Ein Lorbeerkranz für eine TROCKENE SCHOLLE

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Über 80 Jahre nach seinem Tod ist nun eine Novelle aus dem Nachlass Arthur Schnitzlers veröffentlicht worden. Das Typoskript trägt die Überschrift "Geschichte von einem greisen Dichter", allerdings soll, wie Wilhelm Hemecker und David Österle in ihrer editorischen Notiz anmerken, bereits Schnitzler selbst den Titel "Später Ruhm" für seinen Text vorgesehen haben. Dass eine Skizze zu dieser Novelle bereits in einem Nachlassband publiziert worden ist und dass Schnitzler diese auch aufgrund der eigenen Unzufriedenheit damit nicht veröffentlicht haben soll, hat die Literaturkritikerin Daniela Strigl bereits sehr eindringlich dargelegt.

Entstanden ist die Novelle im "letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts". Sie handelt von einem "alten Dichter, der endlich den Kreis von jungen Leuten findet, der ihn würdigt". Schnitzler sieht diesen Dichter als eine "rührende Gestalt", vielleicht sogar als "Episodenfigur". Aus dem Nachwort, das minutiös den Entstehungsprozess dieses Textes und die Nachlasssituation dokumentiert, erfährt man, dass ein vierseitiger Entwurf die Basis für die spätere Novelle bildet, die ursprünglich von Hermann Bahr als "Fortsetzungsgeschichte in der Zeitschrift Die Zeit" veröffentlicht werden sollte. Bahr habe von Schnitzler jedoch eine Kürzung des Textes verlangt, wozu es nicht mehr gekommen sei.

Brüchigkeit des Daseins

Grundsätzlich präsentiert sich der Plot aufs Erste harmlos. Im Mittelpunkt steht der Beamte Eduard Saxberger, der in jungen Jahren einmal einen Gedichtband geschrieben hat. Schon lange führt er ein in den Trott geratenes Leben ohne große Aufregungen. Eines Tages sucht ihn ein junger Dichter auf und erinnert ihn an seine "Wanderungen". Dabei gibt er ihm das Gefühl, ein großer Meister zu sein, auch wenn er seit damals keine einzige Zeile mehr geschrieben hat. Von nun an ändert sich sein Leben. Saxberger nimmt an den Sitzungen des jungen Literatenkreises "Begeisterung" teil, die in einem Wiener Kaffeehaus stattfinden. Diese jungen Künstler erweisen ihm alle ihre Ehrerbietung und planen einen literarischen Abend, an dem auch Saxberger mitwirken soll.

Arthur Schnitzler hat wie kaum ein anderer meisterhaft die gesellschaftliche Stimmung des Fin de Siècle und die Brüchigkeit des Daseins geschildert, das maskenhafte Spiel mit den Rollen, Scheinheiligkeit und Verlogenheit in den Beziehungen zwischen Mann und Frau entlarvt.

Psychologisches Feingefühl

In dieser Novelle zeigt er eine weitere Facette seiner Zeit, den Typus der künstlerischen Existenz. Die jungen Literaten seiner Zeit treffen sich im Kaffeehaus, schreiben und diskutieren dort. Manche wie Peter Altenberg "leben" sogar im Griensteidl. Ähnlich wie die "Begeisterten" haben auch die Jung-Wiener-Autoren mit der Aufmerksamkeit des Publikums und den Zeitungen zu kämpfen, wie Hemecker und Österle anmerken. Sie sehen den "Späten Ruhm" dennoch nicht als "Schlüsselroman", auch wenn gewisse Verbindungen zu einigen damaligen Künstlern oder Schauspielerinnen hergestellt werden können. Hugo von Hofmannsthal etwa, Peter Altenberg, Adele Sandrock oder gar sich selbst habe Schnitzler in seinen Novellenfiguren angedeutet. Launig und zugleich mit einer gehörigen Portion Scharfsinn entlarvt er "den Undank der Menge", Selbstüberschätzung, Exzentrik und jugendliches Selbstbewusstsein. Die vehemente Ablehnung des normalen Lebens "enttarnt [er] als affektierte Pose junger Künstler", wie es im Nachwort heißt. "Die Komik der Erzählung ist begründet in der ironischen Distanz zwischen den Figuren, die vermeinen, geistreich über Kunst zu sprechen einerseits, und dem psychologisch detailreich und feinfühlend agierenden Erzähler auf der anderen Seite, der die Oberflächlichkeit und Plattheit ihres Ideals der 'echten und keuschen Kunst' und die Worthülsen und 'Phrasen' gnadenlos enthüllt."

Interessant ist vor allem, wie Schnitzler die greise Dichterfigur zeichnet. Mit psychologischem Feingefühl konturiert er die innere Wandlung seines Protagonisten, der sich plötzlich jünger fühlt, ja schier vor einer "neuen Epoche seines Lebens" zu stehen scheint. Die Leere seines bisherigen Daseins ist wie weggeblasen, weil ihn die Abende mit den jungen Literaten mit Frische erfüllen. Im Grunde ist es seine Eitelkeit, die dem Dichter zum Verhängnis wird und ihn erkennen lässt, dass nichts so ist, wie es scheint. Plötzlich ist er geheilt und er merkt, dass es keinen Sinn hat, sich über die eigenen Grenzen zu erheben. Wie bereits in vielen früheren Werken manifestiert sich auch hier Schnitzlers Beschäftigung mit der menschlichen Psyche. Der greise Mann nimmt die Ehrerbietung, gleichsam den Lorbeerkranz der jungen Leute, huldvoll entgegen, er fühlt sich plötzlich erneut als Dichter. "Seine Seele", die er früher als "eine trockene, gefrorene Scholle" gesehen hat, erblüht.

Episodenbild

Diese Novelle ist zweifellos anders als die uns bekannten Schnitzler-Werke. Der Verlag preist sie im Klappentext als "frühes Meisterwerk". Dennoch reagiert die Kritik sehr gespalten. Mittlerweile kann man bereits explizit nachlesen, wer wie darüber geurteilt hat. Die Verhaltenheit, die so manche Rezension dominiert, erstaunt nicht. Denn die Handlung hat eher den Charakter eines Episodenbildes, das ruhig und ohne größere Spannungsmomente vorbeizieht und am Schluss ganz sanft verebbt. Der "arme Teufel" Saxberger kehrt zu seiner Gesellschaft zurück -wie "von einer kurzen, beschwerlichen Reise", zurück "in ein Heim, das er nie geliebt, in dem er aber die dumpfe und weiche Behaglichkeit von früher wiederfand". Es ist eine Rückkehr in die Normalität nach einer kleinen Verirrung, mehr nicht. Die menschliche Verführbarkeit durch Schmeichelei und Erhabenheit hat sich ganz leise ins Dasein geschlichen. Zugleich wirft Schnitzler in seiner Novelle aber auch einen gnadenlosen Blick auf das Leben der Bohémiens am Beginn der Moderne, der einer gewissen Subversivität nicht entbehrt. Was bleibt, ist eine zarte Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis des Künstlers, mit dem Literaturbetrieb und dem Gespräch über Literatur: "Meiner Kunst soll mich nichts mehr entfremden ..."

Später Ruhm Novelle von Arthur Schnitzler, herausgegeben und mit einem Nachwort von Wilhelm Hemecker und David Österle, Zsolnay 2014.158 S., geb., € 18,40

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