Bücher - © Illustration: Rainer Messerklinger

Literaturbetrieb: Verdrängt und verschollen

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Der Literaturbetrieb ist ungerecht. Bücher werden zuerst geschrieben und dann gemacht – mit Hilfe schlagkräftiger Verlage. Es wäre an der Zeit, die Gewichtungen zu verschieben.

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Der Literaturbetrieb ist ungerecht. Bücher werden zuerst geschrieben und dann gemacht – mit Hilfe schlagkräftiger Verlage. Es wäre an der Zeit, die Gewichtungen zu verschieben.

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Es ist ein Gerücht, dass sich das durchsetzt, was von Belang ist. Das ist im durchschnittlichen Leben nicht anders als in der Literatur. Der Betrieb sorgt dafür, dass Bücher und deren Verfasser ins Gespräch kommen oder ignoriert werden. Damit fängt die Ungerechtigkeit an. Bücher werden zuerst geschrieben und dann gemacht – oder eben nicht gemacht. Unterhaltungsliteratur findet ihr Publikum, um sie kümmern sich Verlage, die schlagkräftig genug sind, allgegenwärtig zu sein. Solche Bücher stapeln sich in Buchhandlungen, sie finden sich im Supermarkt und im Bahnhofsshop, man nimmt sie im schnellen Vorbeigehen, auf die Auswahl kommt es nicht an. Es handelt sich um Austauschbarkeitsware, gearbeitet nach Mustern, die niemanden vergrämt oder zum Denken bringt.

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Daneben arbeiten Verlage, denen ein hehrer Anspruch nachgesagt wird. Sie bringen jene Literatur unter die Leute, die einen Mehrwert aufweist: an Gedankenfülle, Sprachbewusstsein, Geschichtswissen, Normenauflösung und den Eigensinn eines Autors, einer Autorin, den Fluchtweg ins Allbekannte zu verlassen, um sich einer anderen, womöglich unerprobten Wirklichkeit zu stellen. Literatur, die diskutiert werden will und es nicht darauf anlegt, zu gefallen, hat es selbstverständlich schwer, sich Gehör zu verschaffen. Sie tritt ja fordernd in Erscheinung, nimmt Einspruch billigend in Kauf, nur Gleichgültigkeit verträgt sie gar nicht.

Kämpfe um Deutungshoheit

Literatur per se ist ein politisches Unterfangen. Selbst sprachreflexive, weltabweisende Literatur ist politisch, weil gerade sie den Sprechblaseneffekt populistischer Färbung aufdeckt. Und Politik mischt sich in Literatur ein. Autoritäre Systeme verbieten, wenn es schlimmer kommt, ver- jagen kritische Texte. Die Geschichte des Nationalsozialismus weist eine dramatische Fülle solcher Fälle auf. Im Grunde müssten Literaturgeschichten ständig umgeschrieben werden, weil, was einmal genehm war, heute unbedeutend ist und uns ehemals Verfemtes als erhellend und beglückend erscheinen mag.

Literatur, die diskutiert werden will und es nicht darauf anlegt, zu gefallen, hat es selbstverständlich schwer, sich Gehör zu verschaffen.

Allein ein Blick auf die Nachkriegsszene in Österreich macht schnell deutlich, wie Kämpfe um Deutungshoheit und ästhetische Vorherrschaft Sieger und Verlierer hinterlässt. Es dauert Jahrzehnte, bis die im Verborgenen gesichtet werden und als Entdeckung neu präsentiert werden. Wenn etwas Glück im Spiel ist, bekommen sie eine kurz aufflackernde Aufmerksamkeit, um alsbald wieder ins Vergessensloch zu stürzen. Es läge an der literarischen Kritik und den Universitäten, Gewichtungen zu verschieben. Die Österreicher Oskar Jan Tauschinski oder Arthur Rundt verdienen es nicht, es nicht einmal zum Geheimtipp gebracht zu haben.

Späte Resonanz

Die kroatische Literatur weist Miroslav Krleža auf, einen Schriftsteller von weltliterarischem Format. Er hatte nicht nur einen schweren Stand im eigenen Land, wo er als politisch unzuverlässig galt. In den 1930er Jahren verstieß er gegen die Doktrin des sozialistischen Realismus, später geriet er mit Tito in Konflikt, um nach dem Ende des sozialistischen Experiments von den Kroaten zwanzig Jahre lang als Marxist ignoriert zu werden. Sie hätten wahrhaft schon früher stolz sein dürfen auf einen der herausragenden Intellektuellen und fulminanten Erzähler. Im deutschen Sprachraum unternahm der Wieser Verlag bedeutende Anstrengungen, dieses Werk übersetzen und drucken zu lassen. Das Verhängnis des Miroslav Krleža war, dass er, erschienen in einem Kleinverlag, schwer Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte.

Ein deutscher Kritiker ließ den Verleger Lojze Wieser einmal wissen, dass, wenn sich ein großer Verlag wie Hanser oder Suhrkamp des Werks angenommen hätte, er zweifelsfrei einer Rezension würdig wäre. Erst als das monumentale Epos „Die Fahnen“ nach jahrzehntelanger Vorarbeit in vier Bänden vorlag, wurde darauf reagiert. „Die Resonanz war gut“, sagt Lojze Wieser, was heißt, dass 1500 Stück verkauft worden sind. Ein Bestseller sieht anders aus, eine Normenverschiebung auch. Natürlich haben sich einzelne Persönlichkeiten der Verdrängten und Verschollenen angenommen, aber das genügt nicht. Um mit einiger Durchschlagskraft in die Öffentlichkeit vorzudringen, sind konzertierte Aktionen notwendig, wie es bei allen großen Namen der Fall ist.

Der neue Handke erscheint, und alle Medien reagieren umgehend. Wer zu spät ist, hat verloren, steht unter Rechtfertigungszwang. Die Gegenwart ist listenselig geworden. Es gibt keinen größeren Literaturpreis, ohne dass im Vorfeld Longlists und Shortlists veröffentlicht werden. Aus einer Fülle von Neuerscheinungen schaffen es eine Handvoll Titel, dort aufzuscheinen. Wie stets sind die Großverlage im Besitz der besseren Karten, um berücksichtigt zu werden. Es ist gut, dass Diskussionen darüber entbrennen, wie gelungen die Auswahl ist, was fehlt, was ungerechtfertigt reingerutscht ist. Im Gespräch aber bleiben jene, die für wert befunden wurden, ihre Verkaufschancen sind auch deutlich besser. Immerhin gelten Jurorinnen und Juroren als Experten, ungeachtet des Umstands, dass sie nicht dazu da sind, für endgültige Wertungen zu sorgen. Dass damit Ungerechtigkeiten verbunden sind, ist naheliegend.

Erstaunlich ist es schon, dass im vorigen Jahr Susanne Gregor und ihr politisch brisanter, sprachlich glänzend durchgearbeiteter und formal klug aufbereiteter Roman „Das letzte rote Jahr“ es weder auf die Liste für den deutschen noch den österreichischen Buchpreis geschafft hat. Soll man deshalb Juroren-Bashing betreiben? Keineswegs. Das ist nur ein Zeichen dafür, dass innerhalb eines Jahres doch eine stattliche Anzahl von Büchern erscheint, über die sich ernsthaft reden lässt. Also gut, Ausrutscher gehören dazu. Regelmäßig wird mindestens ein Titel genannt, den zu fördern es keinen vernünftigen Grund gibt. Aber kein Anlass zum Ärgern, diesen Spielraum soll es geben!

Die kleinen und unabhängigen Verlage haben sich nicht aufs Jammern verlegt, wenn ihnen unangenehm aufstößt, dass die Großen bevorzugt werden, wobei sie doch so oft die Vorarbeit für literarische Karrieren leisten. Viele Autorinnen und Autoren werden von kleinen, engagierten Verlagen entdeckt, und sobald ruchbar wird, dass in ihnen Potenzial für die Zukunft steckt, werden sie, häufig mit Geld, weggelockt. Das bringt den Vorteil mit sich, dass, wenn es sich um einen deutschen Verlag handelt, ein deutlich größerer Markt in Aussicht steht. Die PR-Maschine arbeitet sowieso erheblich effektiver.

Eine unabhängige Jury

Um dem etwas entgegenzusetzen, wurde die Idee der Hotlist entwickelt. Zwanzig Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, darunter der Folio Verlag und die Edition Korrespondenzen, waren 2009 daran beteiligt, herausragende Neu- erscheinungen herauszugreifen, um eine Liste zu erstellen, aus der eine unabhängige Jury dann jedes Jahr einen Preisträger kürt. 170 Einsendungen wurden in diesem Jahr verzeichnet. Der Preis geht an den cass verlag aus Bad Berka, den wichtigsten Vermittler japanischer und koreanischer Literatur, und den Roman „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ von Kim Young-ha. Es sollte Wirbel gemacht werden um solche Ereignisse, den Nutzen trägt der Leser.

Der Autor ist Literaturkritier.

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