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„Bis zur Grenze"

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Die „Furche hat in ihrer Ausgabe vom 19. Jänner unter dem Titel „Achtung! — Staatsvertrag!“ zu den Beratungen der gegenwärtig in Wien tagenden gemischten, aus Vertretern der deutschen und der österreichischen Bundesrepublik zusammengesetzten Kommission zur Behandlung des Komplexes „Deutsches Eigentum“ Stellung genommen. Der Besorgnis, daß die Arbeit der Kommission über die durch den Staatsvertrag gesteckten Grenzen hinauszustreben drohe oder diese Grenzen an bestimmten Stellen übersehen wurden, ist im Interesse beider Verhandlungspartner als gültiger Grundsatz entgegengehalten worden (wörtlich): „Gegenüber dem deutschen Freunde rücksichtsvolles Entgegenkommen in Sachen des Deutschen Eigentums bis zur Grenze des Gerechten und Tragbaren und vom Staatsvertrag Erlaubten.“

Das war schlechterdings nicht mißzuver- stehen. Da sich unsere Darlegung mit strenger Sachlichkeit auf erkennbar zuverlässiges Material stützte, durften wir füglich als Antwort höchstens das Bemühen um einen sachlichen Erweis erwarten, daß unsere Besorgnis in diesem oder jenem einzelnen Punkte unbegründet sei. Nichts wäre uns lieber gewesen als das. Gerade das abei ist leider nicht geschehen. Statt dessen trat uns aus einer bestimmten Richtung der österreichischen, vereinzelt der deutschen Presse, nur eine Flut bösartiger Mißdeutungen und Anschuldigungen — von „berufsmäßiger Preußenfresserei“ bis zur „Ver- naderung des eigenen Landes" — entgegen. Wir können diese aufgeregten Insinuationen nur mit aller Gelassenheit zurückweisen.

Wichtiger scheint es uns nach wie vor, der guten Sache weiterhin in einer fairen Behandlung durch Abwägung der Tatsachen und achtbarer Meinungen zu dienen. Dies wird auch im folgenden versucht Wir wissen uns dabei eins mit vielen guten Oesterreichern und wohlorientierten deutschen Freunden, die uns in den letzten Tagen in Zuschriften und Anrufen immer wieder bezeugt haben, daß sie uns auch darin wohl verstanden haben.

Was hat denn der Autor des „Furche"- Artikels nun wirklich behauptet?

Er kritisierte die Teilung der Vermögenswerte in zwei Gruppen, die Festlegung des Einheitswertes per 1. Jänner 1948 als Stichtag für die Wertberechnung, die Aufteilung der Werte der Anteile an Personengesellschaften und Gesellschaften m. b. H. in der Form, daß der für die Gesellschaft geltende Einheitswert auf die Gesellschafter nach dem Verhältnis ihrer Beteiligung aufgeteilt wird, die gesonderte Bewertung jeder der beiden Vermögensgruppen, die Behandlung der absoluten Wertgrenze von 260.000 S als Freibetrag, die Nichteinbeziehung der Erträgnisse in die Wertberechnung und die Rückgabe verschiedener Vermögenswerte an deutsche juristische Personen.

Die juristischen Bedenken des Verfassers galten also lediglich den Grundsätzen, die der neue Vertrag in rechtliche Form zu bringen hat. Sie zu beleuchten, hielt der Verfasser für das gute Recht ja eine Pflicht der Publizistik. Dagegen vermied er es streng, sich in die Paragraphierung einzelner Vertragsbestimmungen einzumengen. So blieb mit Bedacht eine ganze Reihe anderer Verhandlungspunkte der Kommission von ihm unerwähnt, die man sich ganz gut auch in österreichischem Sinne gelöst denken könnte, wie beispielsweise eine befriedigende Auslegung des Art. 23 Abs. 3 des Staatsvertrages in der Richtung, daß die Forderungen österreichischer Gläubiger de facto als nicht verzichtet gelten, die Nichtanwendung des genannten Forderungs Verzichtes in Verbin düng mit Art. 5 Abs. 4 des Londoner Schulden- abkommens auf dem Gebiete des privaten Versicherungswesens, die Anerkennung von Forderungen gegen deutsche Bausparkassen und die Sonderregelungen hinsichtlich der Bank der deutschen Luftfahrt, der Heeresrüstungskredit- AG., des Böhler-Konzernes u. a. m.

Es ist nicht einzusehen, warum in allen diesen Fragen nicht eine beide Teile zufriedenstellende, zugleich aber auch korrekt auf den Staatsvertrag Bedacht nehmende Gesamtlösung möglich sein sollte — eine Erwartung, die auch Bundeskanzler Ing. Raab dieser Tage bei den Beratungen der Bundesparteileitung der OeVP auf dem Semmering ausgesprochen hat: „Der Staatsvertrag hat bekanntlich für die Regelung der Frage des Deutschen Eigentums nur einige grundsätzliche Bestimmungen, sozusagen einen Rahmen geschaffen. Es ist die Aufgabe Oesterreichs, innerhalb dieses Rahmens das Problem in zwischenstaatlichen Verhandlungen endgültig zu regeln. Wir werden dabei die Interessen unseres Landes und die Verpflichtungen, die uns der Staatsvertrag auferlegt, ebenso wahr-

nehmen, wie wir auf der anderen Seite, soweit dies möglich ist, den Grundsatz des redlich erworbenen Eigentums wahren werden. Das siebente Gebot, ,Du sollst nicht stehlen', muß für uns auch in diesem Fall gelten.“ Psychologische Mißverständnisse könnten allerdings noch entstehen, wenn in der Kommission der Fragenkreis ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des „ehemaligen Deutschen Eigentums" betrachtet werden sollte. Dazu nun muß in aller Deutlichkeit gesagt werden, daß der Grundsatz von der Unverletzlichkeit des Eigentums auch für jenes Eigentum gilt, das von den früheren deutschen Berechtigten über die Potsdamer Konferenz (unter ausdrücklicher Aner kennung durch die Deutsche Bundesrepublik im Pariser Generalvertrag) durch den österreichischen Staatsvertrag in völkerrechtlich einwandfreier Weise auf die Republik Oesterreich übergegangen ist. Es handelt sich also dabei, was übrigens von keiner Seite je bestritten wurde, um österreichisches Eigentum. Diese Feststellung ist notwendig, um bestimmte Aeußerungen in der Presseauseinandersetzung auf ihre rechtliche Basis hin zu beleuchten. Artikel 22 Abs. 13 des Staatsvertrages sagt unter anderem eindeutig, daß als ehemalige deutsche Vermögenswerte, Rechte und Interessen übergebene Vermögenswerte an deutsche juristische Personen überhaupt nicht und an deutsche physische Personen nur dann, wenn der Wert der Vermögensschaft e n, Recht e und Interess e n 260.000 S nicht über steigt (nicht etwa: 1948 überstiegen hat!), übertragen werden können. Daraus geht unter anderem eindeutig hervor, daß Oesterreich einer Ueber- tragung von Vermögenswerten an deutsche juristische Personen niemals zustimmen kann.

Warum hat keine der Polemiken hierzu er widert, daß ein solcher Versuch gar nicht unternommen worden sei?

Oesterreich ist sich klar darüber, daß die freundschaftlichen Beziehungen zweier Völker, die durch die jahrhundertelangen Bande staatsrechtlicher, wirtschaftlicher und kultureller Art viele Berührungen aufweisen, in Rechtsnormen nicht erschöpft sind. Es wird nicht vergessen, daß ihm die Geschichte in der Vergangenheit bei der Formung europäischen Raumes eine wichtige Rolle zuwies, die ihm noch heute besondere Bedachtnahme auferlegt. Diese Bedacht- nahme. die sich in der Gegenwart auf ein vereintes und befriedetes Europa richtet, gebietet heute. wie im letzten Absatz des Artikels der „Furche“ vom 19. 1. eindeutig und präzise gesagt wurde, gerechte Wünsche des deutschen Verhandlungspartners im Rahmen der rechtlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten so weit wie nur möglich zu berücksichtigen. Die Konzilianz und Kompromißfähigkeit des Oester- reichers wird ohne Zweifel im Rahmen der Rückgabemöglichkeit des Art. 22 Abs. 13 des Staatsvertrages ein weites Betätigungsfeld finden.

Diese Bereitschaft, dem deutschen Partner großzügig, „bis zur Grenze des Gerechten und Tragbaren und vom Staatsvertrag Erlaubten", zu begegnen, kann und darf aber nicht einschließen, daß Oesterreich dabei lebenswichtige Interessen, seine wirtschaftliche Unabhängigkeit, ja seįn Lebensrecht aufs Spiel setzt.

Und dieses Lebensrecht fußt in Gegenwart und Zukunft nicht zuletzt auf korrektester Vertragstreue.

Dies war zu beweisen.

Dies war zu besorgen.

Und sonst nichts.

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