Glaube an Fortschritt genügt nicht

Werbung
Werbung
Werbung

Im Bemühen, die Religionen gemeinsam zu Friedensanstrengungen zu bringen, macht der Papst einmal mehr bewusst: Religion gehört zum Wesen des Menschen.

Die heikle weltpolitische Situation verlange daher eine große Anstrengung, um die Gefahren für den Weltfrieden abzuwehren. Nur wenn der Wille zur Gerechtigkeit und die Bereitschaft zur Versöhnung wächst, wird dies gelingen. Eine besondere Verantwortung liege angesichts eines solchen Bemühens nicht zuletzt bei den religiösen Führungskräften, in der aufrichtigen Zusammenarbeit aller Religionen; das heißt, nicht nur der christlichen Konfessionen, sondern auch der großen Religionen der Menschheit.

Daher wiederholt der Papst in diesem Dokument seinen Appell an die Vertreter der Religionen: es gehe darum, die christlichen Konfessionen und die großen Weltreligionen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen, um so die sozialen und kulturellen Ursachen des Terrorismus zu beseitigen. Andererseits gehe es aber ganz allgemein auch darum, die Erhaltung des Friedens in der einswerdenden Welt zu sichern.

Wörtlich heißt es im Text der Weltfriedensbotschaft: "Die christlichen Konfessionen und die großen Religionen der Menschheit müssen zusammenarbeiten, um die sozialen und kulturellen Ursachen des Terrorismus zu beseitigen." Dadurch ergebe sich zudem die Möglichkeit, "die Größe und Würde der menschlichen Person zu betonen" und "ein größeres Bewusstsein von der Einheit des Menschengeschlechtes zu schaffen". (Nr. 12)

Voraussetzung: Dialog

Einen solchen Hinweis auf die Zusammenarbeit der Religionen hat der Papst wiederholt getan. In seiner letzten Sozialenzyklika "Centesimus annus" (1991) hatte er zum Ausdruck gebracht: "Ich bin überzeugt, dass den Religionen heute und morgen eine herausragende Rolle für die Bewahrung des Friedens und für den Aufbau einer menschenwürdigen Gesellschaft zufallen wird". (Nr. 60)

Noch ausführlicher nahm er Bezug auf die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit, auf den interreligiösen Dialog am 6. Jänner 2001 (Novo Millennio ineunte, Nr. 55); nachdem er ausführlich auf die ökumenische Dimension im Jubeljahr eingegangen war, fährt er fort: "In dieser Sichtweise steht auch die große Herausforderung des interreligiösen Dialogs, für den wir uns auch im neuen Jahrhundert ... einsetzen werden. ... Der Dialog muss weitergehen." Und dieser Dialog sei wichtig, "um eine sichere Voraussetzung für den Frieden zu schaffen und das düstere Gespenst der Religionskriege zu vertreiben."

Wie sehr dieses Anliegen den Papst bereits seit vielen Jahren beschäftigte, zeigte seinerseits die erste Einladung, nicht nur der christlichen Konfessionen, sondern auch der Vertreter der Weltreligionen, nach Assisi im Oktober 1986, um so gemeinsam das Anliegen des Friedens in der Welt in den Gebeten der einzelnen Teilnehmer zu bekunden.

Wenn also der Papst am Schluss seines Weltfriedensappells des neuen Jahres die christlichen Kirchen und die Vertreter der Weltreligionen zu einer Begegnung für den 24. Jänner wiederum nach Assisi eingeladen hat, in die Stadt des hl. Franziskus, um dort für den Frieden zu beten, so ist die Überraschung diesmal nicht mehr so groß wie das erste Mal im Jahr 1986. Und dort, so der Papst wörtlich, wollen wir, im Sinne des hl. Franziskus "den allmächtigen Gott bitten, uns zu einem Werkzeug des Friedens zu machen". Damit will der Papst zum Ausdruck bringen, "dass das ehrliche religiöse Empfinden eine unerschöpfliche Quelle der Achtung und des Verstehens unter den Völkern" sei.

Dieser wiederholte Hinweis auf die Möglichkeit, ja, Notwendigkeit, nicht nur des ökumenischen, sondern auch des interreligiösen Dialoges, ist ein neuer Aspekt, nicht nur eine Ergänzung, sondern eine Weiterführung, über alle wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten der einswerdenden Welt hinaus. Dies ist aber auch ein neuer Gesichtspunkt, um die gesellschaftliche Bedeutung der Religionen, angesichts der großen globalen Probleme zu erkennen und zu verstehen.

Es ist daher eindrucksvoll, zu sehen, wie die christlichen Kirchen auf eine solche Herausforderung antworten: Die orthodoxe Kirche Russlands zum Beispiel hat ein wichtiges Dokument über die "Grundlagen des sozialen Konzepts der orthodoxen Kirche" veröffentlicht. Es ist dies das erste Dokument sozialer Art in der 1000-jährigen Geschichte der orthodoxen Kirche Russlands. Johannes Paul II. wird im Jahr 2002 ein Kompendium über die katholische Soziallehre veröffentlichen und die 14 christlichen Kirchen Österreichs werden im gleichen Jahr ein ökumenisches Sozialwort herausgeben.

Ökumene für Frieden

Hinter solchen Initiativen steht die Überzeugung, dass die Herausforderungen im neuen Jahrtausend zwar politische und ökonomische Maßnahmen brauchen. Gleichzeitig aber sind die Kirchen überzeugt, dass dazu wesentlich auch geistig-sittliche Kräfte sehr notwendig sein werden, um die Menschen und ihren guten Willen zu beeinflussen im Dienste des Friedens. Auch dies ist ein neuer Aspekt im Dienste der Ökumene christlicher Kirchen und aller Menschen guten Willens, sich zusammenzutun, um gemeinsam und wirksam in der Öffentlichkeit, im Dienste des Friedens und der Versöhnung, in Erscheinung zu treten.

In den ersten Jahrhunderten der christlichen Geschichte war es Aufgabe der Kirchenväter und ihrer Theologen, die "wahre Religion" gegen heidnische religiöse Formen und Gebräuche - zum Beispiel die Religion des Römerreiches - zu verteidigen und das Neue der christlichen Botschaft verständlich zu machen: das heißt, Gottes Wort in Menschengestalt durch Jesus von Nazaret, wie es im Glaubensbekenntnis der Kirche gesagt wird.

In der säkularisierten Umwelt von heute geht es aber darum, die Grundlage einer jeden Religion zu erfassen, das heißt, Antwort zu geben auf die letzten großen Fragen, die jeden Menschen bewegen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Welchen Sinn hat mein Leben? Was ist der letzte höchste Wert von Wirklichkeit für mein Leben? Aus dieser Sicht der Kirche und der Christenheit ist es heute Aufgabe der Christen, zu zeigen, dass Religion zum Wesen eines jeden Menschen gehört; dazu genügt nicht der Glaube an Fortschritt und Wissenschaft allein.

Daher ist es nicht zu verwundern, dass der Inhaber des Petrusamtes in der katholischen Kirche in Rom das Gemeinsame aller Religionen, den Hinweis auf letzte Werte und Verantwortung eines jeden Menschen bewusst zu machen versucht im Appell, alle Religionen sollen im Dienste des Friedens zusammenhelfen.

Der Autor ist emeritierter Erzbischof von Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung