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Die Straße nach Damaskus

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Ich wurde 1903 in England mit einer starken ererbten Neigung für die anglikanische Kirche geboren. Mein Vater war ein sogenannter „treuer Anhänger der Kirche“, das heißt er besuchte regelmäßig den Gottesdienst und führte ein sittlich einwandfreies Leben. Er hatte kein Interesse für Theologie. Er hatte auch kein Interesse für Politik, aber er wählte immer konservativ, weil sein Vater und Großvater es getan hatten.

Mit zehn Jahren schrieb ich ein langes und langweiliges Gedicht über das Fegefeuer, und zum Entsetzen meiner Eltern, die meinen Charakter richtig beurteilten, äußerte ich die Absicht, Geistlicher zu werden. Die Begeisterung, die meine Schulkameraden für Vogeleier oder Modelleisenbahnzüge empfanden, empfand ich für kirchliche Dinge, wobei ich zungenfertig über Kasein und Erastianismus redete. Ich wurde daher in die Schule geschickt, die den Ruf der stärksten kirchlichen Einstellung hatte. Mit sechzehn Jahren teilte ich dem Schulgeistlichen feierlich mit, daß es keinen Gott gebe. Mit 26 Jahren wurde ich in die katholische Kirche aufgenommen und alle nachfolgenden Ereignisse haben nur dazu geführt, meine Treue zu ihr zu vermehren.

Diese Sprunghaftigkeit soll ich jetzt erklären. Zunächst einmal meine frühzeitige Frömmigkeit. Ich möchte dieser frühreifen Begeisterung nicht alle Echtheit absprechen, aber der Hauptsache nach war sie ein Steckenpferd wie die Vogeleier und Modelleisenbahnen meiner Schulkameraden. Die Anziehung war teils Erbteil, teils ästhetischer Natur. Meine Leser außerhalb Englands müßten wissen, daß die Ästhetische Anziehungskraft der anglikaninischen Kirche etwas Einmaliges ist. In anderen Ländern wird das erste Interesse für die katholische Kirche in der Phantasie des Konvertiten oft durch die Pracht ihres Gottesdienstes im Vergleich zu der Dde und Mittelmäßigkeit der protestantischen Sekten geweckt. In England ist es umgekehrt. Die mittelalterlichen Kirchen und Kathedralen, die prungkvollen Zeremonien, die das Königtum umgeben, der historische Nimbus von Canterbury und York, die soziale Struktur der Landpfarren, die Kultur Oxfords und Cambridges, sie alle gehören zum Besitztum der anglikanischen Kirche, während die Katholiken sich in modernen, kläglichen Gebäuden versammeln und gewöhnlich von einfältigen irischen Missionären betreut werden.

Die Oberflächlichkeit meiner frühen Religiosität zeigt sich an der Leichtigkeit, mit der ich sie aufgab. Ich legte meinen ererbten Glauben so leicht ab wie einen ausgewachsenen Rock. Die Umstände waren folgende: Im ersten Weltkrieg meldeten sich viele jüngere Lehrkräfte der Universitäten, um aus Patriotismus junge Lehrer zu ersetzen, die einrücken mußten. Unter ihnen kam auch ein führender Oxforder Theologe an meine Schule, der heute Bischof ist. Dieser gelehrte und fromme Mann machte mich unabsichtlich zum Atheisten. Er erklärte in seinen Religionsstunden, daß sämtliche Bücher der Bibel nicht von ihren angeblichen Verfassern seien. Als er meine ererbten Glaubenssätze auf diese Weise abgetan hatte, fand ich mich völlig außerstande, ihm in die höheren Regionen der Logik zu folgen, durch die er seine eigene Skepsis mit seiner Stellung als Geistlicher versöhnte.

Gleichzeitig las ich Popes „Essay über den Menschen“. Die Anmerkungen führten mich zu Leibnitz, und ich begann ein planloses und nur halb verstandenes Studium der Metaphysik. Ich kam weit genug, um über das Wesen der Erkenntnis in völlige Verwirrung zu geraten. Es schien am einfachsten, alles Suchen aufzugeben und anzunehmen, daß der Mensch nicht imstande ist, irgend etwas zu erkennen. Ich bin überzeugt, daß ich ein eingebildeter Laffe und öder Patron war, aber ich glaube, wenn ich als katholischer Knabe in eine katholische Schule gegangen wäre, so hätte sich unter dem Lehrkörper irgend jemand gefunden, der genügend Geduld gehabt hätte, meine jugendliche Vermessenheit mit mir zu prüfen. Und wäre ich durch die Sakramente gestärkt worden, so hätte ich meinen Glauben zu hoch gehalten, um ihn so leichtfertig aufzugeben.

Die nächsten zahn Jahre meines Lebens sind eher Stoff für einen Romanschriftsteller als für einen Essayisten. Diejenigen, die meine Werke gelesen haben, werden sich vielleicht ein Bild von der Welt machen können, in die ich mich voll Uber-schwänglichkeit stürzte. Zehn Jahre in dieser Welt genügten, um mir zu zeigen, daß das Leben dort und überall ohne Gott unbegreiflich und unerträglich ist. Die Schlußfolgerung lag auf der Hand. Aber jetzt kommt die Frage: Warum Rom? Ein Katholik, der seinen Glauben verliert und dessen Notwendigkeit neu entdeckt, kehrt unfehlbar zu der Kirche zurück, die er verlassen hat. Warum ich nicht?

Hier ist, glaube ich, der Europäer etwas im Vorteil, besonders gegenüber dem Amerikaner. Ich kann mir denken, daß jemand in gewissen Teilen der Vereinigten Staaten aufwächst, ohne sich je der einzigartigen Stellung der Kirche bewußt zu werden. Er betrachtet die Katholiken als eine vortreffliche Gesellschaft in einer Reihe ebensolcher anderer, die alle um seine Anhängerschaft werben. Das ist einem Europäer nicht möglich. England war 900 Jahre katholisch, dann 300 Jahre protestantisch, dann 100 Jahre glaubenslos. Die katholische Struktur liegt noch immer, leicht verdeckt, allen Erscheinungsformen des englischen Lebens zugrunde. Auslandsreisen in jedem Land enthüllen überall den lokalen, temporären Charakter der Häresien und Schismen und den universalen, ewigen Charakter der Kirche; es war für mich selbstverständlich, daß Häresien und Schismen nicht recht haben konnten und die Kirche unrecht. Es war möglich, daß alle unrecht hatten, daß die ganze christliche Offenbarung ein Betrug war oder auf einer falschen Auffassung beruhte. Wenn aber die christliche Offenbarung echt war, dann war die Kirche die von Christus gegründete Gesellschaft und alle anderen Gemeinschaften waren nur insofern von Wert, als sie etwas aus den Ruinen des großen Schismas und der Reformation gerettet hatten. Dieser Satz schien mir so eindeutig klar, daß er keine Diskussion zuließ. Es blieb nur übrig, die historischen und philosophischen Beweisgründe für die Echtheit der christlichen Offenbarung zu untersuchen. Ich hatte das Glück, einen hervorragend klugen und frommen Priester kennenzulernen, der es unternahm, mir das zu beweisen. Und so wurde ich auf Grund fester, verstandesmäßiger Uberzeugung, aber mit geringer gefühlsmäßiger Anteilnahme in die Kirche aufgenommen.

Seither ist mein Leben eine nie endende beglückte Entdeckungsreise. Ich habe gehört, daß manche Konvertiten in ihrem späteren Leben etwas sehnsüchtig auf die Innigkeit ihrer ersten Glaubensmonate zurückblicken. Bei mir war es genau umgekehrt. Ich blicke mit Entsetzen auf die Anmaßung zurück, mit der ich mich für reif zur Aufnahme in die Kirche hielt und mit Staunen auf die Zuversicht des Priesters, der die Möglichkeit des Wachstums in einer so dürren Seele erkannte.

Von Zeit zu Zeit stellen Freunde, die außerhalb der Kirche stehen, Fragen an mich. Sie werden von gewissen Dingen angezogen, von anderen abgestoßen und verwirrt. Ihnen kann ich nur aus meiner eigenen Erfahrung heraus sagen: „Kommt herein. Ihr könnt nicht von draußen wissen, was die Kirche ist. Wenn ihr auch noch so gelehrte Theologen seid, so zählt doch alles, was ihr wißt, nichts im Vergleich zu dem Wissen des einfältigsten Mitglieds der Gemeinschaft der Heilig.“

Aus: John A. O'Brien, „The Road to Damascus“. Ubersetzt von Marianne von Schön.

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