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Die Chance auf einen Neubeginn
Anläßlich des 75-Jahr-Ju-biläums der Wiener Caritas öffnete das Haus Miriam in Wien XVIII seine Türen.
Anläßlich des 75-Jahr-Ju-biläums der Wiener Caritas öffnete das Haus Miriam in Wien XVIII seine Türen.
Es ist an der Zeit, einmal etwas herzuzeigen”, meint Erna Nußbaumer. Sie leitet seit etwa zwei Jahren das Haus Miriam, ein Haus der Caritas für obdachlose Frauen im 18. Wiener Gemeindebezirk. Schon seit seiner Gründung im Jahr 1988 arbeitet sie hier mit. „Es ist wichtig, daß wir einmal die Tür aufmachen für die Gesellschaft, für die Welt, daß es nicht ein verschlossenes Haus ist, wo nur gelebt und gearbeitet wird, daß wir auch bereit sind, Leute einzuladen und hereinzulassen.”
Erstmals seit dem achtjährigen Bestehen ist das Haus Miriam in großem Rahmen für interessierte Be-sucher geöffnet. Viele, die täglich hier aus und ein gehen, haben es an diesem Tag verlassen. Trotzdem - dieses Haus für obdachlose Frauen, eine in dieser Art in Wien einzigartige Einrichtung, strahlt Selbstvertrauen aus, ist hell, freundlich und einladend. Bis 30. November stellt eine Bewohnerin des 1 Jauses, die chinesische Künstlerin Yao Iluang, Absolventin der Hochschule für Angewandte Kunst in Peking und Wien, ihre Aquarelle aus.
Die Frauen, die hier leben, haben schon einen gewaltigen Sprung geschafft: den Schritt weg von Obdachlosigkeit, von Abhängigkeiten, für manche der erste Schritt weg von Drogen, Tabletten oder Alkohol. Hier zählt der Wille, das eigene lieben wieder selbst in die Harfd zu nehmen. Sich auf Veränderungen einzulassen ist eine Voraussetzung, hier aufgenommen zu werden. „Wir stellen das Haus zur Verfügung, das Essen, Mitarbeiter - den wichtigsten Beitrag müssen die Frauen aber selbst leisten”, meint Erna Nußbaumer.
Manche kommen nach einem Wohnungsverlust, einige werden vom Bahnhof-Sozialdienst vermittelt. Andere kommen vom Frauenhaus, vom Krankenhaus oder aus dem Gefängnis, selten direkt von der Straße. Für akute Notfälle stehen zwei Betten zur Verfügung. Nach einer dreimonatigen „Probezeit” wird entschieden, ob sich der neue Schützling in die Gemeinschaft eingliedert und bereit ist, an einer Veränderung seiner Lebenssituation mitzuarbeiten. Aufgenommen werden können etwa 36 Frauen bis zu einem Alter von etwa 45 bis 50 Jahren, bei denen eine Aussicht auf Integration am Arbeitsmarkt besteht. Unter bestimmten Voraussetzungen finden auch ehemalige drogen- oder alkoholabhängige Frauen hier einen Platz.
Jene, die keiner geregelten Arbeit nachgehen, helfen im Haus, in der Küche, in der Wäscherei, übernehmen Putz- oder Bügelarbeiten oder betreuen die Portiersloge, alles gegen eine geringfügige Entlohnung. „Das Haus Miriam will ein Ort sein, wo die Frauen sich erholen können, Hilfe für eine Neuorientierung bekommen, Selbstwert kriegen”, legt die Leiterin ihre Zielrichtung offen. Die Bewohnerinnen leisten einen nach Einkommen gestaffelten monatlichen Kostenbeitrag zwischen 1.700 und 2.400 Schilling.
Sechs hauptamtliche und einige ehrenamtliche Mitarbeiter unterstützen die Frauen hinsichtlich sozialer und beruflicher Beintegration, körperlicher und psychischer Stabilisierung, Schuldenregulierung und Wohnungsbeschaffung. Ist eine therapeutische Betreuung nötig, so wird diese außerhalb des Hauses angeboten. Oft ist das Aufarbeiten der eigenen Geschichte notwendig, um mit den psychischen Problemen fertig zu werden. Einmal wöchentlich kommt eine Juristin ins Haus, die kostenlos bei der Abwicklung von rechtlichen Problemen beisteht, ebenso eine Künstlerin, die mit den Frauen malt und bastelt. Nicht immer ist das Zusammenleben so vieler verschiedener Charaktere spannungsfrei, das Miteinander einer Gemeinschaft braucht Einübung. Gelungene Gemeinschaft aber kann auffangen, den je eigenen Weg unterstützen, doch sie braucht auch Grenzen und feste Regeln. Gerade in den Umgangsformen miteinander, in der Toleranz der verschiedenen Religionsbekenntnisse bemüht man sich, eine bestimmte Spiritualität zu leben.
Was hält Erna Nußbaumer seit acht Jahren hier? „Das Menschliche, durch Gespräche und durch die Begegnungen wird die Dynamik spürbar, hat das Berührende und Lebendige seinen Platz. Das Haus lebt und verändert sich immer wieder zum Positiven.” Ihr Vorbild ist die Prophetin Miriam im Alten Testament, die mit ihren Brüdern Mose und Aaron ihr Volk befreite, eine Frau, die politische Akzente setzte. „Wir stehen zur Verfügung für diese Befreiung.”
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