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Die reine Stimme des Gewissens

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In den Nachkriegsjahren war die als „Weiße Rose" bekannte Widerstandsgruppe gegen Hitler ein Begriff. Später geriet sie in Vergessenheit.

Kampfmittel der „Weißen Rose" war das Wort, der Appell an Vernunft und Gewissen. Gerade darum wurden diese jungen Menschen und ihr Professor von den Machthabern so ernst genommen, daß der berüchtigte Blutrichter Roland Freister mit einem Flugzeug nach München kam, um wenige Stunden später die ersten Todesurteile zu verkünden.

Die Mitglieder der „Weißen Rose" standen keiner weltanschaulichen Gruppe besonders nahe. Niemand konnte sie nach dem Krieg für sich reklamieren.

Dies ist der Hauptgrund, warum sie in Vergessenheit gerieten, macht sie aber auch so wichtig.

Sie waren nicht nur Einzelgänger. Sie entschieden sich nicht nur für eine gewaltlose Form des Widerstandes. Sie verkörperten vor allem die reine Stimme des Gewissens, das seine Empörung über die Unmenschlichkeit und seine Verpflichtung, etwas dagegen zu tun, auf wenig mehr als das deutliche Gefühl für Gut und Böse stützen konnte.

Sie waren Christen, aber wenige Jahre früher waren einige noch begeisterte Hitler-Anhänger gewesen.

Richard Hanser schrieb nun die seit langem überfällige, zusammenfassende Darstellung der „Weißen Rose": „Deutschland zuliebe". Hermann Vinkel wendet sich mit seinem Buch „Das kurze Leben der Sophie Scholl" vor allem an junge Mädchen und Frauen. Eine Sammlung von Briefen und Tagebucheintragungen von Sophie Scholl soll folgen.

Die Mitglieder der „Weißen Rose" waren jung, sportlich und standen dem Nationalsozialismus zunächst positiv gegenüber. Aus dem „Wandervogel" kommend, vertrauten sie der Hitler-Propaganda.

Schlüsselerlebnisse machten sie zu Gegnern. Die Geschwister Scholl wuchsen in einer Familie auf, die ihre literarischen und künstlerischen Neigungen förderte. Die Mutter war eine fromme Frau, der Vater ein liberal denkender Beamter. Sophie Scholl war eine begabte Zeichnerin, ihre größte Liebe galt der Natur.

Was die Scholl-Geschwister aber von vielen anderen nicht nur damals unterschied, waren vor allem ein scharfer Blick für alles, was in ihrer Umgebung geschah, und eine in ihrer Erziehung angelegte Geradheit, die es ihnen schwer machte, zu schweigen, wenn sie etwas nicht für richtig hielten.

Sophie Scholl interessiert sich zum Beispiel sehr für Literatur. Bei einer Führerinnen-Besprechung des BDM („Bund deutscher Mädchen", die Parallelorganisation zur Hitlerjugend), bei der über Lesestoff beraten wird, nennt sie Heinrich Heine.

Eine andere Teilnehmerin erzählt später entsetzt, Sophie Scholl habe auf den Hinweis, Heine sei doch Jude, geantwortet: „Wer Heinrich Heine nicht kennt, kennt die deutsche Literatur nicht!"

Vor allem sehen die Geschwister Scholl deutlich, was viele ältere Deutsche nicht sehen wollten: was mit den Juden geschah.

Es fiel ihnen nicht leicht, ihre nationalsozialistische Uberzeugung, die sie in Konflikt mit dem Vater gebracht hatte, abzulegen. Um so fundierter wurde dann ihre Gegnerschaft.

Bei Begegnungen mit Gleichgesinnten wurden die Weichen für einen Weg gestellt, von dem sie bald ahnten, daß er wahrscheinlich in den Tod führen würde. Sie fanden Kontakt zu Kurt Huber, Professor für Philosophie an der Münchner Universität, an der sie studierten, einem zunächst noch Zurückhaltung übenden Gegner des Nationalsozialismus.

Andere Studenten stießen zur Gruppe: Wilhelm Graf, Alexander Schmoreil. Schmorell wird zur Wehrmacht eingezogen und verweigert den Eid auf Hitler. Auch Hans Scholl wird vorübergehend verhaftet und muß dann zur Wehrmacht.

Das Bewußtsein, daß sie möglicherweise beobachtet werden, bringt sie nicht von ihrem Weg ab. „Die Weiße Rose" wird zum Synonym für Wandinschriften, vor allem aber für lange, hek-tographierte Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus, die tau-senden Münchnern mit der Post ins Haus flattern.

Der erste Aufruf begann mit den Worten: „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique .regieren' zu lassen!"

In einem anderen heißt es: „Im Namen des ganzen deutschen Volkes fordem wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen zurück ..."

Sie feilen nächtelang an ihren mit Temperament und Sprachgefühl stilisierten, mit Klassiker-Zitaten von Aristoteles bis Goethe untermauerten Texten. Am 18. Februar 1943 werden sie bei einem Flugblätterwurf im Lichthof der Münchner Universität gefaßt. Vier Tage später werden Hans und Sophie Scholl und Christoph Propst enthauptet.

Sophie Scholl sagte dem tobenden Volksgerichtspräsidenten Freister ins Gesicht: „Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen."

Die letzten Worte von Christoph Propst: „In wenigen Minuten sehen wir uns in der Ewigkeit wieder!"

Freisler leitete, auch den Prozeß gegen die anderen Mitglieder der „Weißen Rose". Der Pflichtverteidiger verließ mit Hitlergruß den Saal: Ein so abscheuliches Verbrechen wolle er nicht verteidigen. Applaus.

Professor Huber, Alexander Schmoreil und Wilhelm Graf starben erst nach qualvollen Monaten in der Todeszelle, in denen Huber ein Buch über Leibniz fast noch vollenden konnte. Freisler starb während eines Bombenangriffes auf Berlin. Als man ihn aus den Trümmern des Volksgerichtshofes zog, um-

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