Weiße Kreuzigung - © 2018 Artists Rights Society (ARS), New York / ADAGP, Paris

Jesus war Jude, durch und durch

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Das Verhältnis von Juden und Christen ist keineswegs völlig entspannt. Auch das Buch des lang­jährigen FURCHE-Autors und Rabbiners Walter Homolka über die „Heimholung“ Jesu macht das klar.

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Das Verhältnis von Juden und Christen ist keineswegs völlig entspannt. Auch das Buch des lang­jährigen FURCHE-Autors und Rabbiners Walter Homolka über die „Heimholung“ Jesu macht das klar.

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Der – jüdische – Ärger war nicht zu überhören: Die renommierte Monatsschrift Herder Korrespondenz (HK), die im deutschen Sprachraum als publizistische Schnittstelle zwischen theologischem und gesellschaftlich-intellektuellem Diskurs steht, brachte vor wenigen Wochen ein Spezial-Heft zum Thema „Die Bibel – Der unbekannte Bestseller“ heraus. Eigentlich kaum fassbar, dass unter den 19 Autorinnen und Autoren keine einzige jüdische Stimme zu lesen war. Sogar die Entwicklung der jüdischen Bibel findet sich nur im Beitrag des evangelischen Bibelwissenschaftlers Jens Schröter.

Die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschland (ARK) kritisierte dies scharf: Es mache ihn „sprachlos“, dass im HK-Heft „nicht eine jüdische Stimme“ zu Wort komme, schrieb der ARK-Vorsitzende, Rabbiner Andreas Nachama, an die HK-Redaktion. Diese konzedierte, es sei ein Versäumnis gewesen, keinen jüdischen Autoren zu Wort kommen zu lassen.

Unterlassung und Verstimmung

Hier beschriebene „christliche“ Unterlassung und die darauffolgende jüdische Verstimmung mag als Symptom fürs Verhältnis zwischen den beiden verschwis­terten (Papst Johannes Paul II. hatte die Juden bekanntlich als „unsere älteren Brüder“ bezeichnet), aber durch die antijüdische Geschichte des Christentums immer noch geprägten Religionen.

Obwohl seit der Schoa sowohl die Protestanten als auch die katholische Kirche ihr Verhältnis zum Judentum radikal erneuert haben, ist es weiterhin nicht selbstverständlich – siehe oben –, einander miteinzubeziehen, wenn es etwa um die Bibel geht.

In der Juni-Ausgabe der Herder Korrespondenz sprach denn auch Rabbiner Walter Homolka Klartext: „Über Jahrhunderte hinweg war das Verhältnis des Christentums geprägt von Usurpation und Entwertung des Textes, den der Jude Jesus als einen heiligen Text verehrt hat.“ Homolka bezeichnet es als „nachvollziehbar, wenn Rabbiner Andreas Nachama und meine Kolleginnen und Kollegen sensibel darauf reagieren, dass Juden und Jüdinnen nicht zu Wort kommen, wenn es um unsere heiligen Schriften geht“.

Homolka, Rektor des Berliner Abraham-Geiger-Kollegs, der ers­ten Rabbiner-Ausbildungsstätte im deutschen Sprachraum nach der Schoa, sowie Direktor der Jewish School of Theology an der Uni Potsdam, versucht seit Jahren ein kritischer Gesprächspartner für Christen zu bleiben und gleichzeitig, jüdische Theologie in Deutschland mit zu etablieren. Als Professor für jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der Jewish School of Theology hat er sich nicht zuletzt dem jüdischen Zugang zu Jesus verschrieben.

Sein eben erschienenes Buch „Der Jude Jesus – Eine Heimholung“ ist eine Zusammenfassung jüdischen Denkens in Bezug auf die Gestalt von Jesus: Der interessierte Christ kann entdecken, dass am jüdischen Ufer des Stroms, der beide Religionen verbindet und gleichzeitig trennt, der Mann aus Nazaret schon längst ein Thema war. Das Credo Homolkas auf den Punkt gebracht lautet: Jesus war Jude durch und durch, und es wäre Zeit, dass diese Erkenntnis auch die christlichen Zugänge zu Jesus durchdringt.

Homolka legt da einmal die jüdische Sicht auf Jesus von der Antike bis in die frühe Neuzeit dar, wobei er auch Themen, die vom christlichen Antijudaismus im Mittelalter als Beweis für den jüdischen Hass gegen Christen angeführt wurden, nicht ausspart. Insbesondere die „Toldot Jeschu“, die Sammlung frühmittelalterlicher Polemiken gegen das Chris­tentum, unterzieht er einer kritischen Darstellung.

Leben-Jesu-Forschung

Zentral im Buch ist aber die Nachzeichnung der jüdischen Leben-Jesu-Forschung, die Homolka durchaus in Spiegelung von deren christlichem Pendant, die den his­torischen Jesus freilegen wollte (was aber auch für Homolka letztlich nicht von Erfolg gekrönt war), vorlegt. Die Kontroverse des protestantischen Theologen Adolf von Harnack und seines Antisemitismus um die Wende zum 20. Jahrhundert mit dem Vordenker des liberalen Judentums, Leo Baeck (1873–1956), wird ebenso thematisiert wie spätere jüdische „Heimholungen“ Jesu im 20. und 21. Jahrhundert – Martin Buber, Schalom Ben-Chorin und andere.

Es ist interessant, wie viel von einzelnen jüdischen Denkerinnen und Denkern in Bezug auf Jesus zu Papier gebracht wurde – und es ist für Christen hilfreich, um diese Zugänge zu wissen. Der Wiener katholische Dogmatiker Jan-Heiner Tück würdigt im Geleitwort zum Buch denn auch diese „Heimholung Jesu“ explizit als „Anstoß“ und „wichtiges Korrektiv gegen eine geschichtsvergessene christliche Theologie“.

Dass aber zwischen Juden und Christen längst nicht alles eitel Wonne ist, erweist sich in der Auseinandersetzung mit Benedikt XVI./Joseph Ratzinger, dessen Jesusbücher Homolka wegen ihrer rein christologischen Sicht kritisiert. Auch Äußerungen des emeritierten Papstes zum christlich-jüdischen Dialog aus 2018, die auch innerkirchlich Protest hervorgerufen haben, stellen für Homolka einen Stolperstein fürs Verhältnis der beiden Religionen dar. Denn, so die abschließende Forderung Homolkas: „Unterschwellige und offene anti­jüdische Tendenzen dürfen für die christliche Identitätsbildung und Lehre keine Rolle mehr spielen.“

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