6689210-1962_30_08.jpg
Digital In Arbeit

Brief aus Schweden

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist allgemein bekannt, daß Schweden ein protestantisches Land ist. Selbst atheistische schwedische Arbeiterführer, die nie eine protestantische Kirche besuchen, verhalten sich dem Katholizismus gegenüber bisweilen äußerst ablehnend; im Namen der Freiheit machte neulich eine Gruppe schwedischer Abgeordneter den erfolglosen Versuch, die Gründung unseres ersten schwedischen Klosters (der belgischen Karmeliterinnen) zu verhindern. Mehr als eine schwedische Generation selbst unserer Zeit hat in der Schule gelernt, es sei Schwedens einzige geschichtliche Aufgabe gewesen, dem Papst und Rom Einhalt zu gebieten. Während die schwedisch-lutherische Staatskirche immer schwächer wird und gegenwärtig von der marxistischen Majorität des Reichstages abhängig ist, spielen die anglosächsischen Sekten, besonders die überspannte Pfingstl oder Philadelphiabewegung, eine recht große Rolle. Allen diesen anglosächsischen Sekten bedeutet Rom den Hauptfeind, und sie sind in ihrer Presse bemüht, dem schwedischen Volk einzureden, daß die Katholiken auch heute noch Angehörige anderer Religionsbekenntnisse verfolgen und foltern. Vom katholischen Deutschland, Frankreich, Irland, Holland oder der Schweiz darf man in unseren Zeitungen nichts lesen, dagegen wird ausführlich von Kolumbien oder Spanien berichtet. Auf diese Weise wird der Katholizismus mit dem Faschismus und der Diktatur in einen Topf geworfen. Daß die meisten Katholiken in Europa gute und loyale Demokraten sind, verschweigt man.

Schweden hat etwa 7 Millionen Einwohner. Davon sind vielleicht 7000 Katholiken, wozu noch 2q.000 Ausländer kommen, darunter viele italienische und deutsche Arbeiter, aber auch eine große Zahl polnischer, ungarischer und anderer Flüchtlinge. Der Stockholmer Bischof ist Dänisch-Ame-ri karte?. 9Aweo4sche Priester^gib.t es kaum, auch werden sie senr“selten au? bessere■l^oVtt'rf' berufen. Die wenigen schwedischen Priester bekleiden meist untergeordnete Stellen; kein Schwede predigt in Stockholm, wenn man von dem einem der beiden Generalvikare, von Essen, absieht. Die Sprache der katholischen Kirche ist in Schweden - bildlich gesprochen — deutsch oder französisch.

Vor allem wegen ihrer Vertrautheit mit ausländischer Literatur und Philosophie (Graham Greene, Francois Maurice, Leon Bloy, George Bernanos, Jacques Maritain) ist eine erstaunlich große Zahl schwedischer Intellektueller zum katholischen Glauben übergetreten. Es gibt mehr als “zwanzig gute katholische Schriftsteller, Kritiker und Essayisten in Schweden; auch eine Reihe führender Theaterleute sind

Katholiken. Die meisten von ihnen haben entweder unter dem Einfluß des ausländischen Katholizismus oder direkt im Ausland, viele von ihnen in der Abtei de Sainte-Marie in Paris, ihren Glaubenswechsel vollzogen. In Schweden werden katholische Romane, katholische Gedichte und katholische Essays von wirklicher Bedeutung geschrieben — natürlich gibt es auch schlechte katholische Literatur. Die protestantische und die atheistische Presse Schwedens verhält sich diesen Konvertiten gegenüber recht großzügig. Auch die schwedische Arbeiterpartei ist in Religionsfragen vorbildlich neutral und hat nichts dagegen, wenn Katholiken in ihren Zeitungen zu Worte kommen. Eigentlich ist es bloß „Dagens Nyheter“, der im Eigentum des Bönnien-Verlages .steht, und) das größte--und ;am besten redigierte Blatt des Landes ist, der konsequent und gehässig das Christentum und damit auch den Katholizismus bekämpft.

Diese katholische Renaissance gewisser katholischer Intellektueller wird jedoch unverständlicherweise oft von den katholischen Priestern, die in unserem Lande wirken, mißbilligt, ja bekämpft! Es ist begreiflich, daß es nicht immer die besten katholischen Priester sind, die in Schweden wirken — oft sind Leute hergekommen, die in anderen Diözesen einfach unverwendbar waren. Ihre Lage ist schwierig, besonders, wenn sie die Funktion eines Pfarrherrn haben. Ihre Gemeinden sind nur klein und außerdem arm, und sie besitzen kaum irgendwelche Hilfsmittel. Ihre Einkünfte sind lächerlich gering; oft reichen sie kaum zum Lebensunterhalt. In dem großen Land sind diese Geistlichen so gut wie vollständig auf sich selbst angewiesen. Oft werden sie von den protestantischen Sektierern rücksichtslos bekämpft. Selbstredend versagen da oft die Nerven, und die Erfolge können keineswegs groß sein. Nur sehr wenigen Priestern gelingen Bekehrungen. Jene Schweden, die für den Katholizismus Interesse hätten, verstehen diese Priester nicht genau, und sie merken, daß sie kein gutes Schwedisch sprechen; ihre Argumente sind sehr oft unschwedisch, sie sind mit der schwedischen Psyche nicht vertraut.

Die Folge ist, daß zwischen der Gruppe der vielen schwedischen katholischen Intellektuellen und den katholischen Priestern kaum eine Zusammenarbeit besteht; letztere vertreten vielfach einen veralteten katholischen Standpunkt,-, .-wieder i^s-$ejgange,niej|i1 Jahrhundert üblich war.

Wir haben in Schweden eine katholische Zeitschrift, „Credo“, die von einem energischen und ausgezeichneten Jesuiten geleitet wird. Diese Zeitschrift hat eine bloß unbedeutende Auflage. Sie ist nicht schlecht, sie ist aber für schwedische Leser ungenießbar. Ihre Mitarbeiter sind zum Teil Ausländer, ihre Leitartikel sind bisweilen in einem lächerlichen Halbschwedisch geschrieben. Die Beiträge schwedischer Intellektueller werden oft refüsiert. Dagegen werden Rezensionen ausländischer theologischer Literatur gedruckt, die von ausländischen Priestern in Schweden geschrieben werden und für normale Schweden unverdau-' lieh sind. Man kann daher den Zeitpunkt voraussehen, zu dem diese Zeitschrift ihren letzten schwedischen Leser verloren haben wird.

Hat einer von uns jemand für den katholischen Glauben interessiert, so ist es oft seine größte Sorge, ihn von den Priestern, die in Schweden wirken, fernzuhalten. Oft sind sie wegen ihrer Isolierung und ihrer sonstigen Schwierigkeiten Neurotiker. Einen modernen Schweden, der konvertieren möchte, zu einem ausländischen Priester zu schicken, der die schwedischen intellektuellen Katholiken und deren Organisation bekämpft und selbst einen veralteten und sentimentalen, im 19. Jahrhundert üblichen kirchlichen Geist vertritt, ist riskant. Es bleibt nur der Ausweg übrig, den Betreffenden an das Ausland zu verweisen. Und das geschieht auch oft genug.

Die Katholiken würdigen einen loyalen und konsequenten Protestantismus viel eher als einen sentimentalen und theologisch verwässerten Katholizismus. Die schwedischen Konvertiten sind also merkwürdigerweise die orthodoxen, während unsere ausländischen Priester meist liberaler sind. Gleichzeitig aber sind die schwedischen intellektuellen Katholiken natürlich gegenüber der modernen Welt aufgeschlossen, nicht, um sich ihr anzupassen, sondern, weil sie deren Sprache und Not verstehen. Es ist nicht immer leicht, von einem moralisch hochstehenden, geistig verfeinerten Protestantismus zu einem altmodischen, verflachten Katholizismus überzutreten.

Erst, als wir Katholiken geworden waren, haben wir den Sturm der Volkswut begreifen gelernt, der sich in den Tagen der Reformation gegen den Verfall der katholischen Kirche in Schweden gerichtet hatte. Trotzdem gibt keiner von uns auf. Wir wissen, daß wir in Schweden einen ganz anderen, weltoffenen katholischen Geist erwecken müssen, wenn wir die atheistisch-protestantische Mauer in unserem Lande durchbrechen wollen.

Vor allem müssen die schwedischen Katholiken ihre Stellung als eigenartiges Relikt, als eine Art bestenfalls interessanter, sonst aber bloß lächerlicher Museumsstücke, aufgeben. Es gibt in Schweden nicht den geringsten Ansatz zu einer wirklichen katholischen Mission. Es ist nicht daran zu denken, daß katholische Priester etwa den Versuch machen könnten, schwedische Arbeiter oder schwedische Bauern zu bekehren — keiner von ihnen würde auch nur ein Wort der Sprache verstehen, die die ausländischen Priester bei uns reden, und noch weniger würden sie ihre veralteten Argumente und ihre aus dem vorigen Jahrhundert stammende Sentimentalität begreifen!

Wir wollen einen klassischen, realistischen Katholizismus haben, der modernen Menschen derart geboten wird, daß sie begreifen lernen, er habe Arbeitern und Bauern, frommen bürgerlichen Damen und Einzelgängern der gebildeten Stände die gleiche Botschaft zu bringen. Wir sind der Priester überdrüssig, die mit dem Faschismus Kompromisse schließen. Die schlechten Kirchengewohnheiten des 19. Jahrhunderts sind uns unerträglich. Wir wünschen ein neues, auf sicherem thomistischem Grund ruhendes Gebäude, das die klassische katholische ■ Lehre oder Erfahrung in keinem Punkt verletzt, das aber doch begreiflich, zugänglich und für anständige, sachliche, ungläubige schwedische Menschen der heutigen Zeit erstrebenswert ist.

Wir haben in Stockholm ein thomi-stisches philosophisches Seminar gegründet; die längste Zeit, wurde es von unseren Priestern angefeindet. Wir haben eine schwedische katholische Akademie — Academia catholica sue-.cana — geschaffen, von der bereits eine kleine Anzahl gelehrter Schriften ausgegangen ist; diese Akademie wurde von den ausländischen katholischen Priestern energisch bekämpft. Wir haben außerordentliche Anstrengungen gemacht, um die Zeitschrift „Credo“ aus ihrem Schlaf aufzurütteln und sie zu einer schwedischen Zeitschrift zu machen — dieser Tage haben die letzten Schweden der Redaktion den Rücken gekehrt. Wir schwedischen katholischen Konvertiten haben gezeigt, daß wir mit unseren Büchern und unseren Gedanken an das breite schwedische Publikum heranzukommen vermögen — was wir aber nicht überwinden konnten, ist die ausländische katholische Priesterschaft in unserem Land. Es bietet uns keine besondere Schwierigkeit, zur Konversion bereite Landsleute zu finden. Wir müssen sie aber so lange wie möglich von der Berührung mit den rückständigen katholischen Priestern in Schweden fernhalten und uns bemühen, ihnen eine ordentliche erste Schulung im Ausland zu vermitteln. Wir haben unser Äußerstes getan, dem schwedischen Volk zu beweisen, daß Katholizismus nicht mit Faschismus und degenerierter Bürgerlichkeit gleichzusetzen ist, sondern eine ewige Lehre darstellt, die augenblicklich aktueller und wirklichkeitsnäher ist denn je. Unsere Arbeit wurde jedoch von unseren Priestern erschwert.

Und doch sind sie zweifellos alle sehr loyal und anständig, ja viele von ihnen sogar ausgezeichnet. Und trotz allem meinen sie es gut. Und wir sind ihnen dankbar dafür, daß sie überhaupt nach Schweden gekommen sind. Wir haben auf alle Fälle unsere kleinen, wenn auch meist ästhetisch wenig ansprechenden Kapellen und Kirchen. Die Messe wird jeden Morgen an vielen Stellen unseres Landes gelesen. Und das bleibt das Wichtigste.

Das alles ist nicht bloß als ein Gruß aus Schweden gedacht. Es ist auch ein Hilferuf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung