörigkeit gestärkt, dass sie gesagt haben: Kirche lohnt sichdoch!'"

Nicht alles war zu Beginn friktionsfrei: Die berührende Erinnerung Kardinal Königs (siehe Interview unten) an seine Unsicherheit zeugt davon, dass jedenfalls im Vorhinein nicht klar war, ob das Unternehmen "gelingen" würde. Katholikentagsgeneralsekretär Schaffelhofer nennt "Stolpersteine", die es zu überwinden galt: Da war etwa das 300-Jahr-Jubiläum der Türkenbefreiung Wiens, das an jenem Septemberwochenende begangen wurde: Würde man darüber reden können - ohne europäisches Überlegenheitsgehabe und ohne Porzellan in Richtung Muslime zu zerschlagen?

Es ist gelungen, so sind sich die Organisatoren von 1983 heute sicher. Bischof Krätzl bezeichnet diesen Katholikentag ein "Modell für Papstbesuche", an das man sich herangewagt habe und das eine spirituelle Dimension zeigte, die in Österreich bei vergleichbaren Veranstaltungen kaum mehr erreicht wurde. Walter Schaffelhofer sagt es anders: "Ein letztes Mal" sei bei diesem Katholikentag die Kirche eine "heile Welt" gewesen. War 1983, als hunderttausende Katholiken nach Wien gekommen waren um zuerst ohne, dann mit dem Papst ihren Glaube zu feiern, noch einmal die Kirche als Volkskirche präsent? Wilhelm Zauner meint: Ja. Und: Gerade noch. Der Pastoraltheologe weist darauf hin, dass zur Volkskirche auch die Zusammenarbeit mit Politik und Behörden gehört. Und die sei 1983 noch selbstverständlich gewesen: Alle wären eingebunden gewesen, alle hätten mitgemacht.

Bloß eine gute Erinnerung?

Bei solcher Bewertung der Ereignisse vor 20 Jahren liegt die Frage auf der Zunge, wie - trotz des tiefen Ereignisses Katholikentag - die Kirche Österreichs danach in eine tiefe Krise stürzte, von der sie sich nicht mehr erholt hat. Wilhelm Zauner meint, dass die - positiven - Emotionen überschätzt wurden. Walter Schaffelhofer blickt ebenfalls nüchtern zurück: Niemand habe sich wirklich bemüht, das durch den Vorbereitungsprozess und die gelungenen Veranstaltungen Erreichte weiterzuziehen. Bischof Krätzl meint auch, dass die beim Katholikentag 1983 federführende Katholische Aktion sich "nicht genug weiterentwickelt" habe.

Bei all dieser Kritik lassen die Befragten aber keine Zweifel daran, dass der von Rom ab 1986 gesetzte Kurswechsel an Österreichs Kirchenspitze wesentlichen Anteil daran hat, dass der Katholikentag 1983 eine gute, aber längst vergangene Erinnerung ist. Zauner: Während sich die aktiven Katholiken in den Jahren vor dem Katholikentag 1983 intensiv auf dessen spirituelle, geistige und organisatorische Vorbereitung konzentrierten, hätten andere via Rom den Umschwung vorbereitet. Man sei zu naiv gewesen und habe die Anzeichen für diese Entwicklung nicht erkannt.

Bleibt also die nüchterne Erkenntnis, dass der Katholikentag 1983 nichts als eine letzte, exzeptionell breite Darstellung des österreichischen Katholizismus war? Bischof Krätzl meint, dass man einige Erfahrungen des Prozesses rund um 1983 dringend sichtbar machen sollte - insbesondere im Blick auf den kommenden Mitteleuropäischen Katholikentag, dessen Höhepunkt die "Wallfahrt der Völker" im Mai nach Mariazell bilden wird. Da ist nach Überzeugung des Wiener Weihbischof zum einen die Herausforderung der Politik, der sich Christen stellen sollten: Krätzl: "Die Verantwortung der Christen für Europa muss sich auch im Tun manifestieren!" Und gerade wenn sich Christen verschiedener Länder auf den Weg machen, muss, so Krätzl, thematisiert werden, dass die Geschichte Europas auch eine Geschichte der Spaltungen - nicht zuletzt religiöser - ist.

Dass es da einer gemeinsamen - ökumenischen - Anstrengung der Christen Mitteleuropas bedarf, ist für Krätzl klar, und er ist mit dieser Ansicht nicht allein: Auch der 98-jährige Kardinal König benennt diese Dimension als wesentliche Konsequenz seiner Erfahrungen rund um den Katholikentag 1983.

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