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Ist Graz '97 zu retten?

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Die Absagen der Patriarchentreffen belasten die Ökumenische Versammlung in Graz. Sie zeigen aber auch auf, was eigentlich nottut.

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Die Absagen der Patriarchentreffen belasten die Ökumenische Versammlung in Graz. Sie zeigen aber auch auf, was eigentlich nottut.

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Am Fronleichnamstag, während der eucharisti-schen Prozession der Katholiken, pflegte der evangelische Bauer mit dem Mistwagen aufs Feld zu fahren und die Ladung auf dem Acker zu plazieren - um mit dem wenig feiertäglichen Geruch die fromme katholische Versammlung zu brüskieren: Konfessionskampf auf burgenländisch; jedenfalls wird im Osten Österreichs, wo es Orte mit evangelischer Mehrheit gibt, diese Geschichte bis heute erzählt - von Altvorderen, die angeben, jene Zeiten noch erlebt zu haben.

Ob das evangelisch-katholische Verhältnis tatsächlich zur Auseinandersetzung zwischen Mist und Monstranz geriet, ist nicht leicht auszumachen - das konkrete Faktum spielt nur eine untergeordenete Bolle. Umso mehr wiegt, daß im katholischen Lebensgefühl dieser Region die Erinnerung an evangelische „Hinterlist” und die Mißachtung des eigenen Senti-ments wach blieb, wenn auch (welch ein Fortschritt!?) nur mehr unterschwellig.

Das Selbstbewußtsein der „anderen” Seite ist von ähnlichen Mustern geprägt; weil Protestanten in Österreich eine Minderheit darstellen, spielen die Empfindungen in beinahe jedes Gespräch hinein, das sich mit dem Verhältnis der Kirchen auseinandersetzt: Einst war die Reformation über Österreich hinweggefegt - so die Erinnerung -, das Land war evangelisch geworden, nur die Politik brachte den Katholizismus zwangsweise zurück; die Strategie: „Wir werden euch schon noch katholisch machen”, ging auf. Und zwar voll. Die Wunden von damals bestimmen österreichisches Evangelischsein bis heute.

Sogar im - was die Ökumene betrifft - vielgelobten Österreich schwelen also Ressentiments. Die Geschichte der Konfessionen, die auch eine Geschichte wechselseitigen Mistabladens während der Prozessionen der anderen ist (und die Unterdrückung bis zum Krieg einschließt), ist nicht ungeschehen zu machen.

Unterschwelliges in der Beziehung in Gesellschaften zu entdecken ist einer der Ausgangspunkte; er kommt vor allem anderen. Wie diffizil und verschlungen sich die Linien gestalten, schlägt der Ballast der Geschichte einmal so richtig auf die Spielwiese ökumenischer Bemühungen durch, zeigen das Gesprächsdesaster, in das sich einige der Kirchen (beziehungsweise deren Leitungen) in den letzten Wochen manövrierten.

Was tun? Welche Konsequenzen ziehen?

Zum ersten geht es um Erinnerung. Diese ist schmerzlich und ihre Aufarbeitung langwierig. Aber auch die Kirchen benötigen den Prozeß der Bewußtwerdung gemeinsamer wie trennender Geschichte. Nicht, daß die zweifellos beachtlichen bisherigen ökumenischen Anstrengungen ohne wechselseitige Erinnerung möglich gewesen wären. Aber jede Euphorie über Fortschritte zwischen den Kirchen, wie sie auch im Umfeld von Großereignissen (die Erwartungen an Graz '97 waren dementsprechend) entstehen, wird relativiert durch die mühsame Bearbeitung der Vergangenheit.

Die zweite Konsequenz scheint antagonistisch dazu - und meint Einmischung in die Gegenwart. Kann es sein, daß die Zukunft der Christen davon abhängt, ob einige ältere Kirchenführer (mit ihren jeweiligen noch viel älteren Strukturen um sich) einander treffen oder nicht? Lassen die Probleme, vor denen die Welt heute steht, einen Kirchenstreit, der sich mit seiner Geschichte legitimiert, noch aktuell erscheinen?

Die beiden Ansprüche - Erarbeiten der Erinnerung und Einmischung in die Gegenwart - sind nur scheinbar gegensätzlich. Zum einen ist Erinnerung ja konstitutives Element des Christentums, das heißt aller Kirchen: Kann es da unbillige Forderung sein, auch die Vergangenheit und deren Facetten in gemeinsamem Erinnern neu zu bauen? Vielleicht könnten Anleihen hilfreich sein an - ebenfalls unvollkommene - Versuche, nach der Judenvernichtung dieses Jahrhunderts ein christlich-jüdisches Gespräch in der Kultur einer nichts beschönigenden Erinnerung aufzunehmen.

Ein Gesprächsversuch dieser Provenienz wäre dann gleich ein Schritt zur Einmischung in die Gegenwart. Weder die Leitungen der Kirchen, noch die „einfachen” Christen sollten sich dem entziehen. Sogar wenn die Töne des anderen alles andere als verträglich klingen.

Unversöhnlichkeit mag nur noch im Unterbewußtsein schwelen (siehe das zitierte Fronleichnamsbeispiel). Oder handfest artikuliert sein - wie im bosnischen Bürgerkrieg oder auch (weniger dramatisch) im jüngsten Kommunique des russisch-orthodoxen Synods, in dem die Begegnung zwischen Patriarch Aleksij und dem Papst für unmöglich erklärt wurde. Das Programm der Ökumenischen Versammlung in Graz ist jedenfalls vielfältig, auf den ersten Blick gar unbewältigbar, was die konkreten Veranstaltungen betrifft und die Ambitionen, sich in die Gegenwart der Kirchen einzumischen.

Die aktuelle Frage lautet: Ist Graz nach den Querelen der letzten Tage zu retten? Wenn Graz '97 Begegnung der Kirchen tatsächlich ermöglicht (auf welcher Ebene immer): ja - aber nur dann, wenn auch die gemeinsame Erinnerung nicht außen vor bleibt.

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