Gegen den Lauf der Zeit

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Andreas Gruber, Filmemacher und Professor für Drehbuch an der Kunsthochschule für Medien in Köln, über filmisches Erzählen und den Analphabetismus gegenüber Bildern.

die furche: Herr Gruber, inwieweit ist der Film ein Medium der Erinnerung?

andreas gruber: In vielfacher Hinsicht. Ich bin ein großer Anhänger der Idee, dass Film, auch wenn es ein fiktionaler Film, auch wenn es ein Spielfilm ist, einen dokumentarischen Charakter im wörtlichen Sinn hat - so, wie es auch Wim Wenders definiert hat: im Sinn des Festhaltens gegen den Lauf der Zeit, des Dokumentierens, des Aufhebens in vielerlei Bedeutung. Das ist die eine Ebene, wo Film sehr viel mit Gedächtnis zu tun hat. Die zweite Ebene: Man hat ja immer wieder gesagt, dass der Film der große Erzähler des 20. und auch des 21. Jahrhunderts ist und dass die narrative Tradition ganz viel mit Gedächtnis zu tun hat; dass sie sich zum Teil überhaupt erst aus Erinnerung und Gedächtnis begründet.

die furche: Sind die Bilder, die filmischen Bilder im Erzählen der Sprache überlegen?

gruber: Ich würde das nicht gegen einander abwägen oder ausspielen. Es ist eine völlig andere Art des Erzählens, es ist eine grundverschiedene Mentalität, eine unterschiedliche Geistigkeit, weil Sprache mit einer Art von Abstraktion funktioniert, während Bild oder Film genau das Gegenteil ist, nämlich immer konkret sein muss. Daraus ersieht man, dass das ganz unterschiedliche Strukturen sind, die unterschiedliche Qualitäten hervorbringen.

die furche: Was war für Sie persönlich der Ausgangspunkt, um den Film "Hasenjagd" zu machen?

gruber: Es ging sehr stark um Erinnern als ein historisch-politisches Erinnern. Ich war, als ich mehr oder weniger zufällig auf diese Geschichte gestoßen bin, eigentlich entsetzt, dass sie niemand kennt, dass diese Geschichte nicht erzählt wird, niemandem erzählt wird; sie stand auch nicht in Geschichts- oder Geschichtenbüchern. Das hielt ich einerseits für ein Signal und andrerseits gerade für den Grund, diese Geschichte zu erzählen, weil Geschichten erzählen und Geschichte erzählen, glaube ich, ganz eng miteinander verbunden sind, und diese Geschichte um die Familie Langthaler erschien mir geradezu paradigmatisch, d. h. es war so ein exemplarischer Fall von Geschichte: die Lebensumstände der Zeit, die Rabiatheit und Brutalität der politischen Situation, der aussichtslos zu Ende gehende Zweite Weltkrieg - und in dieser Situation, die eigentlich geprägt ist von schlimmen Erfahrungen, taucht auf einmal diese Familie auf, die bereit ist, so viel Solidarität zu leisten.

die furche: Sie waren dabei ja auch mit dem Problem konfrontiert, die Erinnerung an Gewalt im Film darzustellen.

gruber: Die Erinnerung an Gewalt soll im wesentlichen nur im Zuschauer durch sein Ausfüllen von Dingen, die ich offen lasse, erzeugt werden. Ich schneide immer dort weg, wo man sich eigentlich schon denken kann, was passiert; ich finde es nicht notwendig, dass man zeigt, ja geradezu notwendig, dass man nicht zeigt, was passiert. Der Zuschauer weiß es. Es geht in keiner Weise darum, hier Gewalt in irgendeiner Form zu zelebrieren, ganz im Gegenteil. Aber man muss die Gewalt im Kontext lassen, d.h. man muss sehen, was sie verursacht: Leid, Zerstörung, Tod, Schmerzen.

die furche: Die Frage stellt sich ja auch, weil wir ja jetzt nach Erfurt wieder einmal eine Neuauflage dieser ewigen Diskussion erleben: Sind die Medien schuld? Führt die mediale Darstellung von Gewalt zu mehr realer Gewalt?

gruber: Diese Frage ist insofern sehr eigentümlich, weil auch nach Erfurt niemand gefragt hat: Wie gewalttätig ist diese Gesellschaft? Dieser junge Mann hat ja ebenso viel Zeit in einem Schützenverein zugebracht wie vor Videospielen. Natürlich ist es eine Frage, die man sehr ernsthaft prüfen muss, aber es ist, glaube ich, die zweite Frage oder die dritte, und die erste Frage muss sein: Wo erlebt ein junger Mensch real Gewalt? Und daraus, glaube ich, bestimmt sich sein Verhältnis und sein Verhalten innerhalb der Gesellschaft.

die furche: Wir hören heute oft eine stereotype Klage über die Dominanz der Bilder. Sie vertreten ja eher das Gegenteil und sagen: Das Schauen, die sinnliche Wahrnehmung stehen auf einem verlorenen Posten.

gruber: Das ist ja ein eigentümliches Phänomen: Erstens frage ich mich, wieso darüber geklagt werden muss, dass es eine Dominanz der Bilder gibt, was jetzt das besonders Schädliche an einer Bilderwelt wäre. Richtig ist natürlich, dass es eine Art von Inflation oder eine Überflutung gibt. Das war eines der wirklich klugen Statements im Zusammenhang mit Erfurt, das ich wieder gelesen habe und das ich auch immer wieder sage: Es gibt eine Art von Analphabetismus gegenüber der Bilderwelt. Das ist die Problematik: Wie gehen Zuschauer - ich meine jetzt, man soll das bitte wirklich nicht reduzieren auf Jugendliche - mit Bildern um, wie sehr sind sie in der Lage, sie zu lesen. Das hat ganz viel mit der Qualität von Wahrnehmung zu tun. Man könnte ja genauso gut von einer Bücher-, Zeitschriften-, Buchstaben-, Worteflut sprechen, auch das haben wir im selben Ausmaß. Ich glaube, die Frage ist das, was auch Neil Postman immer wieder gesagt hat, dass sich die Masse nach einem gewissen Zeitpunkt so aufhebt, dass alles Null ist, dass die Information sinnlos geworden ist. Und das ist dieselbe Problematik, dass diese Überfülle an Bildern, die mehr oder weniger gleichgültig neben einander stehen, nicht gelesen, also nicht alphabetisiert, einen Eindruck hinterlassen, der nur Konfusion erzeugen kann.

die furche: Es gibt im westlichen Christentum - und das hat vielleicht auch unsere Kultur mitgeprägt - eine Dominanz des Wortes, dem gegenüber das Bild sekundär, nur illustrativ ist.

gruber: Ich glaube, dass das erstens ein Missverständnis ist, und zweitens eine sehr gefährliche Vorstellung. Also einerseits muss ich nur das Alte oder auch das Neue Testament aufschlagen, um zu sehen, dass dort in Bildern erzählt wird. Die ganzen allegorischen Erzählungen sind natürlich Bildererzählungen. Die Gleichnisse evozieren in Wirklichkeit Bilder. Und es ist natürlich eine riesige Missinterpretation, dieses Bilderverbot des Alten Testaments jetzt in dem Sinn wörtlich zu nehmen, dass es keine Visualität geben soll oder dass Visualität an sich negativ ist.

Ich nenne zwei Punkte, wo ich wirklich ein Problem sehe: Arno Gruen schreibt einmal, dass es einen Grad von Abstraktion gibt, der nur mehr destruktiv ist. Und ich glaube, dass diese Dominanz des Wortes und damit der Abstraktion, der Begrifflichkeit, der Intellektualität - und damit kämpft, glaube ich, auch das Christentum - ab einem gewissen Grad destruktiv ist, lebensfeindlich, eigentlich die Fülle der Welt gar nicht mehr wahrnimmt. Und das zweite, was jetzt, sozusagen vom Sprachbild her, die Frage ist: Das Wort kommt vom Hören, und vom Hören kommt das Gehorchen. Und das ist eine Stringenz, die da drinnen ist, während das Bild etwas anderes ist. Für mich war Bild immer etwas, was mit komplexer Wahrnehmung zu tun hat, was etwas ganz Konkretes ist. Und ich glaube, dass diese Anbindung an Konkretheit gerade im religiösen Kontext etwas total Wichtiges wäre.

die furche: Haben Sie dieses Konzept: Film als Medium der Erinnerung, als Mittel, um verdrängte, vergessene Geschichten neu erzählen, in Ihren Filmen seit der "Hasenjagd" weitergeführt und liegt es auch Ihren nächsten Arbeitsplänen zugrunde?

gruber: Ich habe eine kleine Reihe von dokumentarischen Arbeiten gemacht, die sich fast ausschließlich mit diesem Thema auseinandersetzen. Ich erinnere an "Sonderauftrag Linz" - es geht um Bilder, es geht um geraubte Bilder, es geht um Erinnerung an diese Bilder, es geht um den Kunstraub. Und ich habe eine Geschichte über Irene Harand und Cyrill Fischer gemacht: die Erinnerung an Menschen, die 1934 mit einer Präzision vorhergesagt haben, was mit dem Nationalsozialismus auf Europa zukommt. Irene Harand hat das Buch geschrieben "Sein Kampf - Antwort auf Adolf Hitler". Das finde ich eine sehr wichtige Geschichte. Ich werde jetzt dann einen ganz anderen Film machen - erstmals eine Komödie für Kino, ein größeres Projekt, das hat weniger mit Erinnerung zu tun.

die furche: Ist für Ihre filmische Erinnerungsarbeit der Dialog mit Religion, mit Theologie von Bedeutung?

gruber: Ich glaube, dass es eine ähnliche Wurzel hat. Ich glaube, es ist natürlich die Frage nach der Herkunft, die Frage nach der Anbindung, die im Religiösen eine ähnliche Dimension hat wie in der Erinnerungsarbeit. Das hängt auch mit dem Menschenbild zusammen, das tradiert oder weniger tradiert wird. Weil Sie zuerst von der Überhäufung mit Bildern gesprochen haben: Es gibt ja so unendlich viele falsche Bilder. Wenn Sie zum Beispiel ins Politikgeschehen schauen, dann geht es eigentlich nur mehr um den Kampf der selbst dargestellten Bilder. Und ich glaube, dass die Erinnerung etwas dagegen wäre, dass die Erinnerung den Faden nach hinten wieder aufnehmen könnte. Ich glaube, dass die Frage der Erinnerung etwas zu tun hat mit der eigenen Erinnerung an die eigenen Wurzeln, an das eigene Herkommen, auch die Erinnerung an das - jetzt nicht im negativen Sinn - Bedingtsein: zu wissen, wie man geworden ist.

Das Gespräch führte Cornelius Hell

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