Das Ende von Bosnien-Herzegowina? Von Christine von Hohl die furche 5. 10. 1995
Kein Anlass für Optimismus sollte die New Yorker Rahmenvereinbarung, der Vertrag von Dayton, für die künftige politische Ordnung in Bosnien-Herzegowina sein. Wenn diese Rahmenvereinbarung hingegen lediglich als Werkzeug dienen soll, um den Weg zum Waffenstillstand freizulegen, dann mag Anlaß für gedämpften, Optimismus bestehen. Die Tatsache, dass "Einigkeit" über das Dokument erzielt wurde, soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß sehr unterschiedliche Interessen der Bosnier, der Kroaten und der Serben berücksichtigt werden.
Die Serben scheinen am besten wegzukommen. Es ist für sie heute kein reales Problem, die "Einheit Bosnien-Herzegowinas" anzuerkennen. Das ausgehandelte Dokument bestätigt ja die Existenz der "Republika Srpska" innerhalb dieses international anerkannten Staates - dafür haben die bosnischen Serben diesen international als "verbrecherisch" eingestuften Krieg geführt. Auch das Recht auf "Sonderbeziehungen" mit Nachbarstaaten" ist vorgesehen. Das bedeutet in der Realität von morgen ein "Groß-Serbien". Dafür hat MilosÇevi´c in Belgrad den Krieg angezettelt. Entsprechend wird die sogenannte "bosnisch-kroatische Föderation" innerhalb Bosnien-Herzegowinas anerkannt, ebenfalls mit dem Recht auf "Sonderbeziehungen", das heißt de facto den Anschluß "Herceg-Bosnas" an Kroatien. Das kommt dem Traum Tudjmans, in die Geschichte einzugehen als der Herrscher, der das kroatische Volk "befreite" und das mittelalterliche Groß-Kroatien wiedererstehen ließ, sehr nahe. [...]
Die Bosnier sind danach de facto keine Bosnier mehr, sondern fein säuberlich aufgeteilt in serbisch-orthodoxe Serben, kroatische Kroaten und Moslems. Wobei der tatsächliche "Lebensraum" für letztere nur innerhalb der "bosnisch-kroatischen" Föderation vorgesehen ist. Damit wird zementiert, dass die Bosnier, die keinen Krieg wollen, deren Heimat ganz Bosnien-Herzegowina war und die deshalb keinen Anlaß für einen Krieg hatten, die die Opfer der nationalistischen Aggressionen und Großmachtambitionen der Serben und der Kroaten wurden, nun in eine ausweglose Situation, in einen "islamischen Staat" gedrängt werden.
Daß sie für eine multikulturelle, multiethnische, multikonfessionelle Gesellschaft kämpften und noch heute kämpfen, hat die westlichen Politiker bisher nicht interessiert. Sie sind heute von zwei Interessen beflügelt: Das Thema Bosnien-Herzegowina vor Beginn des us-Wahlkampfes "vom Tisch" zu haben und das angeschlagene Image von eu und uno aufzupolieren. Vielleicht aber kann ein Waffenstillstand in eine innenpolitische Änderung in Serbien münden, denn erstens ist Belgrad nun einmal das Zentrum politischer Entscheidungen in diesem Raum und zweitens ist die Unzufriedenheit mit MilosÇevi´c von nationalistischer wie von liberaler Seite immer lauter geworden. Nur ohne MilosÇevi´c aber kann ein Frieden einem Frieden ähnlich werden. Ceterum censeo: Wenn es innerhalb Bosnien-Herzegowinas zwei "Staaten" geben darf, warum sollte dann Kosovo nicht als Republik innerhalb Serbiens anerkannt werden? Diese Republik wurde nach "freien und demokratischen" Wahlen bereits am 7. September 1990 ausgerufen - und nicht mit Gewalt geschaffen.
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