Blühende Phantasien

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die furche: Was sagt eine Sexualforscherin dazu, dass das Internet immer mehr zum Kennenlern-Medium wird?

Professor Rotraud A. Perner: Internet bietet die Möglichkeit, Phantasien auszuleben. Das heißt, jemand kann eine virtuelle Identität annehmen und sich damit über verschiedene, sehr reale Komplexe und Schwächen hinweghelfen. Das sehe ich aber nicht negativ.

die furche: Bringt das nicht eine große Portion Realitätsverlust mit sich?

Perner: Natürlich verliebt man sich zunächst nur in eine Scheinfigur. Es macht einen Unterschied, ob man es mit einem Menschen mit all seinen Schwächen zu tun hat oder mit einem sehr fernen, abgehobenen Gegenüber. Aber das ist in anderen Bereichen genauso. Es leben Menschen ja auch in religiösen, politisch-ideologischen oder beruflichen Scheinwelten.

die furche: Das heißt, träumen wird man wenigstens noch dürfen?

Perner: Probleme entstehen erfahrungsgemäß eher erst dort, wo die Internet-Kontakte zusätzlich zu einer bestehenden Beziehung geknüpft werden. Das führt meist dazu, dass der Inter-Lover als besser und einfühlsamer empfunden wird als der eigene Partner oder die Partnerin. Es ist halt viel netter, sich nach der Arbeit vor den Computer zu setzen, mit einem oder einer Unbekannten zu chatten und sich der Phantasie hinzugeben, statt sich mit den realen Gegebenheiten einer bestehenden Beziehung auseinanderzusetzen.

die furche: Es wird also gechattet und geknuddelt, ich erzähl' dir ein bisschen von mir, du erzählst mir ein bisschen von dir. Und was dann?

Perner: Die Gefahr besteht, dass auch Beziehungen entstehen, die dann in einem Schock enden. Es surfen zum Beispiel ja auch ältere Menschen. Die finden dann jemanden, tauschen Gefühle aus, gehen intensiv auf ihren Internet-Partner ein. Irgendwann stellt sich heraus, dass da viele Jahre Altersunterschied bestehen. Dann wollen die Jungen von den Älteren auf einmal nichts mehr wissen. Das ist für manche dann nicht so einfach verkraftbar.

die furche: Wieso? In den Ratgebern und Zeitungen ist doch ständig zu lesen, Alter spiele heute keine Rolle mehr. Den tollen Sex und die tolle Beziehung gibt's auch in reiferen Jahren ...

Perner: Das sind doch alles Enten, daran stimmt doch überhaupt nichts! Die Werbung macht den Älteren hier etwas vor! Älter sein ist ein Problem!

die furche: Das heißt, im Internet geht es generell oft nur um Phantasien?

Perner: Es geht sicher auch um das bloße Absenden und Empfangen von Phantasien. Aber das ist ja nicht nur im Internet so. Auch sonst geht es vielen Menschen nur um ihr persönliches Glücksgefühl, um eine narzisstische Befriedigung. Es geht nicht um ein konkretes anderes Du, mit dem man sich auseinandersetzen will, auf das man sich einlassen muss. Wirkliche Liebe will ja wissen: Wer bist Du? Sie will sich hineinfühlen und hineindenken in den Anderen.

die furche: Da muss man aber erst einmal draufkommen.

Perner: Suchen, Fehler machen, Lernen - das bleibt auch den heutigen Jungen nicht erspart. Dasselbe haben wir doch bei den vielen erotischen Darstellungen in den Medien. Auch da müssen die jungen Leute erst draufkommen, dass dieser angeblich so lustspendende, perfekte Sex in den verschiedensten Variationen nicht das ist, was wirklich befriedigt. Die Sex-Technik bringt's - das denken viele. Aber so ist das nicht.

die furche: Es gibt ja bereits Gegenreaktionen etwa in Form der aus Amerika kommenden Bewegung "True love waits", also "Wahre Liebe wartet" - am besten bis zu Ehe. Wie beurteilen Sie das? Ist das ein Rückschritt?

Perner: Mit dieser Einstellung - auch wenn sie sich nicht als sektiererisch oder moralinsauer präsentiert - hat man es natürlich schwer in einer Zeit, wo bei Jungen Gruppensex auf der Tagesordnung steht. Jeder muss das selbst entscheiden. Aber Liebe hat immer etwas mit Öffnung zu tun. Wenn der/die Andere es mir wert ist, dann werde ich auch bis zu dem Zeitpunkt warten können, bis er/sie sich öffnen kann.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

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