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INGE AICHER-SCHOLL ERINNERUNG AN DIE WEISSE ROSE

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Vor dem Auditorium maximum der Wiener Universität. Regen, Wind — Herbstwetter. Junge Menschen vor dem noch geschlossenen Tor: Studentinnen,

Studenten, Angestellte, auch Arbeiter. Ein junges Mädchen hält einen Blumenstrauß in der Hand: weiße Rosen

Die „Weiße Rose": Unter dem Eindruck der Katastrophe von Stalingrad warfen die Geschwister Sophie und Hans Scholl einen Ballen Flugblätter in den

Lichthof der Münchener Universität. Dabei wurden sie entdeckt und verhaftet, zum Tode verurteilt und durch das Fallbeil hingerichtet. Die Flugblätter aber gingen von Hand zu Hand, in Tausenden von Abschriften durch ganz Deutschland.

Im Auditorium maximum der Universität erzählt Inge Scholl — eingeladen vom Verband Wiener Volksbildung — von ihren Geschwistern und vom Elternhaus. Vom Vater, der — als Bürgermeister den neuen Machthabern mißliebig — sich in Ulm als Wirtschaftstreuhänder seßhaft macht, der von seinen Angestellten bespitzelt wird und schließlich seine Tochter Inge als Sekretärin in die Kanzlei aufnimmt.

Von den Jthren in der Hitlerjugend erzählt Inge Scholl, und von jenem Abend, als Sophie Scholl in einem Kreis von BDM- Führerinnen erklärt: „Wer Heinrich Heine nicht kennt, kennt die deutsche Literatur nicht!“

1942 wird der Vater verhaftet. Und im Mai 1942 stellen die in München studierenden Geschwister zum erstenmal etliche ihrer später das ganze Volk aufrüttelnden Flugblätter her. Inge Scholl ist in Ulm bei der Mutter geblieben. Sie war in nichts eingeweiht, doch ahnt sie mehr, als sie zugeben wollte: „Ich war damals ein Ausbund an Angst."

Im Februar 1943 meldet ein verärgerter Hausmeister dem Rektorat die „Verunreinigung“ des Lichthofes der Münchener Universität. Kein überzeugter Nationalsozialist etwa, kein Denunziant — ein Hausmeister eben, dessen Ehrgeiz es ist, die Stiegenhäuser immer reinzuhalten. Hans und Sophie Scholl werden hingerichtet.

Die Mutter und Inge Scholl werden verhaftet. Der jüngste Bruder ist an der Front. Im Osten. Wenig später wird er als vermißt gemeldet.

Ein mutiger Amtsarzt rettet Inge Scholl und ihre Mutter vor dem KZ. In einem Dorf im Schwarzwald erwarten sie den Zusammenbruch.

„Wir befaßten uns in jenem Jahrzehnt ungeheuer viel mit Literatur, Theologie und Philosophie. Und ich empfinde es als glückhaftes Geschenk, daß sich junge Menschen in ihren letzten Jahren so intensiv mit Geistigem befassen konnten und zu jenem Zeitpunkt, als sie wußten “ Inge Scholl beendet den Satz nicht.

Die Absicht, nach Kriegsende Soziologie und Geschichte zu studieren, kann Inge Scholl nicht verwirklichen. Denn als ihr die Leitung der Ulmer Volkshochschule angeboten wird, greift sie — nach kurzem Zögern — zu.

1952 heiratet Inge Scholl, in jenem Jahr, als der großzügige „McCloy-Scheck“ den Aufbau der von ihr und ihrem Gatten geplanten Hochschule für Gestaltung ermöglicht.

„Warum sprechen Sie nach zwanzig Jahren immer noch davon?“ wollte ein Radioreporter kürzlich von Inge Scholl wissen. Er stellte die Frage sicherlich ohne böse Absicht. Höchstens aus Gedankenlosigkeit. Aus weit verbreiteter Gedankenlosigkeit.

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Nach dem Vortrag überreicht das junge Mädchen Inge Scholl seinen Blumenstrauß: weiße

Rosen.

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