Plädoyers für ein zuhörendes Christentum

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Bei seinem Besuch in der Großen Synagoge von Rom setzte Papst Franziskus ebenso neue Akzente wie bei den Aktivitäten zum Jahr der Barmherzigkeit. Auch das dieser Tage in mehreren Sprachen erschienene Interviewbuch des Papstes kreist um dieses Großthema.

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Bei seinem Besuch in der Großen Synagoge von Rom setzte Papst Franziskus ebenso neue Akzente wie bei den Aktivitäten zum Jahr der Barmherzigkeit. Auch das dieser Tage in mehreren Sprachen erschienene Interviewbuch des Papstes kreist um dieses Großthema.

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Beim dritten Mal begründet man eine Tradition, lautet ein jüdisches Sprichwort. Dass am 17. Jänner, an dem die christlichen Kirchen den "Tag des Judentums" begehen, Franziskus als dritter Papst nach Johannes Paul II. und Benedikt XVI. die Große Synagoge Roms besuchte, war zum einen nichts Neues mehr. Aber zum anderen dürfte es kein Nachfolger Petri sich mehr leisten können, die Gebetsstätte der Juden in der Ewigen Stadt nicht aufzusuchen. Auch wenn sich der derzeitige Pontifex mit drei Jahren nach seinem Amtsantritt mit dieser Geste "Zeit" ließ, gab es doch keine Zweifel an der ungebrochenen Achtung des Papstes für die "älteren Brüder", die sich ja schon in seiner Zeit in Buenos Aires manifestiert hatte. Franziskus nahm den von Johannes Paul II. geprägten Begriff wieder auf.

Franziskus beließ es aber nicht bloß bei der Würdigung der Konzilserklärung Nostra Aetate, die vor 50 Jahren den radikalen Wechsel der katholischen Lehre gegenüber dem Judentum markierte, sondern er merkte auch an, dass mit Nostra Aetate noch längst nicht alle theologischen Fragen geklärt seien. Als der Papst sagte: "Die Kirche erkennt die Unwiderruflichkeit des Alten Bundes und der fortwährenden und treuen Liebe Gottes zum Volk Israel an, auch wenn sie das Heil durch den Glauben an Christus bekennt", brandete in der Synagoge Applaus auf. Neben der Erinnerung an die Schoa, die Franziskus ansprach, sind Aussagen wie diese für die Zukunft des katholisch-jüdischen Gesprächs wichtig. Den jüdischen Gesprächspartnern dabei ist wichtig, dass sie in ihrem Glauben und als Volk Gottes ernst genommen werden. Vor allem die Befürchtungen, bei den katholischen Bemühungen um Dialog handle es sich im Grund um Missionierung, müssen von den katholischen Gesprächspartnern zerstreut werden. Diesem Papst nimmt man auf jüdischer Seite das ehrliche Engagement ohne Hintergedanken ab.

Barmherzigkeit auch im "Papstbuch"

Die ersten Wochen des neuen Jahres waren für Franziskus besonders im Zusammenhang mit Aktivitäten und Zeichen zum Jahr der Barmherzigkeit geprägt. Franziskus kündigte an, jeweils an einem Freitag eines Monats besondere Gesten der Barmherzigkeit zu setzen. Letzten Freitag besuchte er so - unangekündigt und außer Protokoll - ein Seniorenheim in Rom und traf sich mit allen dessen Bewohner(inne)n.

Auch das erste "Papstbuch" ist dem kirchlichen Jahresthema gewidmet: "Der Name Gottes ist Barmherzigkeit" ist ein großes Interview, das der italienische Journalist Andrea Tornielli mit Franziskus im Sommer 2015 geführt hat. Der Papst erläutert darin auch seine Motive, ein "Jahr der Barmherzigkeit" auszurufen. Er gebraucht dazu etwa das Bild der Kirche als "Feldlazarett", denn man erlebe zurzeit ein doppeltes Drama: der Sinn für die Sünde sei verlorengegangen, und die Menschheit sei von vielen "sozialen Krankheiten" wie Armut, Ausgrenzung oder Menschenhandel betroffen.

Ausführlich geht Franziskus auf die Beichte und das Sich-Schämen ein, die er als "Gnade" bezeichnet. Die Art und Weise, mit der sich der Papst der Spiritualität des Bußsakramentes widmet und auch manches Zeichen persönlicher Gläubigkeit werden manchem mitteleuropäischen Leser fremd scheinen - und sind zweifelsohne auch einer lateinamerikanischen Glaubenspraxis geschuldet, die hierzulande mitunter weniger zugänglich sind.

Aber dort, wo Franziskus zum Punkt seiner - geistlichen - Überzeugungen kommt, wird er wohl von allen verstanden, die verstehen möchten. Dass es um ein "Apostolat des Ohres" geht und nicht um Verurteilungen, legt er in Bezug auf die Beichte ebenso klar wie er die Mahnungen der Evangelien, siebzigmal sieben Mal zu verzeihen, in Erinnerung ruft.

Daneben präzisiert Franziskus auch seine Aussagen zur Homosexualität ("Wer bin ich, um zu urteilen?"), indem er auf die Würde von Homosexuellen verweist oder auch von Prostituierten - und er illustriert dies mit eindrücklichen Beispielen aus seiner eigenen pastoralen Praxis. Die Logik Jesu sei es gewesen, Böses in Gutes zu verwandeln, die Fernen zu erreichen, die Ausgegrenzten zu integrieren: Einmal mehr ist auch das "Papstbuch" ein für sich sprechendes Plädoyer für ein zuhörendes und verzeihendes Christentum, das sich Franziskus so auf seine Fahnen geschrieben hat.

Der Name Gottes ist Barmherzigkeit

Ein Gespräch mit Andrea Tornielli.

Von Papst Franziskus.

Kösel 2015.128 Seiten, geb., € 17,50

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