Licht … eine Gottesgeschichte

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Die christliche Nonne Silja Walter, die jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler, die muslimische Autorin Fadwa Tuqan: Poetische Spurensuchen nach Licht.

Es ist von einer Bildkraft, die man so schnell nicht vergisst, was Silja Walter, die inzwischen 90-jährige Benediktinerin vom Kloster Fahr bei Zürich, für ihren glaubenslosen Bruder gedichtet hat:

Vom frühen Morgen an / lief ich durch alle Türen / auf einen armen / Juden / zu / und fiel / als die Nacht kam / in die Sonne

Man mag es ein Ostergedicht nennen oder ein Weihnachtsgedicht, oder das Stenogramm mystischer Erfahrung – die Nacht ist die Voraussetzung für das bestürzende Ereignis Licht. Auch in der Biografie Silja Walters. Sie schrieb das Gedicht für den Zyklus Die Feuertaube, Untertitel Für meinen Bruder, nach einem auch medial dokumentierten Gespräch der Geschwister nach 20 Jahren Trennung und religiöser Entfernung voneinander. Hier die Nonne in ihrer Klausur, dort der um zehn Jahre jüngere linke Literat und intellektuelle Atheist.

Ich muss melden, lautet ihre lapidare Begründung für das Schreiben fast ausschließlich religiöser Texte, melden vom Licht. Melden auch vor dem Bruder, ihm ihren Glauben erklären und dabei leidvoll an die Erkenntnis stoßen, nicht imstande, unfähig zu sein, das Absolute zu beschreiben. Und zu erkennen, dass eine poetische Annäherung an Gott – wenn überhaupt– nur in paradoxen Sprachbildern möglich ist. Deshalb sind die Gedichte für ihren Bruder nicht nur auf der Höhe der Literatur des zu Ende gehenden vorigen Jahrhunderts, sie gelten geradezu als Beispiele redlicher religiöser Rede. Und so werden sie erhalten bleiben – als bezeugende Narben von einer Erfahrung, die sie einen Schnitt aus Licht nennt.

„Ich sehe ihn nicht“, sagte der Bruder damals (inzwischen schon lange verstorben), „ich sehe diesen Gott nicht!“ Und die Schwester antwortete mit einem Weihnachtsgedicht voll schmerzlicher und schroffer Schönheit:

Abwesenheit ist / dein Wesen / darin finde ich dich / … / Aber da bist du / darin / seit das Kind schrie / bei den Schafen / und brennst / lichterloh zu mir

Licht, Feuer, Sonne. Das in ihren vor Kurzem erschienenen Lebenserinnerungen (Das dreifarbene Meer, vgl. Buchtipp unten) diskret angedeutete Berufungserlebnis war ein großer dunkler Vogel an einem schwarzen Bergsee, dem folgte der monastische Exodus durch sechs Jahrzehnte Kloster – geleitet von Feuersäule und Lichtwolke: Tröstung und Licht. So eindeutig jesuanisch das eingangs zitierte Gedicht vom Lauf durch die Türen und dem Sturz in die Sonne interpretiert werden kann, so eindeutig ist auch der Bezug zum Licht im jüdischen Glaubenskosmos.

Das Judentum ist berufen, „Licht für die Völker“ zu sein, sein Symbol ist der siebenarmige Leuchter. Als Zeichen für die Gegenwart des Ewigen unter den Menschen hat es das Ner Tamid, das Ewige Licht, erfunden, das vor dem Tora-Schrein brennt.

1933 bis 1938 bereitete sich Silja im Lehrerinnenseminar von Menzingen im Kanton Zug auf den Lehrberuf vor. Zur selben Zeit irrte eine aus Deutschland verscheuchte jüdische Dichterin durch die Schweiz: Else Lasker-Schüler. In der „Fremdenpolizeilichen Weisung“ der Stadt Zürich erfährt sie, dass ihr die „Erwerbstätigkeit als Dichterin … bis auf weiteres verboten“ bleibt. Der letzte Text, den sie veröffentlichen konnte, war der – auch bei Kennern nahezu unbekannte – Essay Die Seele und ihr Licht. Darin beschwört sie die Leser, sie sollten sich doch endlich ihres inneren Lichtes besinnen:

Undurchleuchtet sind wir Menschen tot; das Licht bewegt uns – und wir schädigen uns, indem wir unseren kostbarsten Schatz vernachlässigen, unsere Seele. (…) Liebe geknüpft an Liebe ergibt Licht. Erleuchtete Menschen schreiten über gelichtete Wegewigkeiten, unerleuchtete stolpern über Mensch und Tier und Blume, rücksichtslos und verständnislos über das Herz der Welt.

Eine jüdische und eine christliche Nachschau

Zu Weihnachten 1932, die sie noch in Berlin verleben durfte, schrieb Else Lasker-Schüler die Betrachtung Der Weihnachtsbaum. Darin heißt es:

Jeder Mensch möchte wenigstens ein einziges Mal GANZ im Lichte stehen … Nur die Liebe vermag den Wandel vom Dunkelsein zur Lichtwerdung zu vollbringen. Die Liebe will immer Weihnachten feiern, will anzünden und angezündet werden, beschenken und behangen werden mit bunterlei Sternen.

Trotz vieler christlicher Anklänge ist sie zeitlebens unverbrüchlich zu ihrem Judentum gestanden, zu meinem kleinsten Volk unter den Völkern, dem ich mit Herz und Seele angehöre. Zuletzt noch – todtraurig im Exil in Jerusalem – las Else Lasker-Schüler immer wieder aus ihren Gedichten. Wir konnten sie dabei nicht sehen, berichten Augenzeugen, nur ein Jugendfoto von ihr, das sie ins helle Licht einer Kerze stellte.

Silja Walter ist genau 50 Jahre nach Else Lasker-Schüler zur Welt gekommen. Während die ältere im Winter 1944/45 ohne Trost im Exil in Jerusalem ihrem Tod zudämmerte, laborierte die Jüngere noch immer an einer Lungenkrankheit – und an einer antwortlosen Gottesfrage:

Niemand war da, der mich Gottes wegen trösten konnte. Nichts und niemand stand mir bei gegen ihn … derweil Er, der Allmächtige dastand in mir und um mich in der Finsternis.

Vielleicht haben die beiden Frauen nichts als ein bedingungsloses Hängen an Gott gemeinsam. Deshalb begegnet man auch beider Namen recht oft schwesterlich nebeneinander, bei Lesungen, in Gedichtanthologien und in Zitaten in Vorträgen über Gott in der Literatur, in Gottesdiensten.

Licht über Licht – auch im Islam

Licht über Licht – da muss auch vom Islam die Rede sein. Es ist nicht nur orientalische Poesie, dass „Minarett“ im Arabischen „Platz des Lichtes“ bedeutet. (Wie mögen die Benediktinerinnen im Fahr, dem Kloster der Sr. Maria Hedwig, alias Silja Walter, den Ausgang der Minarett-Abstimmung aufgenommen haben?)

Am Anfang der abrahamitischen Religionen steht die „fettspendende Wurzel des Ölbaums“ Israel. Ohne sein Öl kein Licht in den Lampen der Juden, der Christen, der Muslime. Im Islam wird die Bedeutung des Lichts mit dem Öl dieses Olivenbaums in Verbindung gebracht; im 35. Vers einer der schönsten Suren des Koran, die An-Nur, „Licht“, genannt wird, heißt es:

Gott ist das Licht der Himmel und der Erde. / Das Gleichnis Seines Lichts ist / wie eine Nische, in der sich eine Lampe befindet. / Die Lampe ist in einem Glas. / Das Glas ist gleichsam ein funkelnder Stern, / angezündet von einem gesegneten Baum, einem Olivenbaum, / der weder östlich noch westlich ist / und dessen Öl fast schon leuchtet, ohne dass Feuer es berührt: / Licht über Licht!

Dieser Vers ist im Islam so berühmt, dass jede Anspielung darauf sofort verstanden wird. In dem Gedicht Vor dem verschlossenen Tor von Fadwa Tuqan, der bekanntesten palästinensischen Dichterin (gest. 2003), evoziert eine einzige Zeile den ganzen Vers und gibt der Erinnerung an familiäre und religiöse Geborgenheit Raum und Licht. Es ist Klage, Heimweh, Gebet.

O Herr des Hauses – / Offen war einstmals dies Tor, / und der Platz eine Zuflucht für alle mit Schmerzen Belad’nen. / Offen war einstmals dies Tor, und der Ölbaum – / grün, frei sich erstreckend – / umarmte das zärtliche Haus. / Und das Öl leuchtete schon ohne Feuer …

Dann endlich daheim. Der Lichtglanz Gottes erleuchtet das neue Jerusalem, da werden Gott und das Lamm alleine das Licht sein. Silja Walters Agnus Dei-Vision (da fließt es schon / her / da fließ ich schon / hin / Feuerlamm / aus der Goldstatt…) erinnert an alle jüdischen und christlichen Endzeitvisionen voller Licht – und an ihre mystischen Schwester Mechthild von Magdeburg, die ein fließendes Licht meiner Gottheit in alle Herzen wünschte. Es wäre ein weiteres Kapitel der unendlichen Gottesgeschichte Licht.

* Der Autor leitete bis 1999 die Religionsabteilung beim ORF-Hörfunk

Ozean Licht

Festgabe für Silja Walter zum 90. Geburtstag. Hg. Ulrike Wolitz. Paulus Verlag, Fribourg 2009.184 S.

geb. € 20,40

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