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Dazugehören um jeden Preis

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Die Schule, der Platz, an dem Kinder und Jugendliche einander treffen, scheint ideal dafür zu sein, Suchtgifte auszuprobieren. Die Praxis zeigt jedoch, daß illegale Substanzen, das heißt, harte Drogen wie Kokain, Heroin oder LSD von Schülern eher im Freizeitbereich „ge-dealt” und konsumiert werden. Schulen sind eher der Platz, an dem der Umgang mit den sogenannten „legalen” Drogen wie Nikotin, Alkohol oder den Energydrinks praktiziert und akzeptiert wird. Schließlich ist Bauchen und Trinken gesellschaftlich anerkannt und stellt somit auch für den Schüler kein sofort erkennbares Problem dar. Daß junge Menschen mit diesen „legalen Drogen” den richtigen Umgang finden müssen, wird viel zu wenig propagiert.

Diplom-Sozialarbeiterin Maria Abel von der Wiener Informationsstelle für Suchtprävention erklärt die entscheidende Bedeutung des leichten Zugangs zu einem Suchmittel: „Etwas, zu dem ich jederzeit Zugang habe, ist viel leichter zu mißbrauchen als etwas, zu dem viele Strecken zu gehen sind. Der Weg zum ,Dealer' kann außerdem mit Abenteuer und Gefahr verbunden sein.” Der Umgang mit den „legalen Drogen” hingegen wird schon sehr früh erlernt. So wird beispielsweise Alkohol in der Familie kennengelernt. Kinder und Ju gendliche erfahren, daß gerne darüber gesprochen wird, „wie viel man verträgt”. Burschen prahlen daher auch in der Schule mit den von ihnen konsumierten Mengen an Alkohol.

Der „Mix” von Alkohol und Tabletten, wie zum Beispiel „Bohyp-nol”, kann ein nächster Schritt sein, um sich noch mehr und weiter von den anderen „abzuheben”. „Die Post geht ab” - vielfach geschieht dieses Abgehen der Post aber auch unter einem enormen Anpassungsdruck des Jugendlichen in der Gruppe. „Dazugehören” ist wichtig. Frau Abel weiß, daß das Alter, in dem beispielsweise Haschisch von Jugendlichen gerne ausprobiert wird , zwischen Hund 16 Jahren liegt* Hier spielt die soziale Herkunft des Jugendlichen so gut wie keine Bolle, sowohl gut behütete als

Die Grenze zwischen legalen, gesellschaftlich anerkannten Suchtmitteln und verbotenen Drogen ist für Jugendliche meist fließend. auch schlecht behütete, reiche oder arme Jugendliche machen mit. Die Experimente mit den „Energy-drinks” werden bereits bei Zehn- bis Zwölfjährigen unternommen. Zwischen elf und 13 Jahren „schnüffeln” Jugendliche gerne (zum Beispiel Lachgas aus Schlagoberskapseln, auch das billige Wundbenzin ist ein gern verwendeter Schnüffelstoff).

Welche Kinder sin am wenigsten gefährdet?

Dazu Universitätsprofessor Karl Toifl von der Klinik für Neuropsychiatrie des Kindes und Jugendalters der Universität Wien:

„Am wenigsten gefährdet für Suchtmittelmißbrauch sind sicherlich jene Kinder, die in einer Umgebung aufwachsen können, in der sie erleben, daß man sie, so wie sie sind, akzeptiert und liebt. Daß man sie sein läßt, wie es ihnen entspricht, und ihre ganz individuelle Entwicklung zuläßt. Es sind Kinder, die ernstgenommen und ermutigt werden und für die jemand da ist, wenn es Probleme gibt. Kinder und Jugendliche haben ein Becht darauf, im Leben verschiedenes kennenzulernen und auszuprobieren, vieles an Beziehung zu erleben. Gibt es für sie zu Hause Vorbilder, an denen sie lernen, wie man Konflikte austrägt, Beziehungen gestaltet und miteinander umgeht, dann haben diese Jugendlichen auch die Chance, mit den Anforderungen und Problemen des Lebens zurechtzukommen.”

Wer ist slchtgiftgefähkdet? „Wer an sich zweifelt, wer nur über mangelhafte oder inadäquate Strategien verfügt, um mit den Anforderungen und Problemen des Lebens zurechtzukommen, der neigt sicher eher dazu, Ersatzbefriedigung in Suchtmitteln zu suchen.

Gefährdet sind auch jene, die zu wenig Unterstützung in ihrer persönlichen Umgebung erfahren und fragwürdige, unsichere Beziehungen erleben.

Gefährdet sind auch Jugendliche, die in einem Entwicklungsprozeß stecken, der sie nicht sicher, stabil und flexibel werden läßt, sondern vielmehr verunsichert. Die Pubertät ist nun einmal ein potentieller Krisenbereich, in dem es sehr darauf ankommt, wie die Familie und die Bezugspersonen mit dem Jugendlichen umgehen, ob Sicherheit und Unterstützung gegeben wird.

Jemand, der sich zu Hause nicht verstanden fühlt, für den niemand Zeit hat, um den sich niemand kümmert, wird ausbrechen und sich eine neue Bezugsfamilie in einer Gruppe suchen. Hier stellt sich dann die Frage, in welche Gruppe er hineingerät, welche Normen es zum Einstieg gibt. Wenn die Norm das Haschisch oder die Zigarette ist, wird er das mit Sicherheit tun oder zumindest ausprobieren.”

Wie erkennt man den Missbrauch? „Nimmt jemand regelmäßig Drogen, wird sich das in einem Nachlassen der schulischen Leistung äußern. Steigt jemand auf diese Schiene um, dann vernachlässigt er alles andere, weil die Ersatzbefriedigung ja gefunden wurde. Besonders gefährdet sind Jugendliche, die aus ihrer sicheren Umgebung ausbrechen und sich in einer Szene bewegen, wo Drogenmißbrauch üblich ist. Hier wird es sicherlich schwer sein, Kontakt aufzubauen und wieder ins Gespräch zu kommen. Man muß es aber in jedem Fall versuchen. Ein sensibler Lehrer wird rasch wahrnehmen, wenn ein Schüler benommen ist, wenn es Konzentrationsschwächen, Abwesenheiten, erweiterte Pupillen u.v.m. gibt. Ein Gespräch und Angebote zur Hilfe sind hier allerhöchstes Gebot.”

Welche Hilfe gibt es? „Menschen brauchen in erster Linie befriedigende Beziehungen. Drogenmißbrauch ist - wie jede Sucht - ein psychosoziales Problem. Wenn jemand bedürftig ist, holt er sich eine fi Ersatzbefriedigung.

Ich habe nicht den Eindruck, daß heute gesellschaftspolitisch auf Beziehungen viel Wert gelegt wird. Wir alle wissen, wie hoch unsere Scheidungsraten sind. Für mich stellt sich dahedie Frage: Wie gestalten Menschen ihre Beziehung, warum werden Beziehungen eingegangen, und wie geht man miteinander um, warum werden Konflikte nicht auch auf andere Weise gelöst? Wie wird bei Scheidungen auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen Rücksicht genommen? Wenn Frauen alleine bleiben und arbeiten gehen, bleibt sehr oft gar keine Zeit für die Gestaltung von emotional befriedigenden Beziehungen. Kinder können so nicht lernen, ihre Bedürfnisse adäquat zu befriedigen.

Der Griff zur Ersatzbefriedigung ist in diesen Fällen programmiert. Hier sollte ein Umdenken stattfinden. Beziehungen der Menschen untereinander sollten wieder einen höheren Stellenwert bekommen. Wir sollten interessierten Anteil am Leben anderer nehmen. Süchtige sind Menschen in Not. Wenn man ihre Geschichten kennt, versteht man, warum sie süchtig geworden sind.”

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