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Gesellschaft, Politik, Religion

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Gab Barcelona den ausländischen Kongreßteilnehmern wirklich einen Einblick in die Herzen ihrer spanischen Glaubensbrüder? Oder birgt dieser spanische Katholizismus nicht noch Unbekannte, die unbeachtet zu lassen besonders uns Europäern nicht ratsam wäre, die wir nur gut daran tun, wenn wir versuchen, einander besser zu kennen und zu erkennen und uns gegenseitig richtig einzuschätzen?

Eine Begegnung kommt mir ins Gedächtnis, die ich in jenen Maitagen in einem Eisenbahnabteil hatte. 28 Stunden lang trug uns der Zug durchs spanische Land.

Ein Reisegefährte entpuppt sich als Kaufmann aus Barcelona. Er hat für den Kongreß eine Bezeichnung, die eine Irreverenz und Blasphemie beinhaltet, die im Munde einesNichtkatholiken undenkbar wäre. Wir hörten diese Bezeichnung immer wieder in jenen Tagen, selbst oder gerade aus dem Munde regelmäßiger Kirchgänger, die sich offenbar in religiösen Dingen zum Gebrauch einer besonders freien Sprache berechtigt fühlen. Der katalanische Reisegefährte gibt uns auch eine für uns neue Interpretation des Eifers, mit dem alle Barceloneser und Katalanen an der organisatorischen Vorbereitung des Kongresses arbeiteten und der Regierung gleichsam das Heft aus der Hand nahmen, um ein organisatorisches Werk zu schaffen, das einen markant katalanischen Stempel tragen sollte. Alle Arbeiter werkten besessen, und während ihnen die Schweißtropfen ins Gesicht rannen, dachten und sagten sie: Es ist zur Ehre Kataloniens!

Wer aber unter den ausländischen' Katholiken hat in der äußeren Organi-

sation des Eucharistischen Kongresses eine Demonstration katalanischer und nicht spanischer Fähigkeit erblicken können?

Eine Hauptstütze des Katholizismus in Spanien sind — Blasco Ibanez charakterisierte es so treffend in seinem „Eindringling" — die Frauen und die „bessere Gesellschaft".

Was sollen wir von einer Mutter halten, die ihrem sieben- oder achtjährigen Töchterchen am Tage der ersten heiligen Kommunion die Lippen, Finger- und Zehennägel rot schminkt?

Wenn man im Bistumsblatt von Barcelona, in einem Hirtenbrief des Erzbischofs von Zaragoza oder im Zentralorgan der spanischen Katholischen Aktion, „Ecclesia", nachliest, welche Auswüchse in spanische Erstkommunionfeiern eingerissen sind, dann steht man vor einer Mentalität, die hoch charakteristisch ist für „führende" Gesellschaftskreise.

„Ecclesia" gibt uns Einzelheiten: „Wenn einerseits die geistige Vorbereitung mit Nachlässigkeit behandelt wird, so geschieht es doch ganz anders mit der materiellen Vorbereitung.

Ist es ein Mädchen, das zur hl. Kommunion geführt wird, so bringt sich alle Welt um, es davon zu überzeugen, wie schön es aussehen wird. Im Entwurf des Kommuni- kąptenkleides brechen alle Dämme der Phantasie. Vom oft auf groteske Weise nachgeäfften Brautkleide mit Krinoline bis zur Kamevalsverkleidung fehlt nichts. Man sieht Ordensgewänder, Engelsflügel, Heiligenscheine und so unglaublich es scheint, ist es doch tatsächlich vorgekommen, daß ein Mädchen als „Allerheiligstes Herz Jesu“ gekleidet wurde! So wie es klingt! Mit auf Hände und Füße gepinselten „Wundmalen", mit einer hölzernen, purpurgefärbten

Strahlenkrone auf dem Kopf, und natürlich durfte die Atelierphotographie in mühsam einstudierter Pose nicht fehlen. Handelt es sich um Knaben, so steckt man sie in Maestranzenuniformen , Adjutantenuniformen mit Schulterschnüren und Orden, mit kurzem Cape oder langem Radmantel

Der Zeremonie selbst fügt man weitere Einzelheiten hinzu. Wir erinnern nur an die bekannten Blumensträuße, die magisch aufleuchten im Moment der hl. Kommunion . ; Nach der Zeremonie kommt der profane Teil, in dem man jeden Sinn für Maß verloren zu haben scheint. Regelrechte Bankette mit einer Zahl von Geladenen, die nicht geringer ist als die einer Hochzeit, werden gehalten; keine Art von Vergnügungen wird vergessen, und es erscheinen sogar Personen auf dem Fest, die bei der religiösen Handlung nicht zugegen waren. Vergnügungen für Erwachsene, Kasperltheater, Hauskino, Bauchredner für die Kleinen. Tausende von Peseten werden so zum Fenster hinausgeworfen, wobei so schmerzliche Kontraste zu verzeichnen sind wie jener Fall, da nur zwei Erwachsene die kleine Erstkommunikantin zur Kirche begleiteten, während bei der profanen Feier das Haus von Gästen zum Bersten überquoll

Es fällt niemandem auch nur ein, an den übernatürlichen Charakter der hl. Kommunion zu denken "

Das sind in der Tat Dinge, die man nicht mit der bei manchen Reiseschrift- įtellern beliebten Erklärung von der „Eigenheit der Südländer" abtun kann.

Was wird aus der Religion in solchen Menschen, wenn ihnen einmal die Möglichkeit zu heidnisch anmutendem Theater und Mummenschanz genommen wird?

In einer Artikelserie der Madrider „Ecclesia" widmet Jose Maria Cirarda, Professor für dogmatische Theologie am Priesterseminar Vitoria, eine Betrachtung dem Teilthema der „Fehler und Tugenden des spanischen Katholizismus";

„Spanien ist ein vollkommen katholisches Land. Wer bezweifelt das? Wir wiederholen es stündlich, und auf dieser Annahme bauen wir alle unsere Pläne auf. Aber wann ist einmal ein echtes und tiefes Studium ęter wirklichen geistigen Verfassung unseres Volkes vorgenommen worden, das bewiese, daß es auch heute noch vollkommen katholisch ist? Wir lassen uns

blenden vom Glanz dieser und jener Ereignisse pomphafter und die Augen weidender Äußerlichkeit und verschanzen uns einfach hinter der These, daß Spanien vollkommen katholisch sei, nichts anderes als katholisch sein k a n n, es sei denn, es höre auf, Spanien zu sein

Diese Einstellung hat uns schon schmerzhafte Stürze aus heiterem Himmel gekostet. Wieviel ausgezeichnet ausgearbeitete Apostolatspläne sind durch sie zu Fall gebracht worden! Und vor allen Dingen wps, wenn nicht sie, hat die Schuld, wenn wir in der Vergangenheit mehr als einmal unsanft aufgeweckt wunden von dem Geschrei der Massen der Kirchen- und Klösterverbrenner, die wir als Katholiken registriert hatten, nur-,weil sie getauft und spanische Bürger waren?

In weiten Massen des Volkes herrscht grobe Unwissenheit in religiösen Dingen, vielleicht lebt die Mehrheit der Spanier außerhalb der Kirche, und nicht wenige Stehen ihr feindlich gegenüber in einem tief eingewurzelten Antiklerikalismus.

Wieviel Spanier erfüllen ihre Sonntagsund Osterpflichten? Bestehen auch nicht hierzuland geographische und soziale Missionsgebiete?'

Unsere im kleinen ankernden Beobachtungen zeigen uns, daß Prof. Cirarda die wunden Stellen des Katholizismus in seinem Vaterland erkannt hat.

Uber die geographischen und sozialen Missionsgebiete spricht Dr. Angel Herrera, Bischof von Malaga, immer wieder so aufrüttelnd in seinen Hirtenbriefen: , seit zehn und fünfzehn Jahren priesterlose Pfarrgemeinden nur sechs Prozent der Gläubigen erfüllen ihre Osterpflidit ohne geistiges und intellektuelles Leben, ohne Ideale, ohne Kultur" wächst dort in abgelegenen Gemeinden seines Bistums eine Jugend heran, deren Glauben erstickt ist unter schändlichsten Lastern."

Sowohl die katholische Kirche Spaniens wie auch der Staat selbst haben

Gründe, eine Situation zu fürchten, in der mehr als eine geistige Macht auf die breiten Massen des Volkes einwirken könnte.

Solange der Staat sich von der Kirche wirksam unterstützt weiß, hat er kein Interesse daran, die von ihr zusammengehaltenen Massen zu teilen, um sie zu beherrschen. Andererseits wacht die katholische Kirche in Spanien eifersüchtig darüber — ihre sooft zitierte Intoleranz —, daß auch der Staat zu dieser Erhaltung der geistigen Einheit des Volkes kompromißlos beitrage und nicht aus vielleicht vorübergehend opportun erscheinenden Erwägungen, wie sie in Madrider Regierungskreisen seit einiger Zeit laut werden, eine Lockerung der Religionsgesetze herbeiführe, die, wie nicht wenige Beurteiler glauben, einen Massenabfall von der katholischen Kirche nach sich ziehen würde. Nicht aus religiösen Gründen, sondern aus politischen Gründen, um auf diesem Wege der Opposition zur''katholischen Kirche eine anders nicht mögliche Opposition gegen die Regierung zum Ausdruck zu bringen. Gerade das ist vorgekommen: kaum daß protestantischen Gemeinden in spanischen Provinzen eine seit 1939 vorenthaltene größere Freiheit gewährt wurde, hielten religiös an sich gleichgültige Katholiken die Zeit für gekommen, den formellen Abfall von der Kirche zu vollziehen und sich zu überzeugten und zu aktivem Bekenntnis bereite Protestanten zu erklären; und was bedenklicher ist, die ersten.Fälle von Übertritten katholischer Geistlicher traten bereits auf. Wie es heißt, handelt es sich um als gewissenhaft bekannte, geistig und sozial besonders unruhige Priester, die ihrer Diskonformität mit der praktischen Haltung der Kirche in sozialen Fragen Ausdruck geben wollten, in einer Frage also,

in der doch offenbar letzten Endes das entscheidende Wort der Staat sprechen muß.

Es ist eben tatsächlich dazu gekommen, daß die katholische Kirche Spaniens — die Schockwirkung der Kirchen- und Klösterverbrennungen und Priestermorde im Bürgerkrieg mag sie auf diesem Weg allzu hastig vorangetrieben haben — eine zu enge Bindung an den Staat eingegangen ist, der ihr die Garantie gibt, sie vor weiteren Erfahrungen solch schmerzlicher Art zu schützen.

Bedeutungsvoll war in dieser Hinsicht die Ansprache, die Außenminister Martin Artajo am 29. Juni bei der Verleihung des Großkreuzes „Isabel la Catölica" an Se. Eminenz den Herrn Erzbischof von Burgos, Dr. Perez Platero, hielt.

Als interessantesten Aspekt der Bedeutung des Aktes bezeichnete Sr. Artajo „die vollkommene gegenseitige Durchdringung und Verbrüderung des Religiösen und des Zivilen (compenetraciön y hermandad perfecta entre lo religioso y lo civil); zwischen den beiden Mächten, dem Staate und der Kirche, die beide, souverän in ihren eigenen Gebieten, bereit sind, sich gegenseitig zu unterstützen, um Gott und dem Vaterland besser zu dienen“.

Wie schön klingt die Rede, wie anders aber sieht die Wirklichkeit aus! —

Nicht ohne Absicht mag der Hl. Vater den XXXV. Internationalen Eucharistischen Kongreß nach Barcelona einberufen haben. Sollte es an der Zeit gewesen sein, den Katholiken Spaniens eindringlichst vor Augen zu führen, daß Katholizismus keine nationale und politische Angelegenheit, sondern eine universelle Wirklichkeit ist, die weit hinausgeht über die politischen und nationalistischen Aspirationen der Machthaber des Tages?

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