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Kann man Politik unterrichten?

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Das Gutachten der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft zur Frage der Errichtung einer Hochschule für Politik ist Anlaß zu eingehenden Erörterungen über die geplante Hochschule gewesen*.

Neben einer Hohen Schule, die ihr Unterrichtsprogramm auf das Gesamtgebiet des Politischen abstellen soll, geht es aber noch um ein anderes Problem: Um die Frage, ob die Wissenschaft von der Politik überhaupt ein für sich geschlossener Unterrichtsgegenstand und geeignet ist, im Sinn einer systematischen Lehrstoffdarbietung (mit vorgegebenem „Lehrstoff“ und „Lehrziel“) auch jenseits des akademischen Lehrbetriebes unterrichtet zu werden. Etwa an den Mittelschulen und den unterschiedlichen Institutionen der Erwachsenenbildung. Wie beispielsweise der Gegenstand „Staatsbürgerkunde“.

Eine weitere methodische Vorfrage ist die, ob das, was man als „Politikwissenschaft“ bezeichnet, auch einen wissenschaftlichen Charakter hat oder ob es sich dabei nur um eine Beschreibung von öffentlichen Institutionen handelt, um „Parteienkunde“, um aktuelle geschichtliche Darstellungen oder um eine politische Ethik.

Politik als Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen hieße, auf dem Weg der Forschung (zum Beispiel durch Datensammlung) feststellen, ob fi#' Sozftilpfb'zesse, die sich im Bereich des Politischen abwlökeM, in sich so etwas wie eine Naturgesetzlichkeit tragen und daher gleichsam determiniert sind, was ihre Vorhersage in einem gewissen Umfang möglich machen müßte.

Die weitere Frage ist die, ob man der „Gesetzlichkeit“ des politischen Geschehens überhaupt habhaft werden und sie in brauchbare Formeln niederlegen kann, die von Pädagogen entsprechend vereinfacht weitergegeben werden können.

Die Politikwissenschafter (die „Politologen“, wie sie nach einem Vorschlag von E. Fischer-Baling in der Bundesrepublik bisweilen genannt werden) gehen davon aus, daß es tatsächlich ein politisches „Naturgeschehen“ gibt. Dabei kann es sich u. a. um eine Wissenschaft vom Staat als Machtorganisation und um die Technik seiner Führung handeln, üm die Herrschaftsverbände, die auf die Führung des Staates Einfluß

* Siehe auch Dr. W. Czerny in der „Furche“ vom 3. August 1957 sowie in „Die Neue Volksbildung“, Wien, Nr. 11/X957.nehmen (Th. Eschenburg), und um die „Natur“ des in der Politik handelnden Menschen. Wenn man aber die Politik als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu erkennen glaubt, ist es notwendig, daß man einwandfreie und für den Unterricht geeignete Begriffe schafft, wie dies auf akademischer Ebene bereits M. Weber getan hat, daß man, soweit menschenmöglich, den Gegenstand „Politik“ ohne Ressentiment und ohne Befangenheit in „Demut vor den Tatsachen“, nicht in der Art eines „Antinational-sozialismus“ oder eines „Antiklerikalismus“. Jeder Versuch, verdeckt durch einen sich objektiv gebenden Unterricht nach einer bestimmten Richtung Propaganda zu machen, etwa für oder gegen die jeweilige Regierung, müßte im Interesse des Unterrichtszieles vermieden werden. Uebersieht man die Gefahr, die gerade in der Politikwissenschaft liegt, könnte die jetzt an den Schulen aller Kategorien merkbare Apathie gegenüber dem Politischen durch eine Verpartei-politisierung (die nicht mit Politisierung verwechselt werden darf) abgelöst werden. Es sollte aber die Aufgabe der Erzieher sein, vorhandene politische Vorurteile, die nun alle Menschen einmal haben, in politische Werturteile umzuwandeln. Auf der anderen Seite hieße es freilich, das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte man in einer vermessenen Nurobjektivität das ger?“ aus der Natur des Politischen heraus unvermeidbare Bestehen von politischen Parteien übersehen.

Der Einbau der Politologie in das Unterrichtsprogramm insbesondere der Mittelschulen ist gerechtfertigt:

Erstens setzt das politische Handeln, ob auf höchster politischer Ebene oder im Rahmen der Tätigkeit einer Berufsvertretung, die Kenntnis der Natur des Politischen voraus, soll es nicht zu Fehlleistungen kommen, deren Wirkungen wir in unserem Land nur zu oft verspüren konnten. Nicht wenige meinen, wenn sie sich um einen Rang im politischen Leben bewerben, es handle sich um ein leicht erlernbares Handwerk, das jeder auszuüben berechtigt ist, wenn er nur eine entsprechende Aussteuer an Macht oder Beziehung mitbringt.

Darüber hinaus dürfte auch die Staatsführung nicht übersehen, daß es ihr im eigenen Interesse aufgegeben ist, die Staatsbürger aus „Untertanen“ zu staatsbewußten Mitarbeitern zu machen. Man kann von oben her nicht gut Verständnis für Maßnahmen auf „höchster Ebene“ verlangen, wenn man nichts dazu tut, um das Wissen um die Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu vermitteln. Das hat njchts mit der Erziehung zur Staatsservilität zu tun, zu der einst die Kameralwissenschaft und vielfach auch der Geschichtsunterricht erziehen wollten. Kennen die Menschen in ihrer Mehrheit die Funktionsbereiche und die Funktionsgesetze des politischen Lebens, wird der üble Parteifanatismus ebenso wie die Staatsfeindlichkeit und die Staatsfremdheit verringert werden können. Jedenfalls gefährden heute sowohl der Primitivismus in der Beurteilung politischer Ereignisse wie die parteipolitische Fixierung das Gefüge der Gesellschaft.

Wenn nun immer mehr vom Einbau des Politischen in die Unterrichtsprogramme gesprochen wird — freilich unter den verschiedensten Titeln —, so ergibt sich vom Standpunkt der Pädagogen die berechtigte Frage, wo denn der neue Gegenstand überhaupt noch untergebracht werden kann, während man gerade dabei ist, den Lehrstoff zu sichten und zu kürzen.

Auf Mittelschulebene kann die „Politologie“ meines Erachtens als eine Ergänzung des ohnedies bereits gelehrten Gegenstandes „Staatsbürgerkunde“ erfolgen, der bisher weithin eine Darstellung des gegebenen Staates und seiner Organisation war, nicht aber des Staates und der Politik, wie sie ihrer Natur nach sein sollen und wie sie aus einer inneren Gesetzlichkeit heraus leben. Man kann auch nicht gut sagen, wie denn eine ideale Ordnung beschaffen sein soll, wenn man nicht die Natur des Gesellschaftlich-Politischen kennt..

In einem gewissen Umfang ist die Politikwissenschaft auch ein Teil der Z e i t-geschichte, deren Unterricht an vielen Lehranstalten noch sehr im argen ist, weil vielfach nur jene Ereignisse als „geschichtlich“ angesehen werden, deren Darstellung dem Lehrer keine „politischen“ Schwierigkeiten machen kann.

Auf Hochschulebene und in der E r-wachsenenbildung müßte sich die Politologie freilich (nach der Meinung von O. Flechtheim) in mehrere Teilgebiete aufspalten lassen, etwa in „Verfassungslehre“, in „Wahlordnungen und Wahlprozesse“ und in eine Schilderung der öffentlichen Institutionen. Auch die politische Soziologie und die politische Ethik wären einzu-beziehen.

Allgemein besteht der Wille, die Lernzeiten in gleicher Weise zu kürzen wie die Sollarbeitszeiten in der Güterfertigung. Daher ergibt sich neben der Frage, wo die Politologie eingebaut werden soll, noch die andere Frage nach dem S t o f f u m f a n g. Da es sich im Bereich der Mittelschulen nur darum handeln könnte, schon vorhandene Gegenstände zu ergänzen und die Lehrstoffdarbietung auf das Wesentliche zu beschränken, müßte das Auslangen mit fünf bis zehn einzelnen Unterrichtsstunden gefunden werden. Dazu kommt noch, daß beispielsweise nach Einbau der Politologie in den Unterricht bestimmte geschichtliche Ereignisse, in denen besonders drastisch die Natur des Politischen sichtbar wird, in einem geringeren Umfang als bisher erläutert werden können.

Viele Gespräche mjt Wissenschaftern, Pädagogen und Politikern auch in der Bundesrepublik haben mich in der Meinung bestärkt, daß wir nicht gut davon sprechen sollen, es sei uns „aufgegeben“, eine neue gesellschaftliche und damit auch politische Ordnung aufzubauen, ohne daß wir ausreichend Kenntnis von den Lebensgesetzen eben dieser Ordnung haben. Das Wissen von der Politik sollte daher zum Rang eines Teiles unserer „Allgemeinbildung“ erhoben werden.

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