Judentum als Kultur mit vielen Facetten

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Am 17. Jänner begehen die Christen den Tag des Judentums. Der Wiener Judaist und Theologe Gerhard Langer ist - wissenschaftlich - in beiden Religionen zu Hause.

* Das Gespräch führte Michael Weiß

Gerhard Langer, Vorstand des Instituts für Judaistik der Universität Wien, im FURCHE-Interview zum "Tag des Judentums“ über die Aufgabe der Judaistik, das Verhältnis zur Theologie und den jüdisch-christlichen Dialog.

Die Furche: Das Judentum gehört im allgemeinen Sprachgebrauch zu den Weltreligionen. Aber ist es überhaupt zutreffend, von einer Religion zu sprechen?

Gerhard Langer: Ich würde sagen, das Judentum wird heutzutage wieder religiöser. Wir haben derzeit im Judentum eine Zunahme der Orthodoxie. Die genauen Zahlen sind schwer zu eruieren, aber sicher sind die Säkularen nach wie vor die Mehrheit. Das wird sich in den nächsten Jahren aber ändern.

Die Furche: Dennoch: Viele Juden, die von der Religion Abstand nehmen, verstehen sich dann trotzdem noch als "säkulare Juden“. So etwas wie "säkulare Christen“ gibt es in dem Sinn aber kaum.

Langer: Bei manchen spielt hier sicher die Schicksalsgemeinschaft, die durch die Schoa geschaffen wurde, eine große Rolle. Noch wichtiger ist aber, dass das Judentum von Anfang an nicht als rein religiöses Phänomen zu verstehen ist, sondern als Mischphänomen von ethnischer Zugehörigkeit, Bindung an das Land und Bindung an eine kulturelle Identität, wozu auch Religion gehört. Darin unterscheidet es sich grundlegend von anderen Religionen.

Die Furche: Das Judentum ist in der Öffentlichkeit - in Bezug auf seine Größe - überproportional vertreten. Es ist zum Beispiel allgemein bekannt, dass es sehr viele jüdische Nobelpreisträger gibt. Woran liegt das?

Langer: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zunächst einmal hängt das sicher mit der besonderen Beziehung des Judentums zum Christentum zusammen. Dem Judentum wurde - meist aus einer Abwehrhaltung heraus - im christlichen Kontext oft eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Eine Auswirkung davon waren seit dem Mittelalter berufliche Einschränkungen. In den jüdischen Gemeinschaften gab es daher verhältnismäßig mehr Ärzte, mehr Rechtsanwälte, mehr Menschen in freien Berufen. Und dann gibt es noch die mir sympathische These, dass das Bildungsideal des traditionellen Judentums dazu beiträgt, dass Judentum in der Gesellschaft wahrgenommen wird.

Die Furche: Was ist Aufgabe der Judaistik?

Langer: Die Judaistik hat die Aufgabe, das Judentum in all seinen Facetten, in seinen Tiefendimensionen zu beleuchten. Das heißt zum Beispiel, die Quellentexte in den Originalsprachen zu lesen und genau und kritisch zu analysieren und aufzuarbeiten, sie in einen historischen Kontext zu stellen, aber auch ihrem kulturellen Wert über die Zeit verstehbar zu machen. Das bedeutet auch dringende interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Disziplinen wie Geschichte, den Philologien, den Sozialwissenschaften etc.

Die Furche: Was kann die Judaistik für die heutige Gesellschaft leisten?

Langer: Wir haben einen Vermittlungsauftrag. Das heißt, es gilt, das Judentum einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich und verstehbar zu machen. Das Judentum ist eben nicht nur ein verlorenes, verschwundenes, durch die Schoa fast vernichtetes Phänomen, das man mit "schlechtem Gewissen“ in Erinnerung behält. Judentum ist als Kultur vorzustellen, die in vielen Facetten Herausragendes zur Entwicklung der Gesellschaft, zum sozialen Miteinander, zum Ethos, in Religion und Philosophie, nicht zuletzt im Bildungsbereich beigetragen hat und beiträgt.

Die Furche: In Deutschland, an der Uni Potsdam, wird seit einigen Monaten Jüdische Theologie als eigenständige Disziplin gelehrt. Ist das auch in Österreich wünschenswert?

Langer: Die jüdische Theologie in Potsdam ist hauptsächlich im liberal-jüdischen Kontext verankert. In Österreich ist das liberale Segment wohl zu schmal, um eine solche Einrichtung zu begründen. Von den orthodoxeren Gruppierungen ist vielleicht weniger Interesse da, weil eine wissenschaftliche Auseinandersetzung eines methodischen Ansatzes bedarf, der mit der Orthodoxie weniger vereinbar ist. Hier wird die traditionelle Rabbinerausbildung in den Jeschiwot, den traditionellen Talmudhochschulen, bevorzugt. Aber wenn es eine solche Initiative gibt, werden wir sie gern unterstützen.

Die Furche: Wie verorten Sie die Jüdische Theologie im Verhältnis zur Judaistik?

Langer: Die Judaistik beschreibt das Judentum als ein Phänomen von Kultur. Religion und Theologie sind Teile davon, die in diesem Rahmen analysiert werden, eingebunden in einen größeren Kontext. Judaistik ist für alle, unabhängig von ihrer Glaubenszugehörigkeit, offen. Die Theologie hat immer mit einer Binnenperspektive zu tun, ist konfessionell gebunden.

Die Furche: Da drängt sich die Frage auf, welche Daseinsberechtigung die Theologien überhaupt an den Universitäten haben.

Langer: Das ist eine sehr heikle Frage. Ich habe ja selber sehr lange an einer katholisch-theologischen Fakultät gearbeitet und sage ganz offen, dass ich höchste Probleme dann habe, wenn religiöse Gemeinschaften starken Einfluss auf die Ausbildung ausüben. Theologie ist eine wichtige und meines Erachtens unverzichtbare Wissenschaft, sollte aber von den Glaubensgemeinschaften weniger gegängelt werden.

Die Furche: Das sieht man auch bei der von muslimischen Verbänden geforderten Abberufung des islamischen Theologen Mouhanad Khorchide in Münster (vgl. S. 15, Anm.).

Langer: Ich glaube, es gibt ein grundsätzliches Problem. Sehr wohl können die Religionsgemeinschaften sagen: Wenn wir Leute anstellen sollen, verlangen wir bestimmte Grundvoraussetzungen. Das ist wahrscheinlich legitim. Aber gleichzeitig stellt sich die Frage, was passiert, wenn ich bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Stoff zu einem anderen Ergebnis komme als zu jenem, das sich die Religionsgemeinschaft "wünscht“. Ich sage nicht, dass die theologischen Fakultäten aus dem Rahmen der Wissenschaftlichkeit herausfallen. Ganz im Gegenteil. Aber ich plädiere dafür, dass sie von den Religionsgemeinschaften die größtmögliche wissenschaftliche Unabhängigkeit zugesichert bekommen.

Die Furche: Am 17. Jänner ist der "Tag des Judentums“, an dem sich die christlichen Kirchen ihrer jüdischen Wurzeln besinnen wollen. Werden diese genug gewürdigt?

Langer: Ja, ich denke schon. Da hat sich eigentlich in allen christlichen Konfessionen in den letzten Jahrzehnten einiges getan. Auch von jüdischer Seite wird christlichen Würdenträgern zumindest mit Respekt begegnet.

Die Furche: Was sind für Sie die großen Aufgaben, die sich hierbei stellen?

Langer: Was mir fehlt, ist, dass man in der christlichen Theologie bleibend - aufgrund der Tatsache, dass Jesus Jude war - sagt, wir sind auch gebunden an die jüdische Tradition, nicht nur in der Antike, sondern bis heute. Ich würde mir wünschen, dass christliche theologische Institutionen die Methoden und Erkenntnisse der jüdischen Tradition mehr in ihre eigenen Lehren einbeziehen und die Kirchen diese reflektieren.

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