Wozu taugt Politik?

19451960198020002020

Gertraud Knolls Kandidatur könnte als Initialzündung für eine längst fällige Debatte über Sinn und Zweck von Politik verstanden werden.

19451960198020002020

Gertraud Knolls Kandidatur könnte als Initialzündung für eine längst fällige Debatte über Sinn und Zweck von Politik verstanden werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Bewerbung von Gertraud Knoll um das höchste Amt im Staat hat sich bereits jetzt voll ausgezahlt. Vielleicht auch für sie - das muß sie selbst beurteilen; jedenfalls aber für uns alle, für das Land, für Österreich. Nie hätten wir sonst eine derartige facettenreiche, quasi metapolitische Debatte über Grenzen und Möglichkeiten von Politik, die berechtigten Erwartungen und verständlichen Illusionen, die mit politischen Amtsträgern verknüpft werden, gehabt. Die Furche trägt auch diese Woche das ihre dazu bei, mit einem Beitrag des Psychotherapeuten Heinz Zangerle auf Seite 6.

Aber auch andernorts inspirierte das Antreten der burgenländischen Superintendentin Kommentatoren zu Überlegungen über Sinn und Zweck politischen Handelns. Grob lassen sich zwei Deutungsstränge unterscheiden: Jeweils davon ausgehend, daß die Person Knoll für "mehr Wärme in der Politik" steht, gaben die einen zu bedenken, daß wir nicht zuwenig, sondern schon zuviel Wärme in der Politik hätten, während andere begeistert riefen: "Mehr Wärme, ja, das kommt an in Zeiten wie diesen". Zu ersteren zählt etwa der SOS-Mitmensch-Aktivist und Sozialexperte Martin Schenk, der in einem klugen "Standard"-Gastkommentar den "Sündenbock-Populismus von rechts" und "das Gemeinschafts-Pathos von Mitte links", das er trefflich auch als "Sozialkitsch von oben" bezeichnete, miteinander verglich. Demgegenüber gaben etwa Doris Knecht im "Falter" oder auch der sonst so besonnene Georg Hoffmann-Ostenhof im "profil" ihrer Freude über Knolls Kandidatur unverhohlen Ausdruck. Dabei war nicht ganz klar, ob sie selbst der Meinung seien, Politik brauche mehr Wärme und deswegen mehr Knoll, oder ob sie einfach das Phänomen des öffentlichen Bedürfnisses nach Temperaturanstieg beschrieben, um daraus Knolls Eignung für das höchste Amt im Staat abzuleiten. Für Hoffmann-Ostenhof diente immerhin die geistliche Präsidentschaftskandidatin gar zur Untermauerung seiner These einer schönen sozialdemokratischen Zukunft: die Konservativen hätten ideologisch gesiegt (Marktwirtschaft, schlanker Staat etc.), aber eine menschengerechte und sozial verträgliche Umsetzung von deren mittlerweile unumstrittenen Prinzipien trauten die Leute eben - siehe Knoll - eher den (neuen) Sozialdemokraten zu.

Defizit-Behebung Natürlich haben beide Seiten irgendwie recht. Knoll kommt an, keine Frage. Sie kommt an, weil sich auf sie (vielfach enttäuschte) Hoffnungen projizieren lassen: daß der rauhe Wind des Wirtschaftsliberalismus nicht alle Werte und Ordnungen hinwegfegen möge, daß auch in einer immer zynischer anmutenden Politik- und Medienwelt Authentizität - die Deckungsgleichheit von Person und öffentlichem Auftreten - möglich sei und dergleichen mehr. Vor allem aber dürfte es eine Art emanzipierter Mütterlichkeit sein, die Knoll symbolisiert, und die sie vielen (nicht nur Frauen) attraktiv erscheinen läßt. Dazu kommt noch, daß sie als evangelische Christin auch eine spirituelle Dimension repräsentiert, nach der sich zahlreiche Menschen bewußt oder unbewußt sehnen, die in der katholischen Kirche zu suchen sie aber nicht (mehr) auf die Idee kämen. Kurz und überspitzt gesagt: Knoll ist so etwas wie ein Versprechen auf die Behebung der vielfach empfundenen Defizite in Politik und Gesellschaft.

Da haken dann die anderen ein: Politik muß mehr sein als Versprechen, Appelle, Symbolik, sagen sie zu Recht. Es ist allerdings nicht ganz fair, dies im Falle einer Bundespräsidentschaftskandidatin überzustrapazieren. Denn was soll denn das Amt sonst sein, wenn nicht ein symbolisches. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen - es wurde an dieser Stelle schon einmal im Vorfeld der anstehenden Präsidentenwahl gegen ein Abschaffen des Amtes argumentiert: daß Politik eben auch ihre symbolischen Handlungen und Personen braucht, wenn sie mehr sein will als bloße Pragmatik; und daß die Doppelstruktur von Vorsitz (Präsidentschaft) und Geschäftsführung (Kanzlerschaft) nicht nur in Staaten, sondern auch in diversen Institutionen durchaus vernünftig ist - im Sinne einer Arbeitsteilung und einer Aufteilung von Macht und Autorität. Nur sollte man eben diese Arbeitsteilung auch bei der Beurteilung der Präsidentschaftskandidaten im Hinterkopf haben. Deswegen hat Knoll grundsätzlich recht, wenn sie sagt, sie würde für ihre Amtsführung auf die Macht des Wortes und moralische Überzeugungskraft setzen. Nichts anderes haben etwa Vaclav Havel oder Roman Herzog bzw. sein Vorgänger Richard von Weizsäcker - gewissermaßen die europäischen Vorzeigepräsidenten - immer getan. Nun mag man einwenden, die genannten Personen besäßen doch ganz anderes politisches Format. Das ist zweifellos richtig, ändert aber nichts am moralisch-appellativen Charakter des Amtes.

Aber über Knoll und das Amt hinaus bleibt die Frage, welche Art von Politik Zukunft haben kann. Der eingangs erwähnte Diskurs hat der Kandidatur Gertraud Knolls als eines Anstosses bedurft, sich mittlerweile aber verselbständigt. Die darin aufgeworfenen Fragen können, nein, müssen auch losgelöst vom Wettlauf zur Hofburg verhandelt werden.

Da aber ist zunächst festzuhalten, daß wir weder zuwenig noch zuviel Wärme in der Politik haben. Das eine zu behaupten, mutet naiv-romantisch an, das andere vermutlich zynisch - zumindest für jene, die wirklich friert. Was wir indes dringend bräuchten, wäre eine in der richtigen Selbsteinschätzung der Politiker gründende Sachlichkeit in der Politik. Eine davon geleitete Politik müßte zuallererst den Mut haben, sich selbst zu relativieren - etwa im Hinblick auf supranationale Strukturen wie die EU oder auf die Eigengesetzlichkeit wirtschaftlicher Dynamik. Dabei geht es nicht darum, "die EU" oder "ökonomische Sachzwänge" für allerlei Unzulänglichkeiten verantwortlich zu machen, positive Entwicklungen aber als Erweis für die Brillanz und Potenz nationalstaatlicher Politik zu feiern. Vielmehr erscheint eine ernsthafte Diskussion darüber, welche Aufgaben Bund/Länder/Gemeinden wahrnehmen sollen und können, dringend geboten. Das betrifft Sozial- ebenso wie Medienpolitik, das Thema Arbeitsplätze genauso wie die Kultur. Dazu wird es naturgemäß unterschiedliche Ansichten geben. Aufgabe der durch Wahlen (indirekt) als politisch Verantwortliche bestimmten Personen aber ist es, ihre Positionen zu diesen Fragen darzulegen, den Menschen also einsichtig zu machen, was notwendig und was unnötig, was realisierbar und was nicht machbar ist.

Der Mann oder die Frau in der Hofburg könnte es künftig als eine seiner/ihrer vornehmsten Pflichten sehen, diese Debatte voranzutreiben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung