"Ein Stück Heimat" in den Hinterhöfen

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Kenner der Moslemszene zwischen Bodensee und Neusiedler See schätzen den Anteil radikaler Anhänger eines "islamischen Gottesstaates" auf zehn bis 15 Prozent.

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Kenner der Moslemszene zwischen Bodensee und Neusiedler See schätzen den Anteil radikaler Anhänger eines "islamischen Gottesstaates" auf zehn bis 15 Prozent.

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Immer öfter tauchen sie in den Straßen Wiens, aber auch in Dörfern und Kleinstädten im Westen Österreichs auf. Junge Türkinnen und Bosnierinnen, die selbstbewußt und demonstrativ das Kopftuch tragen. Waren es früher, Anfang der siebziger Jahre, die älteren bäuerlichen Frauen, die ihr Haar verhüllten, so sind es heute überwiegend jüngere Frauen, die sich mit dem Kopftuch bewußt vom westlichen Lebensstil abheben wollen.

Wo liegen die Gründe für solche Veränderungen? Und ist die einfache Gleichung Kopftuch = Fundamentalismus, wie sie von manchen vorschnell angestellt wird, in dieser Kurzschlüssigkeit auch richtig?

Die islamische Szene in Österreich zu erforschen, erweist sich als schwierige Aufgabe. Viele gläubige Moslems verweigern sich in einer westlichen Öffentlichkeit, die zunehmend mit Vorurteilen und Klischees an den Islam und seine Anhänger herangeht. Samuel Huntingtons Buch über den angeblich bevorstehenden "Kampf der Kulturen" hat den alten Ressentiments ein neues soziologisches Mäntelchen umgehängt.

Der Islam hat in den letzten Jahren eine ungeheure Renaissance erlebt, er ist zur zweitgrößten Religion der Welt aufgerückt. Auch in Österreich ist er dabei, die Protestanten zu überholen. Die Gründe für diese Renaissance sind vielfältig. Einer der Gründe ist die iranische Revolution 1979 - mit weitreichenden Folgen für die islamischen Länder.

Die Türkei, Heimatland der meisten österreichischen Muslime, hatte mit Ata Türk versucht, den Islam völlig aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen und eine strikte Trennung von Staat und Religion als Voraussetzung einer Modernisierung der Türkei durchzusetzen. Nun schlägt das Pendel, auch unter dem Einfluß der iranischen Revolution, in die andere Richtung aus. Der Islam kehrt mit Macht ins öffentliche Leben zurück. Islamische Parteien werden neu gegründet; von der Regierung verboten, tauchen sie nach kurzer Zeit unter neuem Namen wieder auf; bestehende Parteien, wie die berüchtigte Partei der "Grauen Wölfe", bedienen sich ebenfalls des Islam, um jugendlichen Nachwuchs anzuwerben.

Alle Kämpfe und politischen Konflikte, die sich in der Türkei abspielen, werden über kurz oder lang auch in der Zuwandererszene in Österreich sichtbar. Die verschiedenen Parteien, die Fraktionen von Parteien, die neuen religiösen Gruppierungen und Orden, die die islamische Renaissance hervorbringt, werden auch hierzulande aktiv.

So hat sich, vor allem in Wien, aber auch in Westösterreich, dort wieder vorzugsweise in Vorarlberg, ein dichtes Netz von Vereinen gebildet, die vor allem die zweite Generation, die Söhne und Töchter der in den sechziger Jahren als "Gastarbeiter" eingewanderten Türken betreuen.

Die größte dieser Organisationen ist "Milli Görüs". Sie steht der inzwischen verbotenen Refah-Partei nahe, die in der Türkei einen islamischen Gottesstaat errichten wollte; ihre organisatorischen Ableger in der europäischen Zuwandererszene existieren ungestört weiter. In Österreich verfügt die Organisation über 49 Moscheen. In Hinterhöfen und Kellern untergebracht, sind diese Moscheen Gebetsraum, Vereinslokal, Gasthaus, Supermarkt, Jugendclub, Sportverein - "ein Stück Heimat in der Fremde", wie es ein türkischer Sozialarbeiter in Wien formuliert. Finanziert werden alle diese Aktivitäten, so heißt es in der offiziellen Sprachregelung, von den Mitgliedern der Vereine. Inoffiziell erfährt man, daß Geld aus der Türkei, aber auch aus den Hauptländern der islamischen Renaissance, aus dem Iran und Saudi-Arabien, alle diese islamischen Aktivitäten unterstützt.

Die "Grauen Wölfe", die rechtsextreme Partei in der Türkei, die gegen Kurden und Kommunisten kämpft, betreibt inzwischen 19 solcher Moscheen in Österreich.

Dazu gibt es noch Vereine, die direkt mit dem Iran zusammenarbeiten und sich "Echo der islamischen Renaissance" nennen.

Fast ebenso stark wie die fundamentalistisch orientierten "Milli-Görüs"-Vereine ist die "Union islamischer Kulturzentren", die sich als eine Art "neuer Orden" versteht. Wenn sie (die in 41 Vereinen organisiert sind) das Ende des Ramadan feiern, finden sich mehrere tausend Mitglieder in der Stadthalle ein. Gleichzeitig betonen die Funktionäre der Union, daß sie ihre Mitglieder zur Integration in die österreichische Gesellschaft führen wollen, daß sie sie religiös, aber nicht politisch beeinflussen.

Und es wäre auch ein gefährlicher Irrtum, alle, die sich zu ihrem islamischen Glauben bekennen, die Feste ihrer Religion feiern und einmal im Leben nach Mekka fahren, alle Frauen, die das Kopftuch tragen, für Fundamentalisten zu halten. Kenner der österreichischen Moslemszene schätzen den Prozentsatz der radikalen Anhänger eines "islamischen Gottesstaates" auf zehn bis 15 Prozent.

Der überwiegende Teil, vor allem der älteren Generation, hängt einem traditionell geprägten, sogenannten "Volksislam" an, einer Mischung aus bäuerlichen Traditionen, patriarchalischer Lebensform und magisch-mythischen Vorstellungen. Dieser "Volksislam" ist ferne allen Modernisierungstendenzen in der Türkei, aber auch weit entfernt von den fundamentalistischen "Gottesstaats-Ideen".

Überhaupt ist die soziale Realität des Islam vielfältiger, als es die Dominanz der fundamentalistischen Strömungen in der Öffentlichkeit vermuten läßt. Manche Gruppierungen innerhalb des Islam waren schon immer liberaler und puncto Gleichstellung der Geschlechter fortschrittlicher als der Mehrheitsislam - die Aleviten, in der Türkei nahezu ein Drittel aller Moslems, bilden auch in Österreich den integrationswilligsten Flügel. Mystische Traditionen wurden in der Türkei über Jahrhunderte gepflegt. Der Sufismus, diesen Traditionen verbunden, findet in Österreich nicht nur unter Einwanderern, sondern auch unter heimischen Mystik-Interessenten Anklang. In Zeiten spiritueller Defizite und boomender Esoterik-Messen trifft die Mischung aus Meditation, Musik, Tanz und Gebet den Zeitgeist.

Die Autorin ist ORF-Journalistin in Wien und produzierte eine Dokumentation zum selben Thema.

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