Die Entdeckung der Älteren Brüder

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Das II. Vatikanum beendete in der Konzilserklärung "Nostra Aetate“ auch den uralten christlichen Antijudaismus. Im Verhältnis zwischen Juden und Christen hat sich seither viel verbessert. Ungetrübt ist dieses aber noch nicht.

Immer wieder werden in der Auseinandersetzung um Europa dessen "jüdisch-christliche Wurzeln“ beschworen. Nicht nur Juden empfinden solche Rede auch als Geschichtsklitterung. Denn das Jüdische am Abendland galt jahrhundertelang nichts. Im Gegenteil. Die Schoa, die Judenvernichtung der Nationalsozialisten, deren erster Höhepunkt, die Novemberpogrome 1938, sich dieser Tage erneut jähren, konnte sich auch auf die Judenfeindschaft der Christen berufen. Für die katholische Kirche räumte das II. Vatikanische Konzil mit dem christlichen Antijudaismus auf. Es ist gerade das entsprechende Dokument "Nostra Aetate“, das von der zuletzt so umworbenen Pius-Bruderschaft zu den schlimmsten Fehltritten des Konzils gezählt wird. Die Absage an den Antijudaismus ist somit längst keine historische Tatsache, sondern heute immer noch aktuelle.

Die "perfiden“ Juden

In der vorkonziliaren Karfreitagsliturgie wurde in den Fürbitten auch für die Juden "gebetet“, genauer: "pro perfidis Iudaeis - für die treulosen Juden“, und weil es sich dabei um besonders heimtückische Menschen handelte, beugte die Gemeinde nicht die Knie, wie sie es bei allen anderen Fürbitten tat. Wohl hatte Pius XII. den Kniefall 1955 wiedereingeführen und Johannes XXIII. 1960 das "treulos“ gestrichen, aber immer noch hieß es in der Fürbitte: "Erhöre unsere Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor dich bringen: Möchten sie das Licht deiner Wahrheit, welches Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden.“

Wie so vieles beim II. Vatikanum war auch die Judenerklärung das Ergebnis einer längst in Gang befindlichen Entwicklung. Die Judenerklärung auf der Agenda des Konzils war eine Initiative Johannes XXIII. selbst gewesen, der dazu durch Kardinal Augustin Bea SJ oder auch den aus Wien emigrierten und in den USA lehrenden Theologen Johannnes Oesterreicher (1904-93) angestoßen wurde. Doch die Erklärung war auf dem Konzil umstritten, weil sie auch in die politischen Auseinandersetzungen um den jungen Staat Israel geriet.

Vor allem Bischöfe aus dem arabischen Raum fürchteten Nachteile für die Christen ihrer Länder und sträubten sich gegen eine eigene "Judenerklärung“. Es wird berichtet, dass Kardinal Franz König mit dem Vorschlag, die Aussagen des Konzils zum Judentum in eine Erklärung zu allen nicht christlichen Religionen einzubetten, den Durchbruch ermöglichte.

1965 beschlossen die Konzilsväter die Erklärung "Nostra Aetate“, die das kürzeste Konzilsdokument darstellt (vgl. dazu auch nebenstehenden Beitrag). Die Aussagen über das Judentum darin stellen eine Neubestimmung jenes Verhältnisses zwischen katholischen Christen und Juden dar, dass sich von den Kirchenvätern an auseinanderentwickelt hatte.

Zum einen beklagt die Kirche nun "alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben“. Zu einem Schuldbekenntnis angesichts des christlichen Antijudaismus konnten sich die Konzilsväter allerdings nicht aufraffen.

Gottes Bund mit Abraham

Zum anderen, was weit wichtiger scheint, rekurriert Nostra Aetate auf den Bund Gottes mit Abraham, durch den Christen und Juden verbunden sind. In der theologischen wie kirchlichen Entwicklung spielte dieses Motiv eine immer größere Rolle. In der nachkonziliaren Karfreitagsfürbitte findet das etwa markanten Niederschlag, wenn es dort heißt, Gott bewahre die Juden "in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will“.

In den fünf Jahrzehnten seither hat die im Judenkapitel von Nostra Aetate angestoßene neue Sicht des Judentums weitere Ausfaltung erfahren. An der Spitze der katholischen Kirche waren es vor allem die Zeichen und Worte Johannes Pauls II., der das stützte und festigte. Bei seinem bahnbrechenden Besuch in der Synagoge von Rom 1986 bezeichnete dieser Papst die Juden als "unsere älteren Brüder“: Auch dieses Wort ist seither ins Gedächtnis der katholischen Kirche eingeschrieben.

Ein privilegiertes Verhältnis

Auch in der Theologie setzte eine Entwicklung ein, welche die Betonung des Bundes zwischen den Juden und Gott zum Ausgangspunkt nahm. An äußeren Zeichen lässt sich ablesen, dass die katholische Kirche das Verhältnis zum Judentum als privilegiert gegen-über jenem zu anderen Religionen sieht. So wurde etwa die Päpstliche Kommission für die Beziehungen zum Judentum beim Rat für die Einheit der Christen angesiedelt und nicht bei Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog.

Viele Theologen nehmen das Wort vom "ungekündigten Bund“ Gottes mit Israel zum Anlass, zu bestreiten, dass Christen unter Juden missionieren dürfen. Andere - darunter auch Kardinal Christoph Schönborn - betonen dagegen den Missionsauftrag der Christen auch gegenüber den Juden.

Die Frage der möglichen Missionierung stellt für Juden nach all dem Erreichten einen der größten Stolpersteine im Verhältnis zu den Christen dar. Auch dass Papst Benedikt XVI., der bekanntlich den vorkonziliaren Messritus wieder zugelassen hat, zwar die alte judenfeindliche Karfreitagsfürbitte ersetzt hat, aber dabei eine Neuformulierung wählte, die von Juden als Missionierungsauftrag empfunden wird, zeigt, dass die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum verbesserungsfähig bleibt. Auch die Verhandlungen zwischen Rom und der traditionalistischen Pius-Bruderschaft, die bekanntlich Nostra Aetate strikt ablehnt, stellen in Bezug aufs Judentum keine vertrauensbildende Maßnahme dar.

Hingegen war in der großen Vergebungsbitte des Jahres 2000 auch die Schuld von Christen gegenüber den Juden eingestanden worden (zu einem Bekenntnis einer Schuld der "Kirche“ konnte sich diese da immer noch nicht aufraffen): Das durfte als weiterer, wenn auch noch lange nicht endgültiger Schritt auf dem Weg des Zueinanders von Christen und Juden verstanden werden.

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