I am here - © Diagonale / Ludwig Wüst  -  Filmstill aus "I Am Here!", der am Diagonale-Wettbewerb teilnimmt.

Diagonale 2023: Der Oscar ist keine Utopie mehr

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Die Diagonale bringt Österreichs kleine Filmbranche wieder in Graz zusammen. Sie ist auch ein Ort, der eine Familie eint. Eine Familie, deren Mitglieder gar vom Oscar träumen dürfen.

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Die Diagonale bringt Österreichs kleine Filmbranche wieder in Graz zusammen. Sie ist auch ein Ort, der eine Familie eint. Eine Familie, deren Mitglieder gar vom Oscar träumen dürfen.

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Für die aus Tirol stammende Filmcutterin Monika Willi war es die bislang höchste Ehre ihres beruflichen Schaffens: Willi, die viele Filme von Michael Haneke oder Michael Glawogger geschnitten hat, schaffte es in diesem Jahr auf die Nominierungsliste bei den Oscars, und zwar für den Filmschnitt zum Drama „Tár“ von Todd Field, das sich um eine despotische Dirigentin (Cate Blanchett) dreht. Blanchett selbst war auch nominiert, insgesamt hatte der Film Chancen auf sechs Auszeichnungen. Willi musste knapp vor der Verleihung aufgrund eines Unfalls ihre persönliche Teilnahme absagen, und am Ende ging „Tár“ völlig leer aus, weil heuer ein anderer Film die Academy begeisterte: Mit sieben Trophäen zog die Independent-Sci-Fi-Komödie „Everything Everywhere All at Once“ vom Feld. Die Höhen und die Tiefen, sie liegen im Filmgeschäft ganz nahe beieinander. Aber die Nominierung Willis hat auch gezeigt: Ein Oscar liegt für heimische Film-Kreative keineswegs in unerreichbarer Ferne.

Auch, wenn es heuer mit Österreichs Preis-Hoffnung nicht geklappt hat, sind die Oscars dennoch so etwas wie der Leuchtturm fürs internationale Filmgeschäft. Da ist auch eine kleine Branche wie in Österreich schnell elektrisiert, obwohl es hierzulande nur selten darum geht, das große Einspielergebnis zu erreichen. Das ist schließlich die Prämisse der Oscars: Ausgezeichnete Filme verzehnfachen gerne ihren Umsatz an der Kinokasse oder im Strea­ming- und Home-Entertainment-Bereich.

Filmkunst feiern, nicht den Kommerz

Hierzulande schmückt man sich jedoch lieber mit Preisen, die die Filmkunst feiern, nicht den Kommerz. Dennoch adelt gerade der Oscar selbst Filmkunstwerke auf eine unerreichte Weise: Man erinnere sich an Michael Hanekes „Amour“, der 2013 so ziemlich jeden Filmpreis des Planeten abgeräumt hatte, inklusive der Goldenen Palme. Aber erst mit dem Oscar für Haneke (und insgesamt fünf Nominierungen) war der Erfolg perfekt – da hatte also der weltgrößte Preis für Filmkommerz ausgerechnet Hanekes Filmkunst prämiert, die von Kommerz meilenweit entfernt ist. Es ist wohl die Aura dieses Oscars, die für den alten Hollywood-Glanz steht; eine Illusion, der sich sogar die Hanekes dieser Welt nicht verwehren können und wollen.

Jeder Welterfolg beginnt aber ganz woanders, nämlich da, wo man zu Hause ist. Viel wurde heuer darüber spekuliert, ob „Corsage“ es ins Oscar-Rennen schaffen würde, doch die moderne Sisi-Verfilmung von Marie Kreutzer scheiterte im Rennen an einer erstaunlich starken Konkurrenz – und nicht so sehr am kurz davor aufgekommenen Kinderpornografie-Fall rund um Florian Teichtmeister, der im Film Kaiser Franz Joseph spielt. Der Umgang mit der Causa Teichtmeister hat die ganze Branche auf-
geschreckt und zu einer Debatte darüber geführt, wie und ob man die Kunst losgelöst von ihren Protagonisten bewerten kann und darf. Diese Diskussion befindet sich erst am Anfang, zumal Teichtmeisters Prozess krankheitsbedingt auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

Ein zweiter Fall hat die Filmbranche im Herbst aufgerüttelt, als man Ulrich Seidl vorwarf, Kinder am Set beim Dreh zu seinem Film „Sparta“ schlecht behandelt zu haben. Seidls Karriere hat Schaden genommen, die genauen Umstände der Dreharbeiten wurden nicht wirklich geklärt, der Film wird auch bei der diesjährigen Diagonale zu sehen sein, ehe er im Mai in den Kinos anläuft. Ein Nachgeschmack bleibt.

Die Lehren aus diesen beiden Fällen liegen auf der Hand: Auch und gerade beim Film, wo Menschen lange Zeit zusammen auf engstem sozialen Raum miteinander verbringen, ist es nötig, genaue Regeln für den Umgang miteinander zu erlassen, ähnlich einer Hausordnung in einem Internat. Freiwillige Selbstkontrolle ist nach wie vor kein Instrument der Wahl.

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