Etwas mehr Reflexion

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Ein Sammelband lässt das Wirken von Gerhard Botz Revue passieren. Im 20 Jahrhundert trug die Zeitgeschichte viel zur Demokratisierung der Öffentlichkeit bei. Von seinen Kollegen fordert er mehr wissenschaftlich reflektiertes Engagement. Sie sollen sich engagieren. Seine Generation hätte mehr Gewicht auf die Wirtschaftsgeschichte legen sollen, sagt Botz.

Als Professor lehrte Botz, geboren 1941 in Schärding, in Linz, Salzburg und Wien. Im Interview kritisiert er Hugo Portisch und distanziert sich vom naiven Glauben, aus der Geschichte so einfach lernen zu können. Der Aufstieg der FPÖ sei beunruhigend, aber kein Weltuntergang.

Die Furche: Haben die Geisteswissenschaften ein Öffentlichkeitsproblem?

Gerhard Botz: Ja. Das Hauptproblem scheint mir darin zu liegen, dass in der kulturellen Entwicklungsphase, in der wir sind, die Präsentation im Vordergrund steht gegenüber dem Inhalt. Die Erarbeitung von Wissen ist unterbezahlt, es gibt nach Ansicht der wirtschaftlich ausgerichteten Wissenschaft eine Überproduktion an Geisteswissenschaft. Daher gibt’s unheimliche Probleme bei der Finanzierung ernster Forschung. Wenn man das vorhandene Wissen gut präsentieren kann, in unterschiedlichen Qualitäten, kriegt man Geld, Honorare - aber das ist immer auf bestimmte Teile der breiten Öffentlichkeit ausgerichtet. Die große Wissenschaft soll sich dort anhängen und verkaufen - dadurch geht die Wissenschaftlichkeit verloren, beziehungsweise sie ändert sich, wird eingeschränkt.

Die Furche: Georg Schmid macht in der Festschrift für Sie das Storytelling mit verantwortlich - den Druck der Gesellschaft, dass Wissen gut erzählbar daherkommen muss.

Botz: Es gibt das Problem, dass die Medienkultur die Geschichte weitgehend verändert hat und die Zeitgeschichte prägt. Die Internetorientierung verändert die Öffentlichkeit und die Quellenlage. Heute hat scheinbar jeder Zugang zu Informationen, kann alles suchen, selbst teilnehmen, obwohl die Wirkung nach wie vor bei den großen Verlagen und Agenturen liegt.

Die Furche: Eine pseudodemokratische Wissensmaschine?

Botz: Ja. Jeder greift zu, ist sein eigener Experte. Da brauche ich die Zeitgeschichtler nicht, die langsam arbeiten, die Österreich-spezialisiert sind, feig sind, nicht wissen …

Die Furche: Und persönliche Wahrheiten werden beliebiger. Geht es für die Wissenschaft nicht auch darum, dass in den Köpfen die richtigen Bilder präsent sind?

Botz: Das ist in Österreich schon mit den großen TV-Serien von Hugo Portisch verloren gegangen. Dadurch, dass er dieses Monsterprojekt Österreich II und I machen konnte, hat er sozusagen eine für beide damals noch großen politischen Lager akzeptable Geschichtserzählung konstruieren können. Es war eine deskriptive, erzählende Politikgeschichte.

Die Furche: Immerhin gilt Portisch als Geschichtsvater der Nation.

Botz: Das ist aber nicht vertretbar, weil Geschichte immer eine problematisierende Dimension gehabt hat, die so wegfällt. Er ist ja ein sehr gescheiter Mensch, hat die Fähigkeit sein Wissen erzählend darzustellen, mit großer Lebendigkeit und Klugheit. Aber da beginnt das Storytelling. Und welche Rolle haben die Zeitgeschichtler gespielt? Er hat sich manche eingekauft, als Berater. Mir hat er 100.000 Schilling angeboten. Ich hab gesagt ja - wenn ich gestaltend eingreifen kann. Das wollte er nicht.

Die Furche: Sie haben doch in den 70er- und 80er-Jahren selbst dazu beigetragen, dass durch die Zerlegung des großen politischen Narrativs in viele Einzelgeschichten, etwa im Rahmen der Oral History, das Subjektive stärker Einzug gehalten hat.

Botz: Ja. Der große Streit war damals, ob Geschichte primär analytisch deskriptiv vorgehen soll oder auch erzählend, Narrative bildend. Ich habe immer gesagt, dass man die kalte, kühle Theorie kombinieren muss mit der lebendigen Geschichte, den subjektiven Erzählungen; ich hab diese oft darin einzubetten versucht. Es gibt dann die Tendenz des "anything goes“, dass alles gleichberechtigt nebeneinander steht, das ist problematisch in der Wissenschaft. Die mediale Welt ist da möglicherweise viel gefährlicher: Entertainment, wissenschaftliche Erkenntnisse und populärer Aberglauben stehen dort unkommentiert nebeneinander.

Die Furche: Schmid sagt, die mediale Dynamik des (hi)storytelling untergrabe beim Konsumenten das effektive Wissen und die Fähigkeit, komplexe Strukturen und Prozesse zu begreifen.

Botz: Stimmt. Das könnte zwar die tagespolitische Bedeutung der Wissenschaft fördern - aber auch das Desinteresse am Lernen aus der Geschichte zu Wiederholungen von Fehlern führen. Aber die Ambivalenz der Aufklärung ist mir klar. Der naive Glaube an die Lehren aus der Geschichte - das ist Blödsinn.

Die Furche: Warum fällt das Lernen aus der Geschichte so schwer?

Botz: Wir können lernen, Fehler zu vermeiden, aber wir können nicht 1:1 lernen. Darin liegt auch die Schwierigkeit, die Finanzkrise zu verstehen. Es ist ja unglaublich, was wir heute erleben: mit der neuen Dynamik der globalisierten Welt, dem Bankensystem, aber der Anonymisierung der historischen Akteure. "Die Märkte“ sind das nun! Das ist der Hegel’sche Weltgeist, der da wieder kommt. Hätte es diesen wahnsinnigen Kollaps der Sowjetunion nicht gegeben, dann gäbe es jetzt eine legitime marxistisch-bolschewistische Interpretation der Geschichte. Dann würden viele schrecklich vereinfacht sagen: Was geschieht, bestätigt ja den alten Lenin, Marx oder Dimitrov. Allerdings kann man nicht sagen, die Geschichte wiederholt sich, man kann aber auch nicht sagen unser Denken ist frei von Interpretationen im Hinblick auf eine Vergangenheit, die wir in Analogie sehen.

Die Furche: Sollten sich Zeithistoriker stärker in den aktuellen Diskurs einschalten?

Botz: Natürlich! Engagiert euch! Aber das Engagement muss durch strenge wissenschaftliche Reflexion kontrolliert werden. Meine Generation hätte mehr Gewicht auf die Wirtschaftsgeschichte legen sollen, aber die Sozialgeschichte hat dominiert. Die guten Nationalökonomen denken immer historisch. Es ist bedauerlich, dass die derzeitige Geschichte nicht imstande ist, ihre längerfristigen Erfahrungen umzusetzen: nicht in Anweisungen, aber Erklärungsansätze für das, was heute passiert.

Die Furche: Stattdessen ist es ruhig geworden um die Zeitgeschichte.

Botz: In den 70er- und 80er-Jahren ging es politisch heiß her, da wurden wir gebraucht. Seit den 90er-Jahren sind wir am Rand. Wobei in der internationalen Welt - das ist die Gegenbewegung zu früher - wieder ein Boom an Überblicken entsteht. Europäische Geschichte, Weltgeschichte, große Probleme. Es ist ein Boom von großen Erzählungen im Gange. Wenn es zum Kollaps des Euro oder gar der EU käme, würden Nationalgeschichten wieder boomen, alle möglichen politischen Dinge.

Die Furche: Mit quantitativen Methoden hatten sie für die Erste und Zweite Republik gezeigt, dass die Parameter großer Wirtschaftskrisen dem politischen Protestlager nützen, und für Österreich ein Dreieinhalb-Parteien-System mit gefährlicher Rechtslage vorhergesagt. Sind Sie ein guter Prophet?

Botz: Das Dreieinhalb-Parteien-System haben wir und die Grünen sind das Halberte Drittel, stimmt. Beunruhigend ist das insofern, als Strache von der Logik der Mehrheitsbildung her früher oder später einbezogen werden wird in die Regierung, leider. Da habe ich nur eine optimistische Hoffnung, die lautet: Schwarz-Blau unter Schüssel hat für Österreich im Kleinen auch unangenehme Folgen gehabt, an denen wir noch leiden. Aber die große Welt ist nicht untergegangen.

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