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Joseph Ratzinger bleibt auch als Benedikt XVI. ein faszinierender Anderer.

Joseph Ratzinger * 1927

Benedikt XVI.

Gegenüber Papst Benedikt xvi. hege ich positive Vorurteile, die weit über das hinaus gehen, was jeder römisch-katholische Christ einem Papst an Respekt und Ehrfurcht schuldet. Stolz und dankbar bin ich noch immer, vor bald vierzig Jahren in Tübingen die "Ratzinger-Vorlesung" über Christologie gehört und an seinem Augustinus-Seminar ("De Genesi contra Manichaeos") teilgenommen zu haben. Was war das Vorbildhafte an "Ratzinger" - und ist es auch heute noch?

Er war/ist der faszinierende und herausfordernde Andere. Mitten in völlig aufgeregter, aus den Fugen geratener Zeit - das waren die 60er Jahre im "Jahrhundert der Extreme" (Eric Hobsbawm) - strahlte der junge Dogmatikprofessor eine Vertrauen weckende geistige Ruhe aus. Kritische "Propheten" hatten wir damals viele - etwa Ernst Bloch oder Walter Jens -, aber wenige "Lehrer". Und noch weniger solche Lehrer, die einem geistesgeschichtliche Entwicklungen und scheinbar veraltete theologische Dispute so darlegen konnten, dass man begriff und auch existenziell ergriffen war.

Während die allermeisten "Meisterdenker" jener Epoche so genannten historischen Ballast abzuwerfen begannen, um rascher nach der Zukunft langen zu können, lernte man bei "Ratzinger" die Evangelisten, Augustinus, Bonaventura und viele andere als Zeitgenossen kennen.

Kraft des Abwägens

In jeder Generation gibt es nur ganz wenige Persönlichkeiten, die in der dramatischen christlichen Geschichte des Glaubens, Suchens, Zweifelns, Fragens, Verzweifelns, Irrens und Findens so zu Hause sind wie der jetzige Papst, und die daher nachdenkliche Menschen in der Kirche beheimaten können.

Ja, das war so, sagten und schrieben viele, aber dann, als er Bischof, Kardinal und Präfekt der Glaubenskongregation wurde, habe sich "Ratzinger" vom fortschrittlichen Konzilstheologen zum konservativen Hardliner gewandelt. Die extremste Kurzformel solcher Einschachtelung war nach der Papstwahl die Titelschlagzeile der englischen Sun: Papst Benedikt xvi. sei "God's Rottweiler". Milde Kommentatoren führten für solche Änderung Rollenzwänge ins Treffen und artikulierten Hoffnungen, als Papst werde der Nachfolger der Inquisitoren notwendiger Weise wieder liberaler werden müssen. Nein, auch da ist Benedikt xvi. ein Anderer. Wer tatsächlich seine Texte liest - die vielen Bücher und Vorträge und auch die formellen Erklärungen der Glaubenskongregation -, wird auf die kontinuierliche Kraft des Abwägens und theologischen Argumentierens stoßen, auf eine unglaublich große Mühe um Vermittlung - und erst innerhalb solcher Bemühungen auf notwendige Grenzziehungen zur Bewahrung des christlichen Glaubens und Lebens vor Verengungen.

Differenz Erlösung-Befreiung

Als ein Beispiel sei die langjährige Auseinandersetzung um die lateinamerikanische "Theologie der Befreiung" angeführt. Gefiltert durch Nachrichtenagenturen und nochmals verdünnt zu Tagesnachrichten, erschien die Kritik des Präfekten der Glaubenskongregation gegen einzelne Befreiungstheologen und deren marxistische Tendenzen vielen wie eine Verteidigung kirchlicher Liaisons mit diktatorischen politischen Mächten. Die Texte von damals könnten aus heutiger Perspektive aber geradezu als visionär gelesen werden. Es ging um etwas sehr Einfaches aber Essentielles: gerade um die Nichtidentität von Kirche und Staat, auch wenn dieser ein zukünftiger, idealer sozialistischer wäre. Im Denken und Glauben Joseph Ratzingers bzw. Papst Benedikt xvi. begegnen wir einer durchgehenden Unterscheidung von Erlösung und (politischer) Befreiung, ohne welche es letztlich nur mehr einen pragmatischen Verzicht auf Gewalt gäbe. In der Kritik an jeder Form von Terrorismus und Kreuzzugsmentalität wird man auf diese scheinbar nur abstrakten theologischen Unterscheidungen noch dankbar zurückgreifen und sich Muslimen als konsequenter Dialogpartner erweisen können.

Papst Benedikt xvi. ist ein Anderer, der den Blick auf den "ganz Anderen" (Karl Barth), auf Gott, frei halten lehrt und hilft.

Der Autor ist Berater für Wissenschaft und Kultur in der Diözese Graz-Seckau.

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