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Europas Aufgaben

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Schon gute Tradition haben die vom „Institut für die Wissenschaften vom Menschen” veranstalteten Gespräche in Castel Gandolfo. Zum dritten Mal vereinten sich prominente Angehörige der „Republik der Gelehrten” trotz heißer August-Tage im Beisein des Papstes in dessen Sommerresidenz, um in interdiszipli-' nären Gesprächen Befunde zur Situation zu liefern.

War es 1983 eine Bestandsaufnahme der Wissenschaften und der Menschenwürde, 1985 „Uber die Krise”, so war es diesmal „Europa und die Folgen”.

Der Papst aus Polen empfindet die Teilung des Kontinents tiefer als andere: Wer, wie er, aus einem Land kommt, das in einer westlichen, lateinischen Tradition steht und nun zum östlichen Imperium zählt, kann sich nicht, wie manche Staatskanzleien, mit der Selbstverständlichkeit von Jalta abfinden und darauf warten, bis die politische Teilung unseres alten Kontinents auch in eine geistigkulturelle mündet.

Danach war auch der Teilnehmerkreis ausgesucht, der neben einem traditionellen Kern von Weltqualität wie Carl Friedrich von Weizsäcker, Leszek Kola-kowski, Le Roy Ladurie, auch Teilnehmer wie den Nobelpreisträger Czeslaw Milosz, die amerikanischen Historiker Fritz Stern und George L. Kline umfaßte, aber auch durch die Präsenz von Orientalisten sicherstellte, daß es nicht nur eine europäische Selbstbetrachtung war.

Dadurch war sichergestellt, daß der zweifellos vorhandene Universalitätsanspruch der europäischen Kultur in Frage gestellt wurde.

Die zweifellos von Europa und weitergehend von Nordamerika geprägte Weltzivilisation kann sicher nicht der Endpunkt einer Kultur sein, die durch den Eintritt Christi in die Geschichte geprägt ist. Dazu braucht es aber die Stimme der Christen in Europa.

Kardinal Franz König erinnerte in einem eindrucksvollen Referat an die geistigen Grundlagen Europas, aber auch an dessen jetziges Schweigen, das nicht zuletzt durch einen Mangel der Kenntnis der eigenen Identität entstanden ist. Die nicht zu leugnende Rolle der Aufklärung wurde einvernehmlich nicht als Gegensatz, sondern als eine dialektische Entwicklung des Kontinents und seiner christlichen Grundlagen verstanden.

Gerade daraus ist eine starke prägende Kraft geworden, die in viele Kulturen friedlich oder aber auch kriegerisch durch Rezeption oder koloniale Eroberung getragen wurde. Gerade die Auseinandersetzung im Islam ist von den Folgen dieser Entwicklung geprägt — die in den Medien als „Fundamentalismus” beschriebene Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten ist ebenso eine Identitätssuche, die ihrerseits wieder nach den Wurzeln sucht.

Neben der machtpolitischen Bedeutung dieser Konflikte ist es sicher auch ein geistiges Messen, wobei die Ergebnisse der europäischen Zivilisation ja nicht im Zusammenwirken der europäischen Nationen, sondern meistens im Wettbewerb, deutlicher noch, im Konflikt untereinander entstanden sind. Wenn wir uns heute nach der europäischen Einheit, nicht nur im Politischen, sondern auch im Geistigen sehnen, so muß darauf verwiesen werden, daß diese in steten Spannungszustän-den bestanden hat.

Weizsäcker meinte daher, daß aus diesem Spannungszustand drei europäische Aufgaben entstanden sind:

• Die Schaffung einer Marktform, welche soziale Gerechtigkeit und dadurch Freiheit ermöglicht;

• die Umwandlung des heutigen Waffenstillstandes der Weltmächte in einen politischen Frieden;

• die Versöhnung der Technik mit der Natur.

Niemand gibt sich der Illusion hin, daß diese Problemstellungen allein von Europa gelöst werden können, aber der Kontinent hat mit seiner historischen Erfahrung und ungeheuren Begabung die Aufgabe der exemplarischen Mitwirkung.

Dem stehen aber nach Ansicht vieler, etwa auch von Fritz Stern, historische Gegebenheiten und wiederaufkeimende Konflikte im Wege. So ist etwa die Rolle Deutschlands — so meinte Stern — in Europa eine der Schlüsselfragen für die Zukunft. Die späte Einigung und das koloniale Nachziehverfahren des Deutschen Kaiserreiches, die Weltkriege „gegen Europa” verlangen für die Zukunft eine starke Integration Deutschlands in Europa, um ähnliche Entwicklungen zu unterbinden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß auch die Rolle Österreichs dabei zur Sprache kam, wobei die Monopolisierung des Europagedankens durch die Europäische Gemeinschaft das Vergessen auf die kleineren Länder mit sich bringt. Die Sorge kam aber auch zum Ausdruck, daß man das heute dem östlichen Imperium angehörende Europa vergesse.

„Europa und die Folgen” war eine Bilanz der Ergebnisse der geistigen Entwicklung dieses alten, fast versunkenen Kontinents, aber auch eine Herausforderung für Christen, ihre Rolle in der Geschichte zu begreifen.

Der Autor — Vizebürgermeister in Wien — ist Ehrenmitglied des Vereines „Institut für die Wissenschaften vom Menschen”.

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