6573994-1950_34_04.jpg
Digital In Arbeit

Der „Father“

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht selten begegnet es dem Österreicher, daß er mit einem amerikanischen „Offizier“ spricht und bald die Entdeckung macht, daß er es eigentlich mit einem katholischen Priester zu tun hatte. Er wird sich dann oft gefragt haben, was für einen Menschenschlag die Priester Amerikas nun eigentlich darstellen, Männer, die durch ihren priesterlicheh höchsten Dienst ihr Leben inmitten der modernsten Zivilisation dieses Erdballes Gott geweiht haben. Nach zehnjährigem Aufenthalt und alljährlichen Rundreisen in der Neuen Welt ist mir der amerikanische Priester kein Rätsel mehr geblieben. Als Typus ist er freilich von dem der europäischen sehr wesentlich verschieden, wobei es dann aber doch wieder einen gemeinsamen Nenner gibt, der aus Berufung und Beruf heraus verstanden werden muß.

Um den amerikanischen Priester als menschliche Erscheinung zu begreifen, muß man sich an die Lebensform des amerikanischen Volkes erinnern, dem er schließlich entstammt. Selbst auf die Gefahr hin, zwei gewagte Generalisierungen zu machen, würde ich sagen, daß die Amerikaner sich gerne als disziplinloses Volk ausgeben, aber in festgesetzteren und konservativeren Grundformen leben wie wir; und auch, daß die Amerikaner gerne davon Aufhebens innchen, wie abgebrüht und illusionslos sie sind, dabei aber eine Nation mit einem ausgesprochenen Sinn für Reverenz darstellen.

Mit diesem psychologischen Hintergrund studiert nun der junge Amerikaner — oft erst nach zwei Jahren „College“ — in einem Priesterseminar. Da von den vielen katholischen Universitäten nur die Pontifical Catholic Univer-sity of America eine theologische Fakultät besitzt, dafür aber einige Studenten nach Europa gehen, bleibt doch das Seminar die Standardvorbereitung. Menschlich bietet diese eine gute, oft ausgezeichnete Erziehung; der Ton ist frei und ungezwungen, auf körperliche Ertüchtigung wird Wert gelegt, die Apologetik, die Pastoraltheologie, die Homiletik wird mehr gepflegt als bei uns. Das Hauptziel ist, aus dem Seminaristen einen tüchtigen Pfarrer zu machen, 'der eines Tages eine Pfarre selbständig führen muß. In dieser Eigenschaft hat er dann aber nicht nur rein seelsorgerische, sondern eine Unmasse von administrativen Pflichten; denn es hat fast jede größere Pfarre eine katholische Volks- und oft auch eine Bürgerschule (High School), manchmal ein katholisches Spital, zahl-eiche katholische Vereine, ein katholisches Altersheim usw. In den Vereinen bekleidet er zumeist die Stelle eines „Moderators“, eines geistlichen Kontrolleurs, der dem Bischof verantwortlich ist; er muß Streitigkeiten-schlichten, zu den Kommunionsfrühstücken der Männer- und Frauensodali-täten Reden halten, Filialkirchen oder Gymnastikhallen bauen und zu den meisten dieser Zwecke Geld, Geld und wieder Geld auftreiben, was selbst bei der unglaublichen Generosität der amerikanischen Katholiken nicht immer leicht ist. Er soll dabei nicht nur immer wieder mit seinen Geldnöten vor die Gemeinde gehen, sondern auch durch andere Mittel der Pfarre ein Nebeneinkommen verschaffen; durch Bridge- und Whistturniere, durch Lotterien (Bingo-Parties), durch Amateur-Theatervorstellungen, bei denen Eintrittsgeld erhoben wird, durch persönliche Briefe; dabei türmen sich in seiner Kanzlei ganze Stöße von europäischen Briefen mit allen möglichen Anliegen.

Solch ein Pfarrherr (Pastor) muß eine Führernatur sein, um im Umgang mit seinen Pfarrkindern allen seinen Aufgaben gewachsen zu sein. Er genießt aber auch ein viel größeres Ansehen als durchschnittlich sein europäischer Amtsgenosse und sein menschlich-gesellschaftlicher Einfluß reicht oft über die katholische Gemeinde hinaus. Auch wenn er nicht Ordenspriester ist, wird er mit Father angeredet, und dies zumeist audi von seiner Mutter und selbstverständlich von seinen Geschwistern. Auch untereinander gebraueben Priester diese Anredeform. Er selbst hingegen wird auch Damen, die manchmal älter sind als er, mit ihren Vornamen ansprechen. Er ist eben der .Vater“ seiner Pfarrgemeinde. Für den Bischof ist die Ehrfurcht noch viel größer, kniet doch der katholische Amerikaner, um dessen Ring zu küssen. Alldies hat seinen soziologischen Hintergrund, denn der Grundstock des amerikanischen Katholizismus ist irisch, und das irische Volk wurde durch die Engländer sozial „enthauptet“. Der katholische Adel wanderte auf das Festland aus, wenn er nicht umgebracht wurde, und dafür wurde eine englische Oberschichte importiert. Zurückblieben also die“bettelarmen Bauern mit ihren Priestern, die somit die Funktion des ersten und des zweiten Standes übernahmen. Oft war der Priester einer der wenigen Leute im Dorf, die lesen und schreiben konnten. Ähnlich wie in Französisch-Kanada gruppierte sich also die soziale. Existenz der Agrarbevölke-rung um den Priester, und diese Formen wurden dann zu großem Teil nach Amerika herübergebracht.

Nun würde man aber fehl gehen, wenn man glauben würde, der amerikanische Priester wäre ein Autokrat in langer Sutane. Richtig ist allerdings, daß der arme französische Pfarrer in verschossenem Mantel oder der halbverhungerte spanische C u r a ganz und gar nicht dem amerikanischen Katholiken gefallen oder imponieren würde. Sein Priester muß das Leben eines Mittelständlers führen, sein Auto, ja oft selbst den für Amerika großen Luxus eines dienstbaren Geistes haben. Auf das Bild des Pfarrers von Ars ist der Amerikaner nicht eingestellt. Er will keinen Pfarrer, der dem Armenstand angehört, auch keinen zu hochgeborenen Angelsachsen mit einem Harvardakzent und auch nicht einen Gelehrten, sondern eher einen jovialen fellow-like-you-and-me, der nicht in der Essenz, sondern nur im Grade von ihm genug verschieden ist, daß er zu ihm aufschauen muß. Darum legt auch die Seminarerziehung nicht viel Wert auf Absonderung, und die Seminaristen werden ermuntert, während der1 Ferien sich selbst das Brot durch einen „summer-job“ zu verdienen.

Manche amerikanische Pfarrer gehören Klubs an oder den „fraternal organiza-tions“, wie es die katholischen Kolumbusritter oder die säkularen Rotarier sind. Es werden in Amerika viele Konvertiten gewonnen, aber nicht genug, um die niedrige Geburtenziffer der amerikanischen Katholiken, die zum größten Teil in den Städten wohnen, wettzumachen. Immerhin hat die Zahl von 120.000 Konversionen im Jahr etwas zu sagen. In der Ubersee einschließlich Südamerikas geben amerikanische Priester ausgezeichnete Missionäre ab, weil sie schon in ihrer ganzen Erziehung die Qualitäten sich aneignen, die sie besonders zu diesem Beruf befähigen, denn zum Missionär gehört ein gewisses „Auftreten“ gemischt mit einer demokratischen Leutseligkeit und einem gerüttelten Maß an Organisationstalent. Und diese Qualitäten hat eben der amerikanische Priester. Die missionierenden Männerorden Amerikas haben einen ausgezeichneten Nachwuchs; dies gilt besonders von den Jesuiten und den „Maryknollers“, die letzteren sind eine rein amerikanische Vereinigung, die noch nicht vierzig Jahre alt ist und mit bewunderungswürdiger Energie und Weltoffenheit aufgezäumt wurde. Freilich ist auch hier die große amerikanische Gebefreudigkeit ein gewichtiger Faktor des Aufbaus.

Die Bischöfe Amerikas rekrutieren sich aus diesem Priesterstand, und bei ihnen ragt die Persönlichkeit schon über das Schema fast ständig hinaus; man denke da nur an Cushing, den überall beliebten Erzbischof der katholischesten Großstadt Amerikas (Boston mit 75 Prozent Katholiken!), oder an den Bischof Wright von Worcester, der als Gelehrter und Weltmann den älteren Typ des „Administrators“ ersetzt, oder Bischof Sheil von Chikago und Bischof Haas von Grand Rapids, die sich um die Gewerkschaften und die sozialen Fragen bemühen, an Bischof Münch von Fargo, der noch in Deutschland ist, oder Bischof Duane Hunt, einen Konvertiten auf sehr einsamen Posten in der mormonischen Salt-Lake-City. Man könnte noch mehrere aufzählen Kardinal Mooney von Detroit sollte auch nicht vergessen werden und Kardinal Spellman, der höchsthonorierte Dichter der Welt. Diese Bischöfe müssen allerdings ihr sehr hohes Prestige oft gebrauchen, um schwierige gordische Knoten zu durchschlagen. Als vor zwei Jahren Eltern sich weigerten, ihre Kinder in die Pfarrschulen von St. Louis weiterzuschicken, weil in diese Farbige aufgenommen wurden, exkommunizierte sie Erzbischof Ritter kurzerhand und nötigte sie, ihren Rassenhaß aufzugeben.

Francois Mauriac hatte gesagt, daß Frankreich seine Priester, „den besten Klerus der Welt, den antiklerikalen Strömungen verdanke. Abgesehen von einigen jungen katholischen Intellektuellen und Schriftstellern, denen die geistliche Kontrolle zu viel des Guten ist und die auch in der Kritik der traditionellen katholischen Lebensformen weit über das Ziel geschossen haben, gibt es aber im katholischen Lager Amerikas keinen Antiklerikalismus. Einen politischen Einfluß, außer in Lokalfragen moralischen Charakters, übt der amerikanische Priester nicht aus, so daß von dieser Seite keine Bedenken gegen ihn geäußert werden können. Und selbst die ärgsten Feinde der Kirche, intra et ertra muros, haben den katholischen Priestern nie Pflichtvergessenheit oder moralische Verfehlungen vorwerfen können, so daß ihr Ansehen ein ganz außerordentliches ist. Eine Herabsetzung katholischer Priester auf der Bühne oder im Film wäre auch in jenen Teilen Amerikas ausgeschlossen und undenkbar, in denen die Katholiken eine sehr kleine Minderheit darstellen. Ähnliches gilt vom gedruckten Wort.

Ob der amerikanische Priester dem europäischen überlegen ist? Bei der Grundverschiedenheit der europäischen Länder ist diese Frage eigentlich nicht zu beantworten. Man kann von einem Durchschnitt des europäischen Klerus im Räume von Lissabon bis Dünaburg nicht reden. Anders verhält es sich allerdings, wenn man von den geistigen und spirituellen Spitzenleistungen spricht. Das Charakteristikum Europas Amerika gegenüber ist die Ver-schiedentlichkeit nicht, nur im Horizontalen, sondern auch im Vertikalen. Alles in allem darf man nicht vergessen, daß die katholische Kirche in jedem Land nur ein Zweig, also „Stückgut“ ist, und daß die wirkliche Größe erst aus dem t

Salzburger Hochschulwochen 1950 vollen Mosaik mit allen Steinen, mit allen Erscheinungsformen ersichtlich wird. Jeder Ast könnte von jedem anderen Ast sicherlich etwas Gutes lernen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung