Matter Friede auf US-Krücken

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Die Entscheidung über den endgültigen Status der nordbosnischen Stadt Br'cko wird von der internationalen Gemeinschaft seit über zwei Jahren vertagt.

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Die Entscheidung über den endgültigen Status der nordbosnischen Stadt Br'cko wird von der internationalen Gemeinschaft seit über zwei Jahren vertagt.

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Brcko ist die einzige Stadt in Exjugoslawien, um die immer noch gekämpft wird, zwar nicht mehr militärisch, aber umso heftiger politisch. Kurz nach Kriegsbeginn, Anfang Mai 1992, eroberten die Truppen der bosnischen Serben die 30.000 Einwohner zählende Stadt an der Save. Die heimische Bevölkerung - Moslems und Kroaten - floh oder landete in Gefangenenlagern, wo Mißhandlung und Mord auf der Tagesordnung standen.

Nach dem drei Jahre später im US-amerikanischen Dayton erreichten Frieden wurde Brcko als die einzige serbische Stadt aus dem Friedensvertrag ausgeklammert. Seit 1996 steht die Stadt unter internationaler Kontrolle. Laut Volkszählung stellten vor dem Krieg Moslems 44 Prozent, Kroaten 25 Prozent und Serben 21 Prozent der Stadtbevölkerung. Im Krieg wurden 70 Prozent der Bevölkerung ausgetauscht und es wurde eine rein-serbische Zone errichtet. Um diese Situation einzuzementieren, wurden im Frühjahr 1996 auf Initiative der serbischen Regierung in dieser Gegend Tausende serbische Flüchtlinge aus Sarajevo angesiedelt. Dadurch wurde auch die Rückkehr der früheren Bewohner verhindert.

Heute gibt es in der Umgebung von Brcko unzählige beschädigte oder leerstehende Häuser. Auf Veranlassung der UNO werden hier vor allem moslemische Flüchtlinge, bislang sind es etwa 7.000, angesiedelt. Das nötige Baumaterial bekommen sie von der Europäischen Union und der UNO unentgeltlich. Viele bauen selbst, den anderen helfen professionelle Baufirmen.

"Es gibt viele Häuser, die wir jetzt instandsetzen wollen. Doch es gibt leider viele serbische Nationalisten, die uns an dieser Arbeit hindern", erzählen Samit Serifovi'c und Mirsad Citakovi'c, die bei einer der Baufirmen arbeiten. "Öfters ist es vorgekommen, daß wir ein Haus fertig gebaut haben, und am nächsten Tag sollte der neue Besitzer einziehen, doch in der Früh haben wir festgestellt, daß in der Nacht das ganze Haus vermint wurde. Das passiert vielleicht deswegen, weil in unseren Vorort, Brcko-Brod, auch serbische Flüchtlinge kommen, vor allem aus Zentralbosnien, aus Sarajevo oder der Krajina. Viele von ihnen haben ihre Häuser in den Heimatortschaften entweder verkauft oder verbrannt und versuchen, hier zu einem neuen Haus zu kommen." Illusionen machen sich die beiden keine: "Unsere Arbeit ist nur unter der Aufsicht der amerikanischen Soldaten möglich. Sollten sie abziehen, wird der Krieg hier sofort entflammen", meint Samit Serifovi'c.

Eine der Zufahrtsstraßen nach Brcko führt über die Savebrücke, die Kroatien mit Bosnien verbindet. Im Krieg teilweise gesprengt, wurde sie dann von den SFOR-Soldaten an beiden Seiten provisorisch ausgebessert. Die Grenzkontrollen werden nicht nur von den einheimischen Soldaten, sondern auch von den internationalen Polizeibeamten durchgeführt, um die jeweiligen Schikanen zu verhindern. Von der Brücke aus ist auch der Hafen zu sehen. Das gesamte Ufer ist in diesem Gebiet noch vermint. Die Serben haben hier im Krieg ein Lager errichtet und über 3.000 Moslems auf grausame Weise ermordet. Die Mauer des Lagers bildeten mit Erde gefüllte Güterwaggone, unter den Gleisen hatte man riesige Bunker errichtet. Die Hallen, in denen man Menschen gequält hat, stehen heute leer.

Autosalon In Brcko leben derzeit 30.000 Menschen. 90 Prozent sind arbeitslos. Und diejenigen, die Arbeit haben, verdienen durchschnittlich nicht mehr als 70 DM im Monat. Vor dem Krieg gab es hier etwa 20.000 Arbeitsplätze, vor allem in der Textilindustrie. In der Fabrik Tesla hat man Batterien für alle VW-Fahrzeuge, die im ehemaligen Jugoslawien zusammengeschraubt wurden, erzeugt. Heute wird in Brcko nur in einer Bäckerei, in einer Sägemühle und in einer Gasabfüllfabrik, Brcko-Gas, gearbeitet. Der Direktor von Brcko-Gas, Dorde Koji'c, ist zugleich Mitbesitzer des ersten Autosalons in dieser Stadt. Er ist stolz darauf, daß er viele Golfs und Audis verkaufen kann. Auf die Frage, wer sich diese teuren Autos leisten kann, antwortet er: "Es gibt hier Menschen, die genug Geld haben."

Der wirtschaftliche Wiederaufbau in der bosnisch-serbischen Teilrepublik ist ohne internationale Hilfe nicht möglich. Diese ist aber auch mit den Beschlüssen von Dayton verbunden, deren Hauptziel es ist, Bewegungsfreiheit für alle ethnischen Gruppen in Ex-Jugoslawien zu schaffen und eine Existenz im jeweiligen Heimatort zu ermöglichen. Sollte dem entsprochen werden, so wollen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds etwa 217 Millionen DM zur Verfügung stellen. Doch eine politische Entscheidung in Brcko zu treffen ist heute äußerst schwierig. Im Parlament der Republika Srpska, das sich in einem früheren Kulturhaus befindet, gibt es 56 Sitze: 24 für Moslems aus der moslemisch-kroatischen Föderation, zwei für Kroaten und der Rest für Serben. Zu einem gemeinsamen Beschluß kann es nur bei allgemeinen Fragen kommen, wie zum Beispiel beim Straßenbau. Politische Entscheidungen werden stets von einer Seite blockiert.

Mustafa Sinanagi'c wohnte und unterrichtete früher in Brcko. Heute ist er Klubvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei von Bosnien-Herzegovina. "Ich wurde aus meiner Wohnung vertrieben und wohne in Tuzla." Nach Brcko kommt er nur als Parlamentsabgeordneter. Einfache Bürger oder Geschäftsleute trauen sich noch nicht nach Brcko. Die Serben im Parlament sagen immer wieder zu ihm: "Sei froh, daß du überhaupt da sitzen kannst. Deine Stimme zählt sowieso nicht", erzählt Sinanagi'c. "Es ist klar, daß Brcko der bosnischen Föderation zugesprochen wird. Diese Stadt war früher durchwegs moslemisch. Die Serben haben uns angegriffen. Im Konzentrationslager am Ufer der Save wurden über 3.000 unserer Bürger auf grausame Weise umgebracht. Würde Brcko den Serben zuerkannt, würde das bedeuten, daß die Verbrecher für ihre Greueltaten noch belohnt werden. Das wird auch ein Präzedenzfall für andere sein und ein Beweis dafür, daß man in Europa noch mit Gewalt neue Gebiete erobern und Grenzen versetzen kann."

Brcko ist auch aus wirtschaftlichen Gründen für die Föderation wichtig, weil dieser Punkt am nördlichsten gelegen ist. Der Funktionär der serbisch-demokratischen Partei, Nedeljko Rasula, ist da ganz anderer Meinung. "Für uns Serben ist es klar, daß diese Stadt serbisch bleiben muß. Die Serben haben hier immer gelebt und jetzt sind sie in der Mehrheit. Brcko verbindet auch beide Teile unserer Republik. Und wir können nicht zulassen, daß wir geteilt werden."

In diesem Sinne argumentierte auch während der jüngsten Konferenz in Wien die Präsidentin der Republika Srpska, Biljana Plavsi'c: "Es gibt keine Republika Srpska ohne Brcko. Eines der Prinzipien des Vertrages von Dayton ist die Kontinuität des Gebietes. Würde man den östlichen vom westlichen Teil der Republika Srpska trennen, wäre ein Grundprinzip von Dayton verletzt." Der Präsident der moslemisch-kroatischen Föderation, Ejup Gani'c, erklärte hingegen in Wien: "Brcko - das ist unser Tor nach Europa."

Minenfeld Der Frieden in Brcko wird nur durch die Anwesenheit der amerikanischen Soldaten gesichert. Und sie werden auf unbestimmte Zeit bleiben müssen, hat vor kurzer Zeit auch der amerikanische Präsident Bill Clinton versichert. Das amerikanische Lager Camp Mc Govern befindet sich mitten im Minenfeld, genau an der früheren Frontlinie zwischen Serben und Moslems. An dieser Grenzlinie hat man im Krieg etwa 800.000 Minen vergraben. Eine deutsche Firma aus Flensburg versucht, mit einer speziell dafür entwickelten Maschine das ganze Gebiet um das amerikanische Lager herum durchzupflügen, um die Minen zu beseitigen. Die amerikanischen Soldaten können in ihrer Freizeit das Lager nicht verlassen. Die meisten wissen auch nicht, wie lange sie in Bosnien bleiben werden. In Brcko selbst sind sie nicht beliebt. Wenn sie auf den Straßen erscheinen, hört man immer wieder Rufe wie "Faschisten geht nach Hause". Die Amerikaner verlassen ihre gepanzerten Autos nur mit schußbereiten Waffen. Die meisten verstehen auch die ganze Situation hier nicht. Robert Dehat, ein Unteroffizier aus Ohio: "Ich habe von Europa nichts anderes als zerstörte Häuser in Brcko und in der Gegend gesehen. Hier möchte ich nur Frieden stiften und verstehe nicht, warum uns diese Menschen so hassen."

Der Frieden in Brcko ist brüchig, und die jetzige Patt-Situation ist nur durch die Anwesenheit der amerikanischen Soldaten zu halten und für die Moslems lebensnotwendig. Denn für den Fall, daß Brcko serbisch bleibt, wird sich folgendes ergeben, erklärt der Präsident der moslemisch-kroatischen Föderation, Ejup Gani'c: "Die serbische Republik könnte sich dann ungehindert dem Mutterland Serbien anschließen, daraufhin würde die Föderation Richtung Kroatien rücken. Wenn die Moslems dies nicht wollen, bleibt ihnen nur ein Dasein in einer Enklave. Das ist das Ende Bosnien-Herzegowinas und damit das Ende des Friedens für viele Jahre."

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