Seid nicht Beherrscher eurer Gemeinden ...

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Vor dem Hintergrund von Österreichs Kirchenkrise rief Johannes Paul II. zum Dialog auf: Auszüge aus jener Rede, die der Papst am letzten Besuchstag vor den Bischöfen hielt.

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Vor dem Hintergrund von Österreichs Kirchenkrise rief Johannes Paul II. zum Dialog auf: Auszüge aus jener Rede, die der Papst am letzten Besuchstag vor den Bischöfen hielt.

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Ihr seid unter vielerlei Hinsicht geprüft worden. Selbst wenn dies nicht der Augenblick ist, um eine allgemeine Wertung vorzunehmen, möchte ich Euch dennoch versichern, daß ich Euch in dieser ganzen Zeitspanne mein besonderes Gebetsgedenken geschenkt habe ...

Wenn wir an den Tag zurückdenken, an dem wir durch die Handauflegung zunächst in den priesterlichen und dann in den bischöflichen Dienst eingeweiht wurden, dann wird in uns das beredte Zwiegespräch lebendig, in dem wir vor dem Empfang der Weihe dem Bischof gegenüber unser Adsum gesprochen haben: Hier bin ich. Ich bin bereit. In diesem Zwiegespräch hatten nicht wir selbst das erste Wort. Unser Part lag in der hochherzigen Antwort: Ich bin bereit, mich in den Dienst Gottes zu stellen mit meinen Anlagen und Fähigkeiten, mit meinen Hoffnungen und meinem Bemühen, mit meinem Licht und meinem Schatten. Alles haben wir mitgebracht, als wir freudig Adsum sagten. Dieses Wort der Bereitschaft, das jeder unverwechselbar in seinem eigenen Namen öffentlich ausgesprochen hat, bekam für mich noch eine besondere Bedeutung, als ich es als junger Bischof auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der ökumenischen Versammlung wiederholt habe: Adsumus, Domine, Sancte Spiritus! Hier sind wir, Herr, Heiliger Geist! So haben wir alle Sitzungen des Konzils begonnen. In diesem Gebet habe ich erfahren und begriffen, daß das persönliche Adsum in das Adsumus der Gemeinschaft eingebettet ist ...

Wie jede Gemeinschaft Raum gewähren muß für die Entfaltung des einzelnen, so hat innerhalb des Adsumus auch das unverwechselbare Adsum sein Recht und seinen Platz. Denn bei aller Gemeinsamkeit bedarf es der Ehrfurcht vor der je eigenen Berufung und Sendung. Im Raum des Gemeinsamen soll der einzelne Bischof sich selbst entfalten und die eigene seelsorgerliche Verantwortung wahrnehmen können. Abgesehen von den Unterschieden an Fähigkeiten und Charakteren, die sie in ihr bischöfliches Wirken einbringen, haben die einzelnen Bischöfe ja eine ihnen eigene Vollmacht inne und heißen daher mit Recht Vorsteher des Volkes, das sie leiten. Diese Vollmacht, die sie im Namen Christi persönlich ausüben, ist jedoch nicht auf das Herrschen ausgerichtet, sondern nimmt Maß am Beispiel des guten Hirten, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen (vgl. Mt 20,28). Jedem Bischof ist deshalb das Wort des heiligen Petrus gesagt: "Seid nicht Beherrscher Eurer Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde!" (1 Petr 5,3). Wenn das Adsumus gebührend Raum für das Adsum des einzelnen läßt, muß es gleichzeitig geprägt sein vom Bemühen aller um Einheit. Andernfalls zerfällt das einzige Lehramt Jesu Christi in ein Vielerlei einzelner Stimmen. Anstelle eines symphonischen Zusammenklangs entsteht ungeordneter Lärm. ... Als Hirten der Euch anvertrauten Herden steht Ihr ja gemeinsam vor Gott, aneinander gebunden in der bischöflichen Gemeinschaft, in die jeder sich selbst unverwechselbar einbringt. Ein schönes Zeichen, daß Ihr in Eurer jeweiligen Diözese das in Österreich pilgernde Gottesvolk gemeinsam begleitet, könntet Ihr dadurch setzen, daß Ihr Euch miteinander als Bischofskonferenz für einige Tage zurückzieht und auf den Weg geistlicher Exerzitien begebt.

Dialoge des Heiles Das Adsumus auf dem Konzil war nicht nur Gebet, sondern gleichzeitig Programm. Wie sich die Bischöfe zu ihren Beratungen als Gebetsgemeinschaft versammelten, so stellten sie sich auch als Dialoggemeinschaft unter den Schutz und Beistand des Heiligen Geistes. So ist es nicht verwunderlich, daß die Beziehung des dreifaltigen Gottes zum Menschen wiederholt als dialogisches Geschehen umschrieben wurde ...

So ist es der Kirche aufgetragen, sowohl nach innen als auch nach außen einen "Dialog des Heiles" zu pflegen, damit alle in ihr "den unergründlichen Reichtum Christi" (Eph 3,8) finden können. Für diesen Dialog habe ich mich von Anfang meines Pontifikates an eingesetzt ... Auch Ihr habt Euch, liebe Brüder, auf der Ebene Eurer Bischofskonferenz zu einer Initiative entschlossen, die den Dialog anregen und vertiefen soll. Im Dialog für Österreich wollt Ihr die Ortskirchen, denen Ihr vorsteht, die Orden, die geistlichen Gemeinschaften, Bewegungen und Gruppen miteinander ins Gespräch bringen ...

Geistliches Experiment Mit dieser Initiative zum Dialog, aus dem Ihr niemand ausschließen wollt, beabsichtigt Ihr, nicht nur eine heute allgemein gepflegte Umgangsform oder eine neutrale Methode zu fördern, um das Zusammentreffen verschiedener Menschen zu erleichtern ... Auch wenn das Wort Dialog in den letzten Jahrzehnten unter mancherlei Mißverständnis und Entstellung zu leiden hatte, darf man es dennoch nicht von seinem Mißbrauch her bestimmen. Der Dialog, den die Kirche führt, und zu dem sie einlädt, ist niemals nur eine harmlose Form des Sich-Öffnens auf die Welt hin oder gar eine Spielart oberflächlicher Anpassung. Vielmehr wird damit ein Sprechen und Handelns beschrieben, das vom Tun Gottes gehalten und vom Glauben der Kirche geprägt ist. In diesem Sinn soll der Dialog für Österreich ein "Dialog des Heiles" werden, der dann zu flach geriete, würde er sich mit einem ausschließlich horizontalen Verlauf begnügen und auf den Austausch von Standpunkten im Sinne eines anregenden Miteinanderredens beschränken. Vielmehr wird er eine vertikale Dimension anstreben, die ihn auf den Erlöser der Welt und Herrn der Geschichte hinlenkt, der uns mit Gott und untereinander versöhnt.

Ein solcher Dialog ist für alle Beteiligten eine Herausforderung, wirklich eine Art geistliches Experiment. Es geht darum, auf den anderen zu hören und sich im persönlichen Zeugnis selbst zu öffnen, aber auch im Wagnis zu lernen, den Ausgang des Dialogs Gott zu überlassen. Im Unterschied zu einem Gespräch lockerer Fügung zielt der Dialog auf das gemeinsame Finden und Anerkennen der Wahrheit. Wie oft habt Ihr als Hirten versucht und seid bis heute dabei, die Euch anvertrauten Priester und Laien mit Hilfe des geduldigen Gesprächs in Liebe zur Wahrheit zu führen. Ihr wißt aus Erfahrung, daß ein geglückter Dialog einem zuvor bestehenden offenen Problem oder einer Streitfrage ein Ende zu setzen vermag. Zugleich kennt Ihr aber auch die mitunter schmerzliche Kehrseite Eurer Bemühungen: Statt Wahrheitsfindung und Verständigung kommt das Gespräch nicht über einen substanzlosen Diskurs hinaus, der letztlich an der Wahrheit uninteressiert ist.

Eine solche Konzeption entspricht dem Dialog des Heiles nicht. Dieser steht für alle Beteiligten immer unter dem Wort Gottes. Deshalb setzt er ein Minimum an vorgängiger Kommunikationsgemeinschaft und fundamentaler Gemeinsamkeit voraus. Es ist der lebendig überlieferte Glaube der Gesamtkirche, der für alle Partner die Grundlage des Dialogs bildet. Wer diese gemeinsame Basis preisgibt, nimmt jedem Gespräch in der Kirche die Voraussetzung, zum Dialog des Heiles zu werden. Darum wird es immer wieder darauf ankommen, in Erfahrung zu bringen, ob ein bestimmter Dissens möglicherweise auf grundlegende Differenzen zurückzuführen ist. Ist dies der Fall, müssen solche Differenzen im Vorfeld gelöst werden. Ansonsten droht der Dialog entweder in Unverbindlichkeit zu verflachen oder sich in marginalen Spitzfindigkeiten zu verflüchtigen. Jedenfalls kann keiner in ehrlicher Weise eine Rolle in einem dialogischen Prozeß übernehmen, wenn er nicht bereit ist, sich der Wahrheit auszusetzen und immer mehr in sie hineinzuwachsen. Öffnung gegenüber der Wahrheit bedeutet Bereitschaft zur Umkehr ...

Wenn ich zum Dialog ermutige, steht außer Zweifel, daß ich damit nicht einfach meine, wir sollten noch mehr reden. Es wird ja in unserer Zeit sehr viel gesprochen, und doch verbessert dies die gegenseitige Verständigung oft nicht. Leider gibt es auch das Scheitern des Dialogs. Deshalb möchte ich auf zwei Gefährdungen besonders hinweisen, die Euch sicher nicht unbekannt sind. Die erste Gefahr liegt im Machtanspruch. Er entsteht dort, wo sich Gesprächspartner nicht mehr vom Verstehenwollen leiten lassen, sondern den Raum des Dialogs einzig und allein für sich beanspruchen. ...

Gefährlicher Dialog Eine weitere Gefahr liegt in dem Umstand, daß am laufenden Dialog die öffentliche Meinung beteiligt ist. Die Kirche unserer Zeit möchte immer mehr eine "gläserne Kirche" sein, transparent und glaubwürdig. Das ist nur zu begrüßen. Wie aber jedes Haus besondere Räume kennt, die nicht allen Gästen von Anfang an zugänglich sind, so darf und soll es auch im häuslichen Dialog der Kirche Räume zu Gesprächen hinter verschlossenen Türen geben, was nichts mit Geheimhaltung, sondern mit gegenseitigem Respekt zum Nutzen der Sache zu tun hat, die untersucht wird. Das Gelingen des Dialogs ist nämlich gefährdet, wenn er sich vor einer unzureichend qualifizierten oder zu wenig vorbereiteten Öffentlichkeit und unter nicht immer unparteiischem Einsatz der Massenmedien abspielt. Eine voreilige oder unangemessene Befassung der Öffentlichkeit kann einen an sich hoffnungsvollen Dialogprozeß empfindlich stören.

Angesichts dieser Gefährdungen wird es Euch ein Anliegen sein, mit Einfühlsamkeit und Ehrfurcht Eure Dialoge des Heiles fortzuführen ...

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