6624986-1956_02_12.jpg
Digital In Arbeit

Das Verlagswesen in der Deutschen Demokratischen Republik

Werbung
Werbung
Werbung

Der Chefstatistiker des Börsenvereins Deutscher Verleger- und Buchhändlerverbände E. V. in Frankfurt am Main, Sigfred Taubert, hat kürzlich seine Untersuchungen über die Buchproduktion 1954 in der DDR bekanntgegeben.

Dadurch ist es möglich, die Entwicklung des ostzonalen Verlagswesens durch Vergleich mit den Vorjahren und der Vorkriegszeit aufzuzeigen. Von einer natürlichen Entwicklung kann freilich nicht gesprochen werden. Schon vor der Errichtung des „Amtes für Literatur und Verlagswesen“ als staatliche Planungs- und Kontrollstelle des gesamten Verlagswesens und der Buchproduktion im Herbst 1951 war jedes in der sowjetischen Besatzungszone erscheinende Buch an die parteiamtliche Verlagslizenz gebunden. Worin im wesentlichen die Arbeit des „Amtes für Literatur und Verlagswesen“ besteht, kommt in einem Artikel des Börsenblattes für den Deutschen Buchhandel, Leipziger Ausgabe vom 8. Jänner 1955, zum Ausdruck: „Das Amt für Literatur und Verlagswesen stellt Aufgaben, genehmigt Themenpläne, reiht auch neue Verlage zur Befriedigung des ständig wachsenden Bedarfes ein und verteilt die Papiertonnage.“ Dadurch verschwindet das freie Spiel der Unternehmer, das freie Wort überhaupt. An ihre Stelle tritt die staatlich gelenkte Buchproduktion nach den Wünschen und Zielen der herrschenden Partei und ihrer materialistischen Weltanschauung.

Die Buchproduktion 1954

zeigt gegenüber 1951 ein mächtiges Anwachsen der Titel. Waren 1951 noch 2142 Titel erschienen (außer Musikalien, Dissertationen, Kunstblättern und sonstigen sich nicht im Handel befindlichen Publikationen), so verzeichnet die Statistik für das Jahr 1954 insgesamt 5410 Titel. In Sachgebiete unterteilt, entsteht folgendes Bild:

Zahl

Sachgebiete der Titel Prozent Allgemeines, Buch- und Schriftwesen, Hochschulkunde 128 2,4 Religion, Theologie 242 4,5 Philosophie, Psychologie 47 0,8 Rechtswissenschaft 73 1,3 Wirtschafts- und Sozialwissenschaft 183 3,4 Politik, Verwaltung 194 3,6 Sprach- und Literaturwissenschaft 158 2,9 Schöne Literatur 991 18,3 Jugendschriften 243 4,5 Pädagogik, Jugendbewegung 189 3,5 Schulbücher 205 3,8 Kunst, Kunstgewerbe 122 2,3 Musik, Theater, Tanz 167 3,0 Geschichte, Kulturgeschichte,

Volkskunde 157 2,9

Erd- und Völkerkunde 114 2,1

Karten, Atlanten 199 3,7

Medizin 232 4,3

Naturwissenschaften 368 6,8

Mathematik 70 1,3

Technik, Handwerk 909 16,8

Handel, Verkehr 74 - 1,4 Land- und Forstwirtschaft,

Gartenbau 231 4,3

Turnen, Sport, Spiele 83 1,5

Hauswirtschaft, Verschiedenes 31 0,6

Insgesamt 5410 100,0

An führender Stelle standen, wie in den Vorjahren, die Sparten: Schöne Literatur, Technik, Handwerk und Naturwissenschaften, die zusammen 41,7 Prozent aller erschienenen Titel ausmachen. Gemessen an den früheren gesamtdeutschen Normalverhältnissen, sind die technischen Bücher um das Dreifache gestiegen. Alle geisteswissenschaftlichen Disziplinen haben gegenüber den naturwissenschaftlichen, technischen, mathematischen und medizinischen starke Einbußen erlitten. Der Fachbuchverlag hat sich im Sinne des 21. Plenums des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands „Vorarbeit nicht nur für die Uebererfüllung des ersten Fünfjahresplanes, sondern für die Vorbereitung des zweiten Fünfjahresplanes zu leisten“ betätigt. Neben der Intensivierung der technischhandwerklichen Literatur hat die Planungsinstanz, das „Amt für Literatur und Verlagswesen“, ihr besonderes Augenmerk auf die „planmäßige Unterstützung der Verlagstätigkeit bei der Herausgabe von Werken aus der Sowjetunion, dazu demokratischer und fortschrittlicher Autoren anderer Nationen“, zu richten (Gesetzblatt 51/1159). Die in allen Ländern ergiebigste Sparte „Schöne Literatur“ wird in der DDR vorwiegend von Uebersetzungen, besonders aus dem Russischen, gespeist. Der allgemeine Uebersetzungsanteil liegt in der DDR-Produktion weit über den üblichen internationalen Erfahrungssätzen. Im ehemaligen Deutschen Reich betrug 1928 zum Beispiel der Anteil der Uebersetzungsliteratur an der Gesamtproduktion 5,3 Prozent. Die Bundesrepublik kam 195 3 auf 8 Prozent. In der DDR waren es 1953 20.6 Prozent. Jedes fünfte erschienene Buch ist also eine Uebersetzung! Zwei Drittel der Uebersetzungen sind, getreu den staatlichen Plänen, aus dem Russischen. Es handelt sich um eine wohldurchdachte Infiltration sowjetrussischen Geistes.

Das verpolitisierte Buch

wird trotz aller Schulung innerhalb der DDR abgelehnt. Es ist eine gewisse Ermüdung festzustellen. Daher mußte das „Börsenblatt des Börsenvereins deutscher Buchhändler“ in Leipzig, das Funktionsorgan des „Amtes für Literatur und Verlagswesen“, kürzlich dazu Stellung nehmen: „Jeder Buchhändler kennt diese Art Kunden, und jeder weiß, wie schwer sie zu bedienen sind. Und hier hatten die Kollegen aus dem Verlag die Möglichkeit, zu sehen, daß es oft nicht am Buchhändler liegt, wenn eines oder das andere der Verlagswerke nicht so gut geht, wie sie sich dai eigentlich gedacht hatten und wie es der Qualität des Werkes entspricht. Stellt man klar, welche Art Literatur die Kunden verlangen, beispielsweise Abenteuerromane für die Jugend, utopische Romane, etwas Lustiges, auch Satirisches, so kommt man auf den Kern der Sache. Es geht nicht sosehr um das Moment des Unpolitischen, denn die meisten Kunden wollen eigentlich gar nicht ein unpolitisches Buch haben, sondern sie meinen mit der Forderung ein gutes, ein interessantes Buch. Und man kann es ihnen nicht übelnehmen, denn wir alle wissen, daß viele unserer Bücher zwar von der ideologischen Seite her einwandfrei sind, aber, daß es, wie bei jungen Autoren, die vielleicht gestern noch im Betrieb waren und keine großen Erfahrungen im Schreiben haben, nicht anders zu erwarten ist, eben an der künstlerischen Meisterschaft mangelt. Der Leser will aber ein Buch haben, das sich gut liest und nicht nur gesellschaftswissenschaftliche Wahrheiten vermittelt, das ihn packt und in den Bann zieht. Und das ist sein gutes Recht. Das also verbirgt sich oft hinter dem Wunsch nach dem .unpolitischen' Buch.“ (BB1., Lpz. Ausg., 1955, Nr. 4.)

Nun, wer gut zu lesen versteht, auch zwischen den Zeilen, spürt deutlich die Müdigkeit, die hier zum Ausdruck kommt. Die „gesellschaftswissenschaftlichen Wahrheiten“ immer wieder in der gleichen Phraseologie im Vorwort des Chemielehrbuches oder im Nachwort einer Ausgabe von Peter Roseggers Schriften, in dem der steirische Poet aus der Waldheimat als „fortschrittlicher Demokrat“ reklamiert wird, vorgesetzt zu erhalten, ist kein Vergnügen.

Von der Verlagsstruktur

Obwohl die Buchproduktion von 1951 auf 1954 um 152 Prozent (3268 Titel) gesteigert worden ist, beteiligten sich daran nur insgesamt 142 Verlage gegenüber 127 Verlagen des Jahres 1951. Im vergangenen Jahre brachten acht Großverlage von den 5410 Titeln allein 2349 heraus. Rechnet man zu diesen großen Staatsverlagen noch die 21 Verlage hinzu, die mehr als fünfzig Bücher im Jahr publizieren, so haben diese 29 Verlage — oder 20,3 Prozent der 142 Verlage — insgesamt 75 Prozent der überhaupt produzierten Titel herausgebracht. Das restliche Viertel der Jahresproduktion bestritten nicht weniger als 113 Verlage. Die verhältnismäßig noch vielen kleinen Verlage, die jährlich bis fünf Titel produzieren, 57 Firmen, das sind 40,2 Prozent der ostzonalen Verlage, vertreten nur knappe zwei Prozent der Gesamtproduktion. Maßgebend für Charakter, Wesen und Produktionszahl sind die 29 großen Staatsverlage. Inwieweit der geplante Konzentrationsprozeß vorangetrieben wurde, zeigt nachstehende Uebersicht:

Titelzahl

Gruppe Verlagszahl Prozent Prozent 1951 1954 1951 1954 1951 1954

Kleinverlage

I bis 10 Titel 77 68 61,0 48,0 13,0 M Mittelverlage

II bis 50 Titel 40 45 31,1 51,7 39,9 21,5 Großverlage

51 u. mehr Titel 10 29 7,9 20,3 47,1 75,1 Insgesamt 127 142 100,0100,0 100,0100,0

Die verhältnismäßig noch immer große Zahl der Kleinverlage spielt mit ihrem Anteil von 3,4 Prozent an der Titelproduktion keine Rolle mehr. Alle Macht ist bei den 29 Großverlagen, die 75 Prozent der Titelproduktion beherrschen, konzentriert. Die Mehrzahl der Firmen haben in Ost-Berlin ihren Sitz, während Leipzig, die frühere erste Buchhandelsstadt, nur noch 24,8 Prozent der Titelproduktion innehat. Die Vergleichszahlen aus dem Jahre 1951: Ost-Berlin 35 Verlage, Leipzig 37 Verlage; 1954: Ost-Berlin 49 Verlage, Leipzig 40 Verlage. Die 4 9 O s t - B e r-liner Firmen haben 6 1,5 Prozent (3 32 4) aller Titel verlegt, während auf Leipzig nur noch 2 4,8 Prozent (1 337 Titel) entfallen. Die Entmachtung Leipzigs hat weiterhin Fortschritte gemacht. 1927 gab es in Leipzig noch 401 Verlage, 1951 nur noch 37, und 1954 40 Verlage. Die 37 Verlage des Jahres 1951 hatten noch 28 Prozent der Gesamttitelproduktion bestritten, die 40 Verlage des Jahres 1954 nur noch 24,8 Prozent.

Die tatsächlichen Besitzverhältnisse im Verlagswesen sind dem Außenstehenden nicht leicht zugänglich. Mühevolle Umfragen und Einzelinformationen haben ergeben, daß von den 142 Verlagen nur noch 15 als sicher in Privatbesitz und 40 wettere mit fraglichen Besitzverhältnissen zu bezeichnen sind. Diese 5 5 Verlage haben zusammen 667 Titel von den 5410, das sind 12,4 Prozent, produziert. Fast 90 Prozent der Produktion sind also eine staatliche Produktion. Die Verstaatlichung des Verlagswesens ist fast völlig gelungen. Das am 1. September 1951 geschaffene „Amt für Literatur und Verlagswesen“ hat mit der „Verordnung über die Entwicklung fortschrittlicher Literatur vom 16. August 1951“ ganze Arbeit geleistet. Alte Verlage, wie Thieme und Fischer, sind enteignet. Teubner, Reclam, Hirzel, Insel sind in Treuhänderschaft. Die Besitzer der Verlage Insel und Reclam haben sich wie die des Bibliographischen Institutes in Westdeutschland eingerichtet und produzieren dort in der bewährten alten Verlagslinie, während in der DDR die gleichen Verlage unter staatlicher Treuhänderschaft eigene „ausgerichtete“ Buchproduktionen aufweisen.

Die gelenkte Produktion hat eine positive Seite: die Bücher aus der DDR sind verhältnismäßig niedrig im Preis. Das wird einerseits durch den Preisstopp, der vor allem das Papier kontrolliert, erreicht, anderseits aber auch durch staatliche Zuschüsse, die sogar den wenigen Privatverlagen gewährt werden, um sie bei der Stange zu halten. Obwohl die buchtechnische Ausstattung in den letzten Jahren verbessert werden konnte, können die ostzonalen Bücher doch nicht mit der faszinierenden technischen Vollendung der westdeutschen, schweizerischen und österreichischen Bücher Schritt halten. Der Absatz des ostdeutschen Buches in Westdeutschland, in der Schweiz und in Oesterreich stößt aber besonders wegen der „fortschrittlich-demokratischen“ Einheitsfarbe auf Schwierigkeiten. Der Horror vor den linientreuen Einleitungen und Vorworten, die so sehr an gewisse Gepflogenheiten zu Zeiten der Reichsschrifttumskammer erinnern, ist im Westen begreiflicherweise groß. Deshalb haben neuerdings ostzonale Verlage eigene ,Exportausgaben“ ohne die tendenziösen Beifügungen herausgebracht.

Es sind sowohl zwischen der DDR und der Bundesrepublik wie auch zwischen der DDR und Oesterreich Handelsabkommen über den Bücheraustausch getroffen worden. Doch ist beiderseits eine höhere Import- als Exportziffer für die DDR herausgekommen. Durch Druckaufträge in ostdeutschen Druckereien wird die Importspitze abgetragen. Es gibt immer mehr Bücher westdeutscher Verlage, die in Ostdeutschland gedruckt wurden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung