Die Definition dessen, was der Terminus "Religion" zu einer bestimmten Zeit für eine bestimmte Glaubensrichtung bedeutet, hängt grundsätzlich stark von dem gesellschaftlichen Klima ab, in dem sich diese theologische Aufgabe stellt: Es gibt eine Interaktion zwischen "Gesellschaft" und "Religion". Dementsprechend war auch die jüdische Theologie in hohem Maße von ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld bestimmt, in dem sie als Fremde ihr ureigenes Sein zu entfalten suchte.
Dabei zeigt sich, wie gerade in Zeiten offenen kulturellen Austausches auf jüdischer Seite ganz bewusst Gehalt und Eigenart des jüdischen Glaubens reflektiert werden. Auch in den Jahrhunderten der Entstehung der Bibel und des Talmud war es immer wieder zu bestimmten Modifizierungen mit dem Ziel gekommen, die Kontinuität der eigenen Religion zu wahren und zugleich Raum zu schaffen für Weiterentwicklung und Anpassung. Moderne jüdische Theologie muss deshalb, wie jede Disziplin des Denkens, ihre Aufgabe für sich und für ihre Adressaten definieren. Rabbiner Louis Jacobs sieht ihre Aufgabe darin, "ein geschlossenes Bild dessen zu vermitteln , was man als Jude heute ohne Ausflüchte und bei Wahrung seiner intellektuellen Redlichkeit glauben kann".
Nach seiner Definition unterscheidet sich Theologie dabei grundlegend von anderen Perspektiven auf das Judentum, da der theologisch Interessierte der Wahrheit der wissenschaftlichen Lehre von Gott innerlich verpflichtet ist und sie ernst und persönlich nimmt als etwas, was sein Leben bestimmen kann. Es geht also darum, den tieferen Sinn der jüdischen Religion beständig neu zu durchdenken, in Auseinandersetzung mit der Tradition und im Licht der Gegenwart. Eugene Borowitz fasst dieses Phänomen in den Satz: "Jüdische Theologie ist das Produkt einer sozialen Kreuzung."
Der Autor ist Rabbiner und leitet das Abraham-Geiger-Kolleg an der Uni Potsdam
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!