"Den Krieg vergessen und nach vorne blicKen"

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25 Jahre nach Ausbruch des Bosnien-Krieges und 20 Jahre nach dem Vertrag von Dayton ist die ethnische Trennung in diesem Land immer noch Realität -auch in der Diaspora in Österreich. Doch Änderungen sind spürbar.

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25 Jahre nach Ausbruch des Bosnien-Krieges und 20 Jahre nach dem Vertrag von Dayton ist die ethnische Trennung in diesem Land immer noch Realität -auch in der Diaspora in Österreich. Doch Änderungen sind spürbar.

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Orthodoxe Ikonen hängen an den Wänden ihrer Wohnung im 16. Wiener Bezirk, im Hintergrund spielt das Radio. "Ich lebe seit über 40 Jahren in Wien", erzählt Ruza stolz. Sie nippt an einem Glas Wasser. Anfang der 70er-Jahre, als sie als Teenagerin nach Österreich kam, war sie Jugoslawin. Heute ist sie Österreicherin bosnischer Herkunft.

Über 148.000 Menschen aus Bosnien-Herzegowina leben heute in Österreich, die meisten davon in Wien. Viele von ihnen kamen als Gastarbeiter. Diese besitzen bereits die österreichische Staatsbürgerschaft -so auch Ruza.

Von 1992 bis 1995 flohen über 90.000 Menschen vor dem Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina nach Österreich. Rund 75.000 von ihnen blieben hier, begannen ein neues Leben, bauten sich eine neue Existenz auf und integrierten sich in der Gesellschaft. Bosnien-Herzegowina wurde nach dem Krieg in zwei annähernd gleich große Entitäten geteilt: in die bosnisch-kroatische Föderation und in die Republika Srpska. Der Distrikt Brc ko gehört zu keinem der beiden Teile, er untersteht dem Gesamtstaat, verwaltet sich aber selbständig. Kroaten, Serben und Bosniaken leben hier so wie früher nebeneinander. Ruza wuchs hier auf, ging zur Schule und begann eine Lehre als Verkäuferin.

"Die bosnischen Politiker versuchen, die Menschen wieder auseinanderzubringen", erzählt Ruza verbittert. Über das Fernsehen verfolgt sie das Geschehen in ihrer früheren Heimat. Was verbindet alle Politiker in Bosnien-Herzegowina? "Sie streiten gerne", sagt sie. Ruza nimmt keine der drei Volksgruppen in Schutz. "Jede schiebt der anderen die Schuld am Krieg zu", bedauert Ruza. "Bosnien ist ein Land, in dem es ständig kriselt", ist Vedran Dzihic überzeugt. Er ist Wissenschaftler am Institut für Internationale Politik in Wien (siehe Interview S. 9). Auch in Österreich wird das Land so wahrgenommen.

Religiöse Gräben

Trägerin des Ethno-Nationalismus, der das Land und seine Entwicklung lähmt, ist die Religion. Während es etwa zu Titos Zeiten für viele Menschen keine Rolle spielte, ob jemand katholisch, serbisch-orthodox oder muslimisch war, änderte sich das im und nach dem Krieg schlagartig.

Heute geben Eltern ihren Kindern auch Namen, die auf ihre ethnische Herkunft schließen lassen. Ruza: "Wir wussten früher nicht einmal, wer von unseren Nachbarn katholisch, serbisch oder muslimisch ist. Wir waren alle Jugoslawen und Kommunisten." Ruza bezeichnet sich als gläubig, besucht heutzutage nicht nur an Festtagen die orthodoxen Gottesdienste.

Nicht nur für Ruza, auch für viele ihrer Landsleute in Österreich gewann die Religion in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung. Diese erfuhr laut Vedran Dzihic einen "gesellschaftlichen Aufwertungsprozess": Sie verbindet, trägt zur Identitätsbildung bei, grenzt die eigene Religion von der anderen ab. Viele kehren daher ihre religiösen Symbole heute bewusst "nach außen", auch im Alltag.

Besonders Bosnier, die in den 90er-Jahren gekommen sind, definieren sich nach ethnischen Mustern. Mischehen gibt es in Bosnien-Herzegowina von heute -im Gegensatz zu früher -kaum noch, daher auch nicht in Österreich. Cafés, Bars oder Sportvereine, aber auch die Kulturvereine gehören zu den Volksgruppen.

Insgesamt bestehen über 46 bosnische Vereine in Wien, die großteils ethnisch segregiert sind.

Ana Mijic, Soziologin an der Universität Wien, forscht über die Diaspora von Bosniern in Österreich. Sie vermutet, dass "wir es in Österreich gleich mit mehreren bosnischen Diasporas zu tun haben".

Nicht wenige Bosnier führen in Österreich aber auch ein eigenes Leben -lassen sich vom Nationalismus in ihrer früheren Heimat nicht beeindrucken, schränkt Vedran Dzihic ein. Dazu trage auch die geografische Distanz bei.

Ausnahmen von der Segregation

Bei den bosnischen Vereinen gibt es aber auch Ausnahmen, so Vedran Dzihic. Eine davon ist der Verein Bosna in Wien, den Mugdim Catic im Jahre 1992 gegründet hat und leitet.

Serben, Kroaten und Muslime in Wien und in Sarajevo zusammenzubringen, gegenseitiges Verständnis aufbauen, Vorurteile abbauen -das sind seine Ziele und auch die vom Verein Bosna. Dieser war auch weltweit der erste Verein im Ausland, der bosnische Flüchtlinge unabhängig von ihrer Herkunft unterstützt hat, erklärt Catic. Bosna soll ein Sprachrohr für alle Menschen aus Bosnien-Herzegowina in Österreich sein; ein Ort gelebter Toleranz. Bosna organisiert etwa Ausstellungen, zeigt auch Filme über Bosnien-Herzegowina; dazu lädt Mugdim Catic die Vertreter der drei Volksgruppen ein. Stolz führt er den zuletzt entstandenen Film "4 days in Sarajevo" auf seinem Handy vor. "Ich möchte mit diesem Film zeigen, dass wir alle Bosnier sind", sagt er. "Die Politiker unten wollen die Teilung -die Menschen nicht."

Mugdim Catic arbeitet auch an einem Buch, in dem er die Rolle der Stadt Wien gegenüber den Kriegsflüchtlingen aus Bosnien aufarbeitet. Im Jahre 1996 wurde Mugdim Catic für sein Engagement mit dem UNHCR-Preis für Flüchtlingsintegration dreimal ausgezeichnet.

Filip Zlousic liebt seine Heimat; auch er verspüre Sehnsucht nach ihr, möchte dort wieder mehr Zeit verbringen. Er wünscht sich auch, "sie im Alter neu zu erleben". Filip Zlousic ist bosnischer Kroate; er kam im Jahre 1992 als Flüchtling nach Österreich. Heute ist er Vizepräsident des bosnisch-kroatischen Vereins KKV Napredak Austria. Zlousic glaubt, dass die Nationalitäten in Bosnien wieder zusammenfinden werden -und setzt seine Hoffnung auf die Jugend und die Europäische Union.

Spiegelbildliche Situation

Vor 10 Jahren beteiligte sich Filip Zlousic an der Gründung einer Vereinigung der bosnischen Vereine in Wien. Er wurde als Vertreter der Kroaten in den Vorstand gewählt. Der Widerstand gegen die Vereinigung war aber groß. Daher löste sie sich nach einem Jahr wieder auf. Filip Zlousic: "Die Situation hier ist wie ein Spiegel der Situation in der Heimat."

Bobby ist der Sohn bosnisch-serbischer Eltern. Er gehört zu den 56.000 der in Österreich lebenden zweiten Generation. "Ich bin in Österreich jugoslawisch aufgewachsen", gibt Bobby zu. Titos "Brüderlichkeit und Einheit" wurde "zu jeder Sekunde" und "an jedem Eck" des Landes gelebt. Es war eine unbeschwerte Zeit in Jugoslawien, erinnert sich Bobby.

Er denkt dabei an die vielen Sommerurlaube, die er in Jugoslawien verbrachte. Mit dem Ausbruch des Krieges war damit Schluss. "Dass es Serben, Kroaten und Bosnier gibt, wurde mir erst dann bewusst." Ein Bosnien wie vor dem Krieg wird es aber nicht mehr geben, bedauert nicht nur er, auch Ruza. "Alle müssen den Krieg vergessen und nach vorne blicken." Einen "typischen Bosnier" gibt es seiner Meinung nach auch nicht. Gemeinsam sei aber allen, dass sie versuchen, die Unterschiede zu anderen "typischen Bosniern" aufzuzeigen. Bobby blickt heute aber mit einer gewissen Distanz auf das Land seiner Vorfahren, liest die Nachrichten darüber sehr kritisch. Er lebt österreichisch, spricht Wienerisch. Nein -seine Wurzeln vergisst er nicht.

Sehnsucht nach der Heimat

Ruza verspürt heute noch Sehnsucht nach Bosnien, erinnert sich an die jugoslawische Zeit. "Aber viel seltener als früher", gibt sie zu. Ihr Lebensmittelpunkt und ihre Heimat ist heute Wien. Öfters im Jahr fährt sie aber nach Brcko, besucht hier Verwandte, verbringt mit ihrer Familie den Urlaub. Zu ihren Freunden gehören heute wieder Bosniaken und Kroaten -sowohl in Wien als auch in Bosnien. Der Krieg liege weit zurück, viele Wunden seien bereits geheilt, meint Ruza. Sie vergleicht die Situation in Brcko heute mit jener im einstigen Jugoslawien: "Wir alle leben wieder in Frieden zusammen."

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