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Kinder: „Humanvermögen" unserer Gesellschaft

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Was passiert, wenn in den nächsten Jahren die Geburtenraten weiter erheblich sinken? Was bedeutet es für unser Zusammenleben, wenn das Miteinander und die Ausgewogenheit der Generationen - auch in zahlenmäßiger Hinsicht - zerbricht?

Faktumist: Die wirtschaftlichen Lasten der außerschulischen Erziehung, Betreuung und Pflege von Kindern trägt die Familie. Das, was Kinder für die Gesellschaft bedeuten, was sie als Erwachsene zum gelungenen Zusammenleben der Generationen in unserem I_and beitragen, wird von allen genutzt - der Ertrag kommt der gesamten Gesellschaft zugute. Jene, die über eine hohe Pension verfügen, aber keine Kinder haben, bekommen sie in unserem derzeitigen System nur deshalb, weil die Kinder anderer dafür Pensionsbeiträge zahlen. Würden die Pensionsbeiträge der Kinder, die im Erwerb stehen, den eigenen Eltern zugutekommen, so bekämen gerade Frauen, die derzeit nur allzuoft wegen der Kindererziehung keine eigene sozial- und pensionsrechtliche Absicherung erworben haben, eine hohe Pension. Ich frage: Mit welchem Recht zwingt der Staat Kinder, andere Kinderlose besser zu versorgen als die eigenen Eltern?

In der aktuellen „Umverteilungsdebatte" verzerren sich die Dimensionen zuungunsten der Familien erheblich. Für knapp eineinhalb Millionen ASVG-Pensionisten werden aus den zweckgebundenen Pensionsbeiträgen der Aktiven 160 Milliarden aufgebracht, weitere rund bt) Milliarden schießt der Staat zu - wer ist der Staat? und rund zwölf Milliarden werden von den Dienstgeberbeiträgen zum Familienlastenausgleich abgezweigt und ebenfalls den Pensionen zugeschossen. Für etwas weniger als zwei Millionen Kinder werden 32 Milliarden Schilling Familienbeihilfe aus dem Familienla-stenausgleichsfonds (FLAF) gezahlt.

Doch in der öffentlichen Diskussion wird der Eindruck geschürt, es fließe ungebührlich viel Geld zu Familien mit Kindern. Es besteht somit der Irrglaube, Pensionisten zahlten sich ihre Pension selbst, Familienbeihilfen seien aber staatliche Sozial-Transfers. Tatsächlich aber zahlen die jeweils Aktiven die Pensionen. Im derzeitigen System sind also die Kinder von heute die Pensionserhalter von morgen. Die meisten Familien zahlen sich die Familienbeihilfe selber (sie sind auch Einzahler in den FLAF), wobei in der öffentlichen Meinung das Mißverständnis besteht, Familien erhielten etwas geschenkt. Die Elterngeneration muß also für die Pensionen und die Unterhaltskosten der Kinder aufkommen, die ihrerseits dann wieder für alle die Pensionen „erarbeiten" werden. Kinder sind aber nicht nur wirtschaftlich ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft. Gerade die emotionale Bereicherung, die Kinder darstellen, wird ein immer knapperes Gut. Das Menschliche - ich nenne es „Humanvermögen unserer Gesellschaft" - ist bedroht. Daß immer weniger Kinder geboren werden, ist unmittelbare Folge der zunehmenden Überforderung des „Soziotops" Familie.

Nur: Mit sinkenden Kinderzahlen wird die emotionale Überforderung insbesondere der älteren Generation nur noch krasser. Wenn es immer weniger jüngere Menschen gibt, die sich jener älteren Menschen annehmen, die nicht mehr in unserer Erwerbs- und Konsumgesellschaft voll mitmachen können und Pflege und Betreuung brauchen, wenn immer mehr dieser humanen Bereiche pro-fessionalisiert und institutionalisiert werden, wenn Zeit, Zuwendung, Verbundenheit und Austausch zwischen den Generationen aufgrund knapper Ressourcen (immer weniger junge Menschen) Mangelware werden, dann frage ich mich, ob das die gewünschte Zukunft der Mehrheit der Menschen ist.

Sicher, wir könnten unsere Gesellschaft so ordnen, daß sich jeder selbst erhält und ausschließlich von Eigenvorsorge in allen Bereichen lebt. Doch was das angesichts der immer höher werdenden Lebenserwartung und medizinischen Notwendigkeiten finanziell bedeutet, wird nicht bedacht. Auch die beste professionelle und institutionalisierte Betreuung kann Zuwendung, Zärtlichkeit und Zeit, wie sie Familienmitglieder bei aller Begrenztheit einander zu geben vermögen - Studien zeigen das überdeutlich - nicht ersetzen; diese bleiben die eigentliche Sehnsucht der meisten Menschen. Kinder sind für mich ein Zeichen dafür, daß ältere Menschen Vertrauen auf und Hoffnung in ihre eigene Zukunft haben.

Wenn Kinder aber für ältere Menschen wirtschaftliche wie auch emotionale Zukunft sind, dann sind sie nicht nur Privatsache, sondern Sicherung des Humanvermögens unserer Gesellschaft. Ich sehe primär die Freuden des Lebens mit Kindern sowohl in der Familie wie auch in der Gesellschaft als Ganzes, sie wiegen fast alles auf! Aber das darf nicht den Blick verstellen darauf, daß (wirtschaftliche) Belastungen auftreten, die nicht beengende Bürden werden dürfen. Gerade weil Kinder ein gesellschaftlicher Wert sind, muß unsere Gesellschaft Rahmenbedingungen finanzieller, struktureller und ideeller Art sicherstellen, damit nicht die wirtschaftlichen Lasten des Lebens mit Kindern privatisiert, die wirtschaftlichen Erträge (Steuern, Abgaben) aber sozialisiert werden.

Die Autorin ist

Familienreferentin im Bundesministerium für Jugend und Familie.

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