Die Kirchen und Europa

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Mit dem Ökumenischen Sozialwort haben Österreichs Kirchen 2003 einen neuen Weg der Christen vorgezeichnet: Damals arbeiteten Kirchen der drei großen Traditionsstränge (Protestanten, Katholiken, Orthodoxe) erstmals an einer gemeinsamen Position in sozialen Fragen. Anlässlich der ersten wissenschaftlichen Analyse dazu (Seite 24), setzt sich das Dossier mit "sozialer Ökumene" in Hinblick auf die Rolle der Kirchen in Europa auseinander. - Redaktionelle Gestaltung (in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialethik an der Universität Wien): Otto Friedrich Beschwörung der christlichen Wurzeln des Kontinents reicht nicht aus: Es gilt, die Werte des Christentums für die Gegenwart zu entschlüsseln. Ein Plädoyer für eine soziale Ökumene von Ingeborg Gabriel.

Das Christentum hat Europa im Guten - wie im Schlechten - wesentlich geprägt. Neben den großen kulturellen und humanen Leistungen gibt es die chronique scandaleuse der Kirchenspaltungen, Religionskriege und der Instrumentalisierung der Kirchen für nationalpolitische Zwecke.

Im Friedensprojekt

Die europäische Einigung - als Friedens-und Solidaritätsprojekt eine der beeindruckendsten politischen Leistungen des 20. Jahrhunderts - schafft dagegen neue Bedingungen für das Christentum in Europa: Durch die Erweiterungen der Europäischen Union sowie die Eröffnung von Beitrittsperspektiven für die westlichen Balkanländer wird die Trennung Europas entlang ideologischer, aber auch religiöser Bruchlinien endgültig überwunden. Die Kirchen Europas finden sich damit erstmals in ihrer Geschichte unter einem politischen Dach vereint. Diese neue Situation stellt einen Kairos - einen richtigen Zeitpunkt - dar, der bisher von kirchlicher aber auch von politischer Seite nicht hinreichend wahrgenommen wird.

Um ihre positiven Potenziale einbringen zu können, müssen die Kirchen freilich zuerst historische Erblasten abbauen und durch Respekt und Versöhnung zeigen, dass sie die Lektion der Toleranz gelernt haben. Die ökumenische Zusammenarbeit erweist sich so angesichts der europäischen Geschichte als unabdingbar für eine glaubwürdige christliche Verkündigung gerade auch im Sozialen.

Doch auch die Politik sollte am Engagement der Kirchen interessiert sein. Die Krise der EU zeigt, dass wirtschaftliche und politische Verflechtungen nicht ausreichen, um das europäische Projekt auf Dauer zu stellen. Dazu braucht es die Identifikation der alten und neuen Europäer, innereuropäische (auch finanzielle) Solidarität und ein wirkliches Wohlwollen gegenüber den anderen.

Europa der Europäer

"Das zentrale Problem des Europas der Zukunft ist der Europäer", hat Kardinal König einmal dazu gemeint. Die konstruktive und kritische Beteiligung der "Christen der Kirche" und der "Kirche des Amtes" (Karl Rahner) könnte wesentlich dazu beitragen, die Verankerung des europäischen Einigungsprojekts an der Basis zu stärken, die das soeben erschienene Weißbuch über europäische Kommunikationspolitik fordert. Ebenso geht es jedoch um die zukünftige Gestalt Europas, für die auf keine historischen Vorbilder zurückgegriffen werden kann. Um Europa als "politische, ja moralische Vision" (Jean Monnet) zu realisieren, braucht es Ziel-und Wertvorstellungen, aber auch politische Phantasie und Kreativität.

Kirchen als Katalysatoren

Die Kirchen, die keine Wahlen gewinnen müssen, sind dazu prädestiniert, sich hier aktiv einzubringen und als Katalysatoren für die Erarbeitung von Langzeitperspektiven zu wirken. Inspirationen für ein derartiges Engagement lassen sich aus den Dokumenten einer ökumenischen Sozialverkündigung gewinnen, die seit der Ersten Europäischen Versammlung in Basel 1989 beachtliche Fortschritte gemacht hat. Zu erinnern ist vor allem an die Zweite Versammlung von Graz (1997) und die Charta Oecumenica (2001) und es ist zu hoffen, dass die Dritte Versammlung in Sibiu/Hermannstadt in Rumänien (September 2007) Zukunftsweisendes gerade auch im Hinblick auf den europäische Einigungsprozess sagen wird.

Wichtige Ansätze finden sich aber auch in den nationalen, ökumenisch-sozialen Stellungnahmen. Unter ihnen kommt dem österreichischen Ökumenischen Sozialwort von 2003 besondere Bedeutung zu. Erstmals nahmen da auch orthodoxe und altorientalische Kirchen an den Konsultationen und der Abfassung eines derartigen Dokuments verantwortlich teil.

Auf diese Weise wurde ein Trialog zwischen der katholischer, den orthodoxen und protestantischen Traditionen initiiert. Dies sind wichtige Schritte hin zu einer sozialen Ökumene. Sie könnten auch dazu beitragen, die gegenwärtige ökumenische Krisenstimmung zu relativieren, die ihre Ursache vielleicht auch in einer einseitigen Konzentration auf kontroversiell-dogmatische Fragen hat.

Option für Europas Arme

Wäre nicht einiges zu gewinnen, wenn der ökumenische Dialog sich verstärkt den weniger kontroversiellen Fragen der Gestaltung des gemeinsamen Lebensraums und der Konkretisierung der "Option für die Armen" (aller Art) in Europa zuwendet? Kardinal Walter Kasper hat in seinem Buch "Wege der Einheit" (2004) angeregt, zwischen Kirchen trennenden und kulturell bedingten Unterschieden zu differenzieren. Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens, der Bewahrung der Schöpfung, aber auch der karitativen Nächstenliebe und einer christlichen Lebensgestaltung gehören im Allgemeinen zur zweiten Kategorie. Die geschichtlich gewachsenen ethischen und diakonischen Traditionen schließen sich nicht aus, sondern könnten sich wechselseitig ergänzen und befruchten.

Intellektuelle Diakonie

Was sind nun wichtige Aufgaben der Ökumene für Europa? Drei Bereiche sind vor allem zu nennen:

* Zum ersten sollten die Kirchen mit ihren reichen theologischen Traditionen einen Beitrag zur Selbstvergewisserung Europas in den gegenwärtigen Umbrüchen leisten. Eine vergangenheitsorientierte Beschwörung der christlichen Wurzeln reicht nicht aus. Es geht vielmehr um eine intellektuelle Diakonie, die die zentralen Inhalte und Werte des Christentums, die ja immer auch eine humane und politische Dimension haben, für die Gegenwart zu entschlüsseln und aus ihrem Bedeutungsüberschuss, neue Einsichten zu gewinnen. Jürgen Habermas hat diese Stimme des Christentums anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2001 angemahnt, da "säkulare Sprachen, die das, was einmal gemeint war, bloß eliminieren, Irritationen hinterlassen". Wenn die christliche Theologie ihre vermittelnde Rolle nicht mehr einnimmt, dann entsteht notwendig ein Vakuum, auch was die ethische und politische Sprache betrifft.

Die Moderne anerkennen

Durch derartige Explorationen könnten zudem die Kontinuitäten in der europäischen Geschichte klarer hervortreten. Die positiven Erfindungen der säkularen Moderne gerade auch im Politischen (Menschenrechte, Demokratie) können so auch christlicherseits anerkannt werden. Erst auf dieser Basis ist eine konstruktive gesellschaftliche und politische Kritik möglich. Wenn sich das Denken jedoch in der Sackgasse einer defensiven Abgrenzung verfängt, lässt es sich paradoxerweise - wie Rahner feststellte - von der Rationalität des Gegners bestimmen.

Stimme wider Schieflagen

Eine anti-säkularistische Ökumene, die sich durch ihre Gegnerschaft gegenüber modernen Entwicklungen zu profilieren sucht, widerspricht dem in Schöpfung und Erlösung zugesprochenen Ja Gottes zur Welt trotz ihrer Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit. Sie versperrt aber auch den Weg zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den modernen politischen Institutionen in Europa.

* Zum zweiten braucht es heute mehr denn je eine unabhängige Stimme, die sich angesichts sozialer Schieflagen zu Wort meldet. Den Kirchen als größten karitativen Akteuren in Europa kommt hier eine bedeutsame Rolle zu. Durch ihre Wertoptionen können sie beträchtlichen Einfluss auf die Erziehung, die öffentliche Meinung und die Politik ausüben. Der gegenwärtige Ruf nach Ethik, das heißt nach humanen Orientierungen, zeigt, dass hier ein Vakuum besteht. Dies gilt für die private Lebensführung ebenso wie für die europäische Sozial-und Gesellschaftsordnung. Gerade hier geht es um tragfähige Solidaritäten, um angesichts von Globalisierung und Migrationen, Arbeitslosigkeit, und weit verbreiteter Armut, vor allem in den neuen und zukünftigen Mitgliedsländern, in Zukunft ein "menschenwürdiges Leben für alle" zu ermöglichen (Österreichisches Ökumenisches Sozialwort, 7).

Geschichte aufarbeiten

* Ein dritter Punkt: Mit der Vereinigung eines Großteils der Völker Europas unter dem politischen Dach der EU sind die historischen Gräben noch nicht endgültig überbrückt. Um das Einigungswerk auf Dauer zu stellen, muss die Geschichte im Geist der Versöhnung aufgearbeitet werden. Dies gilt zuerst für die Kirchen selbst, vor allem für das Verhältnis von West-und Ostkirchen. Während die Zugehörigkeit der orthodoxen Welt zu Europa für den Westen weitgehend aus dem Blick geriet, dominiert in den orthodoxen Kirchen bis heute ein negatives Bild des Westens, das durch die hegemoniale Stellung der säkularen westlichen Kultur noch vertieft wird. Bis zur vorurteilsfreien Anerkennung des jeweils anderen ist hier noch ein langer Weg zu gehen.

Es ist gerade deshalb wichtig, weitere Schritte zu setzen. Damit sich eine christliche Identität bilden und das Bewusstsein der Einheit reifen kann, braucht es nach Jahrhunderten der Trennung die Integration in vielen Bereichen. Die kirchliche Situation ist hier jener Europas durchaus analog. Wenn die Kirchen ihre Aufgabe, das europäische Gemeinwohl zu fördern, in ökumenischer Verbundenheit wahrnehmen, dann könnte diese soziale Ökumene ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur Einheit der Christen - aber auch Europas - sein.

Die Autorin ist Vorstand des Instituts für Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

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