6787132-1970_18_12.jpg
Digital In Arbeit

Kreuzzug gegen die Kreuzzüge

Werbung
Werbung
Werbung

Friedrich Heer legt ein neues Buch vor, „Kreuzzüge — gestern, heute, morgen?“ (C.-J.-Bucher-Verlag, Lu-zern, 255 Seiten, 39 Abbildungen).

Das Buch ist, um es vorweg zu nehmen, brillant geschrieben. Das Buch ist in seiner Tendenz völlig richtig. Fritz Heer geht es darum, dem Leser zu beweisen, daß der Einsatz von Gewalt zur Erreichung ideologischer Zwecke ungerechtfertigt ist. Gewalt darf nicht eingesetzt werden, um jemanden zum Christen zu machen oder auch, um jemanden zum Kommunisten zu machen. Insbesondere ist die Anwendung von Gewalt im Dienste einer christlichen Mission völlig abzulehnen. Die Kreuzzüge in ihrer ursprünglichen Form, wie sie zwischen 1066 und 1270 abrollten, sind nach Fritz Heer die skandalösesten Anwendungen von Gewalt zum Zweck der Christianisierung von Menschen oder zum Zweck der Durchsetzung der Rechte der Kirche. Nochmals sei betont: Heers Theorie ist völlig richtig!

Gewalt darf niemals angewendet werden, um Menschen zum Christentum zu bekehren oder um sie in der Kirche zu halten.

Dennoch muß einiges zu den Meinungen von Fritz Heer über die historischen Kreuzzüge gesagt werden. Alle die Verbrechen, alle die Grausamkeiten, alle die Schrecknisse, die während der Kreuzzüge und durch die Kreuzfahrer geschahen und die Fritz Heer aufzählt, sind wahr. Der unbefangene Leser wird nach der Lektüre dieser Schilderungen vielleicht resigniert das Buch aus der Hand legen und zu der Erkenntnis kommen, daß es im Mittelalter eigentlich nur humanistisch gesinnte Mohammedaner und elende, verbrecherische Christen gab. Und eben zu dieser Alternative muß etwas gesagt werden.

Zunächst einmal, daß die Christen nicht die eigentlichen Erfinder der „Kreuzzugsidee“ sind. Dies sind in Wirklichkeit die Mohammedaner selbst. Vom Jahre 622 an, dem Jahre der Flucht Mohammeds van Mekka nach Medina, beginnt der große Kreuzzug des Islams gegen die abendländische Welt. Durch ein Jahrtausend wird diese mohammedanische Welt die abendländische in Schnecken versetzen. Hundert Jahre nach der Flucht Mohammeds stehen die mohammedanischen Streitscharen bereits auf spanischem Boden und sind im Besitz von ganz Nordafrika. Die so blühende nordafrikanische Kirche, die dem Christentum Männer, wie Origenes, Tertullian und Augustinus, geschenkt hat, ist verschwunden und zerstört. Dieser Kreuzzug der Mohammedaner hätte auch in Westeuropa zum Siege geführt, hätte ihn 731 nicht Karl Marten in der Schlacht bei Tours und Poitiers gestoppt.

Dieser mohammedanische Kreuzzug hatte in vieler Hinsicht verheerende Folgen für das Abendland. Es ist nur zu begreiflich, daß dieser rasante Siegeszug der damaligen Menschheit einen tödlichen Schock versetzte. Der berühmte belgische Historiker Henri Pirenne hat bereits vor langem nachgewiesen, daß mit diesem Siegeszug der mohammedanischen Streitscharen in Afrika die damalige lateinisch-griechische Welt zusammenbrach. Infolge der Eroberung Nordafrikas durch die Mohammedaner kam der gesamte Handel zwischen dem südlichen und nördlichen Teil des Mittelmeerraumes zum Erliegen. Das Getreide aus Ägypten, das öl aus Afrika gelangten nicht mehr nach Europa, und ebensowenig die Luxuswaren und Gewürze, die feinen Tuche, das Gold, der Papyrus. Europa wurde eintönig und farblos. Durch Erlöschen des Handels brach jede Finanzverwaltung zusammen, und mit dem Verschwinden der Finanzkraft jede Bürokratie. Die Städte werden arm und dann klein.Das Kulturniveau sinkt erschreckend ab. Die Menschen hören auf, lesen und schreiben zu können. Während um 500 jeder Sklave der römischen Kulturlandschaft noch lesen und schreiben konnte, müssen Kaiser, wie Karl der Große und Otto der Große, durch einen Strich in einem yorgezeichneten Monogramm ihre Unterschrift vollziehen. Während so die römische Welt auf der einen Seite von den Arabern zerstört wurde, haben auf der anderen Seite bereits die wilden Horden der Germanen die römische Welt erobert und ihr ebenfalls einen tödlichen Stoß versetzt. Das neue Europa erwacht mit zwei riesigen Traumata: dem Einbruch der mohammedanischen Welt in die süd-lich-römisch-griechische Welt und dem Einbruch der Germanenhorden in die nördlich-römische Welt. Zwei politische Mächte versuchen dm europäischen Raum die Tradition des römischen Gedankens fortzusetzen: das sogenannte Heilige Römische Reich in Westeuropa und Byzanz in Osteuropa. Und auf geistigem Gebiet sucht die römische Kirche die besten Traditionen des alten Rom zu retten.

Aber Europa ist zutiefst verwundet. Und weder auf politischem noch auf religiösem noch auf geistigem Gebiet kann Europa im Mittelalter jene Höhen erklimmen, die ihm eigentlich gemäß wären. Vor allem: dieses sogenannte christliche und insbesondere frühchristliche Mittelalter ist gar nicht so christlich, wie es eine romantische Geschichtsschreibung dargestellt hat. Die Massen Europas sind vielfach nur durch Zwang zum Christentum bekehrt worden. Durch Zwang seitens der irdischen Mächte und nicht seitens der Kirche. Ihre weitere Ausbildung im christlichen Denken und Beten ist mehr als dürftig. Auch die Großen dieser T“elt waren nur selten von einem echten Christentum durchglüht. Und meist trunken von Machtrausch (dem ärgsten Rausch, den es gibt). Für sie war das Christentum oft nur ein Vorwand, um diesen Machtrausch austoben zu können. Und sie schalteten mit den Gütern und den Menschen der Kirche nach ihrem Gutdünken. Sie setzten Päp9te und Bischöfe ein und ab, ganz, wie es ihnen beliebte. Und in dem harten Kampf, den die Kirche für ihre Befreiung von den irdischen Mächten führte, schössen ihre leitenden Köpfe eben auch manchmal über das Ziel.

Als Papst Urban II. 1096 in Cladr-mont zum Kreuzzug für die Eroberung des Heiligen Landes aufrief, war Europa eigentlich ein Trümmerfeld In ihm steckte zutiefst der Schock, den es durch das rasante Auftreten der mohammedanischen Streitscharen erhalten hatte. In ihm steckte der Schock, den es durch den Untergang der römischen Kultur erlitten hatte. Es var von Menschen bevölkert, die in ihrer Masse ein elendes Dasein lebten, bedrückt von den Großen dieser Welt Und die Großen der Welt waren, auch wenn sie nur kleine Große waren, immer wieder bestrebt, ihre Macht auszudehnen. In dasein' frühmittelalterlichen Europa steckte auch noch etwas von dem dumpfen Drang der Völkerwanderungszeit. Es steckte in ihm der Glaube, daß der Mensch aus seinem Elend aussteigen und in ein irdisches Paradies einsteigen könne, wenn er seine Heimat abschüttle und sich ein fremdes Land erobere.

Als Urban II. zum Kreuzzug aufrief, da spielte er eigentlich nur den arabischen Ball zurück. Da versuchte er, dieses arabische Trauma durch einen gegenarabischen Traum auszulöschen. Und die Scharen, die ihm so willig folgten, mögen sie zu den Großen oder Kleinen dieser Welt gehört haben, wollten wieder einmal jenen Traum verwirklichen, den schon die Massen der Völkerwanderungszeit, den später die europäischen Scharen, die im 19. Jahrhundert nach Amerika auswanderten, verwirklichen wollten. Sie wollten aus ihren elenden Verhältnissen aussteigen, sie wollten sich von unglücklichen Ehen befreien, sie wollten drückende Schulden abschütteln, sie wollten endlich nicht nur über ein paar arme Dörfer, sondern über kleine Reiche regieren.

Dies ist der Hintergrund, den man kennen muß, wenn man sich mit den Kreuzzügen beschäftigt. Fritz Heer, es sei nochmals betont, erzählt nichts, was nicht wahr wäre. Aber er erzählt leider viel zuwenig von den Hintergründen, die diese Kreuzzüge erst ermöglichten. Dadurch kommt der Eindruck zustande, die christliche Welt bestehe zum größten Teil nur aus Schurken, und die nichtkatholische aus wahren Heiligen Die Kreuzzüge wären nicht aufgeflammt, wären früher nicht arabische „Kreuzzüge“ in die abendländische Welt eingebrochen. Ebenso, wie es keine russischen Truppen jetzt in Berlin gäbe, wenn nicht Hitler vorher in Rußland einmarschiert wäre. Eber, j, wie es keinen Staat Israel heute gäbe, wären die Juden nicht in so vielen Landern verfolgt worden. Es hätte auch keine „reconquista“ in Spanien gegeben, keine Wiedereroberung des mohammedanischen Spanien durch die Christen, wäre nicht vorher dieses Spanien durch die Mohammedaner erobert worden.

Dadurch sollen die grauenhaften Taten der Christen in den Kreuzzügen nicht entschuldigt werden. Aber man vergesse ja nicht, daß es unter so manchen Idealisten unendlich viel mehr Kreuzfahrer gab, die gerade noch getauft waren und sonst vom Christenum nicht viel wußten, man vergesse nicht, daß diese Germanen und Franken, die schon das römische Reich zerstört hatten, eigentlich hier nur ihre Völkerwanderung fortsetzten (ähnlich wie die germanische Welt des 19. Jahrhunderts diese Völkerwanderung mit der Auswanderung nach Amerika wieder aufnahm und dabei einen der größten Massenmorde der Geschichte begann, nämlich die Ausrottung der Indianer.

Rosenberg, der Verfasser des gräßlichen „Mythos des 20. Jahrhunderts“, hat einmal den Satz geprägt: „Das Evangelium wurde geadelt, weil Germanen es annahmen.“ Das Gegenteil: diese germanischen und halbgermanischen Völker des frühen Mittelalters, deren Vorfahren die römische Kulturlandschaft schon zerstört hatten, erwiesen sich als sehr zäh gegenüber den Lehren des Christentums. Sie waren ebensowenig ideale Christen wie Adolf Hitler der typische österreichische Katholik gewesen ist. Aber das Buch von Fritz Heer zeigt dip sich imi.ier &#9632;“''ec,<=rhole-'de Tragödie des Christentums: wie sehr sich die Menschen seiner Annahme w!'ersetzen, wie efr-vj wirklich verwandeln lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung