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Begegnung

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Sonntag! Stille über dem Land. Das goldene Brot in den Halmen wogt in einem weiten Meere, in dem der Mohn wie blutrote Rubine leuchtet.

An den Rändern der berglehnigen Wälder äugt das Reh aus dem Dunkel seiner Fleimat in die gleißende Sonnenhelle des Tages.

Im blumigen Wiesenweg geht die junge Lehrerin des Dorfes. Wie Menschen, die mit den Vögeln dahin fliegen möchten, die nidit Wurzel schlagen in einem Stück Land, deren Sinn und Sein in steter Bewegung, im freudigen Rhythmus schwingen.

Gespannt sieht sie den Weg entlang. Eine Jugendgefährtin hält hier in der Umgebung eine achttägige Rast. Nach sechs Jahren das erste Wiedersehen! Wie sie wohl aussehen mochte die junge Medizinerin? Mit einem kleinen Lächeln hält die Wandernde Vorschau. Ob sie noch immer so sommersprossig und so unpersönlich im ganzen äußeren Fiabitus war?

Zufrieden nimmt das Mädchen den Spiegel aus dem Täschdien und mustert mit hoch-gezogener Stirn ihr Aussehen. Blonde Haare, gut gewellt braune Augen — nirgends ein Fältdien oder eine Rauhheit des Teints, nur die Wangen etwas blaß und nidit einmal die Sonne tat ihr den Gefallen und legte ein bißdien Rot darauf. Darmm -— aus dem bercitgehaltenen Döschen ein wenig nadi-geholfen! Sehr diskret vertiefte sie noch im Gehen das Rot ihrer Lippen und erst jetzt war sie ganz zufrieden. Der Mensch hatte die Pflicht, gut auszusehen. Schönheit — Kultur — der Sonne Leuchten ins Antlitz bannen, das war doch alles der Jugend heiliges Recht.

Neben dem Weg lief der muntere Bach. Kristallene Blinken mi feinen Wellcn-gekräusel. Helle verstreuend, lustig versprühend der Sonne Geschenk. — Wie ein silbernes Spitzengenischel auf grünem Samt, so denkt entzückt das Mädchen.

Licht an der Oberfläche.

Nun wandern sie gemeinsam die beiden Jugendgefährtinnen. Sie waren tief drinnen im Jugendland und holten sich seltene Freude in die Stunde.

Die junge Lehrerin merkt nicht, wie unaufhörlich sie am Erzählen ist, daß sie um ihr Ich ein ganzes Wildrosengeblüh schlägt.

Und wie sie im Waldschatten lagern, fährt die Ärztin der Gefährtin leise über das Haar.

Das stoppt den sprudelnden Redestrom ab. Die Augen der Lehrerin werden mit einem Male groß. Sie versinkt plötzlich in ein wortloses Schauen.

Sommersprossen gab es im Antlitz der Freundin wirklich nodi in Massen. Audi der schlichte Scheitel war der alte. Und Fältchen. richtige, feine Fältchen gab es auch sdion auf der Stirn und den Augen herum. —

Aber was war das? Warum wurde das alles so nebensächlich in dem stillen, warmen Mensdienantlitz vor ihr? Waruni mußte man wie gebannt in die Augen der anderen sehen, die in klarer Ruhe, in einem tief innerlichen Leuchten auf- sie blickten?

„Regini, du bist glücklich?“ Das war eine Frage, die die Antwort in sidi trug.

„Ja.“ Bei diesem Ja sah die Ärztin verloren in Weite. Dann, sidi besinnend, erzählte sie der Jugendgefährtin: ..Zuerst machte ich in Wien, dann in Burgenland in einem Militärspital und jetzt wieder in 'Witü Dienst. Unser Flaus ist durch Bomben zef-stört — ich wohne in Hietzing bei einer alten Dame —.“

„Und deine Mutter?“ erschreckt fragt es die Zuhörerin.

..Mutter ist tot. Die Bomben —.“ Die Lippen der Ärztin zittern. Aus ihren Augen Schaut das Menschenleid.

Die Hämle der jungen Lehrerin ver-krampfen sidi im Moos, auf dem sie sitzt. Audi hier der Jammer! Immer wieder dieser unselige Jammer, wohin man seinen Fuß setzte. Gewaltsam will sie ein glückhaftes Bild in die Stunde reißen, damit ihr Gold-glanz nicht ganz, entlloh. —

„Du wirst heiraten, Regina!“

„Mein Verlobter ist gefallen.“

Auf dem hödisten Gipfel einer Föhre pfeift eine Amsel ihr Lied in die blauen Fernen. Ein kleines Glöcklein bimmelt von der lorfkapelle her.

„Und du. du sagst, du seiest glücklich?“ Verstört, Tränen in den Augen, schreit fassungslos ein junges Menschenkind auf.

Regina Hammerstein sdilägt die Hände ineinander. Dann sitzt sie still, ganz tili vor der anderen.

Klarheit und Licht decken die Erde. Sdiönheit und Wärme stehen im Tag. Und der Cottesodem speist die, die ihre Seelen Offnen. —

„Ja, Angelika, schwarz waren die Stunden, ich verlor darüber fast die Spannkraft meines Lebens. — Da bat ich Gott, mich meiner Sendung in dem Leben, das so sinn- und zwecklos für mich geworden war, dodi bewußt werden zu lassen. Ich bat und bat immer wieder. —

So lernte ich erkennen, daß das Leid kein Tiefpunkt des Lebens ist, daß es ein Sendling bleibt aus des Schöpfers Weisheit und Güte. —

Man teilte midi einer Kinderabteilung zu. Angelika, diese Kinder, sie waren Blumen für mich, die blühen wollten und nicht konnten. — Mein persönlicher Schmerz wurde stiller, das Mitleid größer, lebendiger. Ich litt mit den Müttern und wenn die kurze Besuchszeit um war, dann mühte ich mich um die ausgesperrte Liebe. Sie mußte, aus dem Vlerzen kommend, in meinen Augen strahlen, in meinen Händen fühlbar werden. — Oh, die Kleinen unterschieden genau, wo die Wirklichkeit war und wo es nur beim Wollen blieb.

In den versdiiedenen Abteilungen des Krankenhauses, wo ich zwischendurch eben falls Dienst machte, sah ich Menschen sterben. Sterben nach einem vertanen Leben und sterben nach sinnvollem, pflichteigenem Leben. Und diese Stunden redeten die lauteste Sprache, Tn fast allen stand Gott und sonst nichts. Was immer die Menschen verllucht und verachtet im Leben hatten, im Sterben konnten sie es nicht. Und so hielt auch idi mich in meinem Leben an dem, was idi im Sterben bestehen sah. —

Daraus kam mir Kraft. Die Kraft zu größerer Liebe.

Ich mußte im Schwersten des Menschen, in seiner Todesstunde, nidit mehr mit leeren

Händen stehen. — Faßte mich einer in Angst vor dem dunklen Tor, das sich auftun sollte, so sprach ihm meine Überzeugung von der Heimat, in der so viele Lieben auf ihn warteten. —

Einer alten Tirolerin sagte ich einmal: iGleich bischt oben am Berg, Mutterle, und 's Licht löscht nimmer aus —' da lachte sie hgll auf und starb.

Und siehst du, Angelika, das ist meine Freude. So seh' ich für uns Junge das Leben, das niemals Selbstzweck sein kann. Wie vielen Menschen sind die Schwingen gebrochen, um noch einmal aus eigener Kraft glücklich zu werden. Steht da unser heiligstes Recht nicht dort: Leuchte zu sein im trübsten Dunkel, — Mut zu sein in tiefster Verlassenheit —?“

Die Abendsonne vergoldet das Land, über das die Dunkelheit einbrechen wird, um um so hellet und sieghafter das Morgenrot leuchten zu lassen. —

Der Jugend heiligstes Recht! Hatte sie das heute nicht auch schon einmal gedacht? überlegt die Lehrerin.

Glühende Röte “überzieht ihre Wangen. Das Farbendöschen in ihrem Täschchen klirrt gegen den silbernen Lippenstift. — Wie ein ^ aufgescheuchtes Reh eilt sie über den Hang hinunter zum lustigen Bach. Und — in seinem klaren Wasser wäscht sie sich das Gesicht. Wäscht sich allen verlogenen Zauber daraus und — die Scham aus ihrem Herzen. Flammend fallen die Sonnstrahlen in das Wasser ein, den kleinsten Stein, den kleinsten Flimmer Grün am Grunde bloßlegend.

Licht in der Tiefe.

Dann steht die Lehrerin Schulter an Schulter mit der Jugendgefährtin. Die Banner der Liebe und Wahrheit in der Hand und im Antlitz die edle Schönheit der vom Lichte Gesegneten.

Die Liebe Gottes streicht über sie hin. die das Land schauen, in dem für die Menschen das Glück wohnt.

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