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Eine Träne an der Wimper

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Wenn die letzte Zitrone geerntet •ist und die erste Aprikose mit flaumigem Glänzen in den hellaubigen Bäumen reift, neigt sich auf Rhodos der Monat Mai dem Ende zu, und der zuweilen noch von leichten Wolkenlämmern überhauchte Frühlingshimmel verwandelt sich zum ewigen Blau des Sommers. Immer länger weilt die Dämmerung blau und rot an allen Horizonten, und der Tag graut nun schon bald nach Mitternacht.

Ali schüttelt zwar den Kopf, daß ich schon in diesem Grau des Morgens fahren will. Aber er gehorcht, wenn auch nur mit dem vorwurfsvollen Murmeln eines trotzigen Kindes.

Ali ist noch vorzustellen, denn er wird nun mein Gefährte sein, wenn ich auf Entdeckungsfahrt durch meine Insel nach den Wundern forsche, die die Sage rühmt und meine Sehnsucht fordert. Lange habe ich geschwankt, bevor mich Alis viel empfohlene Verläßlichkeit bewog, ihn aus der Schar der Konkurrenten auszuwählen. Sein Auto ist zwar nicht mehr letzte Mode, dennoch fährt es leidlich auf wohl gewiegten Federn, und sein Geklapper übertönt zumindest nicht jeden anderen Laut. Ein melancholisch sanftes Blau ist sehr verwittert noch in Spuren zu erkennen, und über den vier Sitzen flattert wie ein frohes Segel ein Dach, leicht abzunehmen. Dies Dach verlockt mich ganz besonders, weil es mir den offenen Himmel schenkt. Ali, dessen Broterwerb sein altes Auto ist, gehört dem Volk der Türken an, doch sicher schon vermischt mit Griechenblut und auch mit anderen Tropfen von des Mittelmeers Gestaden, und so vermischt hat er das Feuer und die träge Seele aller Küsten, von jeder etwas und von keiner etwas ganz. Man nimmt die Mischung hin, meistens geduldig, zornig und wiederum getröstet, weil er ja nur für eine Weile zum Begleiter wird. In seinem spitzbübisch angehauchten und oval gerundeten Gesicht leuchten zwei große, rabenschwarze Augen und, alles in seinem Glänze überstrahlend, ein strammer, schwarzer Schnurrbart. Die Haare quellen wie eine Mähne schwarz auf allen Seiten unter seinem roten Fez hervor, der mir auf seinem Kopfe angewachsen scheint, mit dem er schläft und ißt, sich wäscht und Auto fährt, und dessen Rot nur mehr Erinnerung an die Farbe ist, die einmal vor dem Schmutz war, der ihri jetzt sehr unerfreulich schmückt. Die Haut auf seinen Wangen unter den großen Tränensäcken ist faltig und gegerbt von Wind und Sonne.

Da ich ihm das erstemal, er spricht recht gut französisch, meine Wünsche unterbreite, starrt er mich mit Staunen an. Wenn er mich recht verstünde, stottert er, wolle ich ihn und sein Fahrzeug gleichsam für vier Wochen kaufen. Fast einen ganzen Nachmittag opfere ich für die Verhandlungen, die wir auf der Hafenmole führen. Doch seine Forderung ist so hoch, daß wir uns am Abend un-eins trennen, auf meiner Seite voller Zorn, auf seiner klagend, vorwurfsvoll und scheinbar tief gebeugt. Schon früh am nächsten Morgen kommt er wieder, als er sieht, daß ich mit Omar, seinem bestgehaßten Konkurrenten, schon verhandle. Seufzend nimmt er meine erste Zahlung und versichert, es wäre sein Ruin.

An diesem Tage streife ich durch alle Läden und versorge mich mit jenen vielen, kleinen Dingen, die das Leben in der Einsamkeit dort draußen auf der Insel leichter machen und die Fahrt verschönern sollen. Zuerst erstehe ich ein leichtes, grüngetöntes Zelt mit zierlich weißen Stäben, dann zwei Decken, Kissen, eine Kiste mit Konserven, Zwieback, Feigen und Rosinen, Schokolade, Tee und Kaffee, dazu Gläser, Teller und Besteck. Auch ein kleiner Kocher wandert in die Kiste, die mir Ali immer noch mit vorwurfsvollen Blicken in das Auto packt. Dann ist er entlassen, und ich wandere zurück zur letzten Nacht in meinen goldenen Käfig.

Mit der Sonne gehe ich schon früh zur Ruhe. Doch so leicht kommt noch der

Schlummer nicht. Mich bedrängt ein unruhvolles Pochen, das vom Herzen aus mit meinen Pulsen bis in jede Ader dringt. Knabenhaft ist die Erwartung. In mein Schlafgemach tönt von der nächtlichen Terrasse draußen leise Tanzmusik, und ein mildes Licht von rosa Lampen glüht in meine Dunkelheit. In der Dämmerung umschwebt mich die Gestalt der weißen Göttin. Im Entschlummern denke ich an meine kleinen Söhne in der fernen Heimat, und von ihrem Dasein fließt ein Trost in meine Einsamkeit. Plötzlich sehe ich ihre schlafenden Gesichter wie zum Greifen nah vor mir, und ihr ruhiger, tiefer Atem strömt als Windhauch über meine Stirn. Die Stunde ist vom Hauch des Mütterlichen angerührt. Eine Welle hebt und senkt sich in der Brust, des Glückes und der Träume zaubervolle Nähe hüllt mich ein, und ich fühle mich auf einem sterngeschmückten Wagen in den Götterhimmel sanft emporgetragen.

Solcher Gegenwart des Fernen mächtig, fährt mir ein Gedanke durch die Stirn: Nichts ist außerhalb von uns, was wir in unserem Innern tragen und besitzen. Wohnt nicht alles Leben, alles Wünschen, Wollen, Hoffen und Entsagen wie e i n Atemzug in unserer eigenen Brust? Wird er erst erlöst und frei, wenn uns die Bescheidung solchen Wissens kommt? Unruhvolles Herz! Wer besänftigte dein Schlagen? Woher kam das Glück, das seine Kammern füllte? War ich auf der Spur des ewigen Menschengeistes, die mich so beseligte? War es die göttliche, die einzige Natur, die mich in ihre Arme hob und mir den Frieden ihres Daseins schenkte? Das schimmernde Eiland schmolz mir im Schauen und Bedenken wie ein kostbarer Edelstein, funkelnd klein und doch vielgestaltig in die Fläche der Hand. Da schaute ich auf sie nieder, auf Farben und Formen der Täler und Berge, der Wälder und Wüsten, der Haine und Quellen und auf den Zauber der großen Kontur. Die Musik aus den Stimmen des Windes, des Meeres, der Tiere, der Bäume stieg verhalten zu mir empor, und ich fühlte mich fast wie der Schöpfer selbst, der ruhigen Auges hinabblickt auf die Vielgestalt seines entrückten Werkes. Vielstimmige Chöre riefen mich aus den Tiefen, Jahr-Hinderte zogen an meinem Blick vorbei, .eid, Lust, Erfüllung, Versagen, Leben ind Tod. Städte wuchsen und sanken lahin, Geschlechter schwangen sich in len Sattel der Herrschaft und stürzten vieder ins Dunkel der Masse hinab. Aus Worten, in Noten, aus Marmor und steinen schufen Künstler, Narren und Kinder, an ihrem Werk, und zwischen Apoll und Dionysos hin und her gerissen, ging die Welt bald zerstörend, bald zeugend ihren furchtbaren Menschenweg. Gleich -dem Adler, von seinem Allgefühl trunken, schwebte ich als Bote Gottes über dem Paradies, das doch zugleich ein Stück der dunklen Kraft der Erde war, die so oft verwandelnd und zerstörend das Land erbeben ließ. Ich fühlte in den

Stürmen mein eigenes Herz über der Insel schweben, ich war ein Stern, der nächtens auf das Eiland niederschaute.

Ach, bin Ich schon in Traum und Schlaf versunken? Oder reißt mich nur eine Vision so kühn empor? Ich fühle eine Träne an der Wimper hängen, und zugleich faltet ein Kinderlächeln meine Wangen. Der Morgen steht wie eine Flamme nah vor mir. Er ruft mich schon. Dankbar und reinen Herzens will ich seinem Rufe folgen. Die Träne an der Wimper wird zur Flut des Weinens, bis der Schlaf es stillt.

Aus dem noch unveröffentlichten Werk .Aphrodite lächelt ... Erlebtes und Erträumtes von der Insel Rhodos.

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