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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DER STAATSBESUCH DES STELLVERTRETENDEN MINISTERPRÄSIDENTEN DER SOWJETUNION, ANASTAS I. MIKQJAN, in Oesterreich steht, zum ersten, an der Spitze der sowjetischen Schönwetteroffensive, die es der UdSSR ermöglichen soll, das Eis und die Kälte zu überwinden, die sich seit der ungarischen Katastrophe um viele ihrer internationalen Beziehungen gebildet haben. Die freundlichen Worte an die Adresse des österreichischen Volkes, „dessen Arbeitsamkeit, Friedenswille und Leistungen für die Schatzkammer der Weltkultur’ anerkannt werden, wollen, ebenso wie der oftmalige Hinweis auf die guten Beziehungen zwischen Moskau und Helsinki, demonstrieren, dafj die gro e und mächtige Sowjetunion es wünsche und schätze, auch mit kleinen Staaten in freund- nachbarlichen Beziehungen zu stehen. Diese Tatsache soll uns Oesferreicher nicht verstimmen, im Gegenteil: Auch der Staatsvertrag kam nur zustande, weil gleichzeitig eine weltweite Konzeption der russischen Politik ihn wünschenswert erscheinen lief). Je gröber die Zusammenhänge, in denen wir einbezogen sind, um so besser für uns. Nur eine globale Absprache wird ja eines Tages wirklich Sicherheit für jeden einzelnen, den „Kleinen’ und den „Groben’, mittein. In Wien wurde offen gesprochen. Die Sowjetunion möchte gerne wissen, wie es mit Oesterreichs Volk und Regierung ihr gegenüber beschaffen ist. An den Ländern um Oesterreich hat die UdSSR ein brennendes Interesse: an Ungarn, an Jugoslawien, an Deutschland, In gewisser Weise auch an Italien. Der Kreml sieht deshalb mibtrauisch in jeder intensiveren Zusammenarbeit Oesterreichs mit der Wirtschaft des Westens eine Bedrohung der Neutralität. Dies um so mehr, als er dingend wirtschaftliche Verbindungen mit Oesterreich und über Oesterreich sucht. Die Leistungsfähigkeit unserer Industrie ist ihm bekannt, Mikojans Besuch in Kaprun und bei der VOeESf. sollte dieses Interesse nur noch demonstrativ unterstreichen. Die österreichische Regierung hat es ihrerseits nicht an Offenheit fehlen lassen: Nur als wirklicher Partner kann Wien die Verantwortung vor Volk und Wirtschaft für erweiterte Handelsbeziehungen zur Sowjetunion übernehmen. Das heibt, dab Oesterreich aut Bezahlung in harter Währung und Lieferung von Waren, die wir wirklich brauchen und verwenden können, bestehen mub. Nun, die österreichische Wirtschaftsdelegafion wird im kommenden Herbst in Moskau da noch manchen Straub auszufechten haben, nicht zuletzt mit Mikojan selbst und seinen engeren Mitarbeitern. — Eine ganze Reihe von Fragen bleibt offen, nicht zuletzt die Herabsetzung der Oellieferungen an Moskau. Nicht zu vergessen die schwierigen Beziehungen zu dem Ungarn Janos Kadars, das seinen Eisernen Vorhang noch verstärkt hat und permanent unfreundliche Akte gegen Oesterreich setzt. Wir wissen nicht, welche Gedanken Mikojan bewegten, als ihn das Flugzeug aus unseren friedlichen Zonen entführte. Wohl aber darf vermutet werden, dab der sowjetische Staatsmann und sein Gefolge nicht unbeeindruckt waren durch das, was sie gesehen, und das, was sie gehört haben. Sie sahen ein Volk, gleichmütig und ruhig, bei der Arbeit und erfuhren seinen Willen, frei und friedlich in einer Welt zu leben, die ohne Angst und Terror sein soll. Am ehrlichen Willen Oesterreichs, auch mit der Sowjetunion in guten Beziehungen zu leben, fehlt es nicht. Wir glauben, dab Moskau diese Tatsache kennt und zur Kenntnis nimmt: Eine Hoffnung für das Wachsen des Friedens in Südosteuropa und darüber hinaus.

EINE FRAGE AN DIE FPOe. Das Organ der FPOe, die „Neue Front”, beschäftigt sich in einer ihrer letzten Nummern mit der Teilnahme der führenden Sozialisten an einer Kundgebung der katholischen Männer von Graz. Als Christen müssen wir eine Teilnahme von Sozialisten an katholischen Kundgebungen begrüben, eine formelle Teilnahme als Zeichen der gegenseitigen Achtung und eine persönliche Anteilnahme als Beweis einer weltanschaulichen Neutralisierung des Sozialismus. Erst eine Politik der offenen Tür macht die Kirche in Oesterreich frei. Das sei grundsätzlich festgestelll. Die FPOe- Zeitung spricht zwar in ihrem Artikel über „SPOe und Katholische Aktion’ von der „Toleranz’, besonders in Sachen des religiösen Lebens, labt jedoch in dem reichlich verworrenen Beitrag vermissen, wie eine solche Toleranz in der Wirklichkeit des Parteialltages aussehen kann. Wenn ein Katholik, der in der SPOe steht, zu einer katholischen Veranstaltung geht, ist er nach Ansicht der Freigeister der FPOe „völlig rückgratlos”, er tut einen „Kniefall’. Da ist die FPOe von einem ganz anderen Holzl Sie hat ihr Banner um so „kompromibloser aufgerichfet”. Gegen wen? Gegen die christlichen Kirchen? Sie, die FPOe, tut jedenfalls keinen Kniefall „vor jenen Kräften”, die „eine völlig konträre Weltanschauung vertreten”. So ist also die Kirche für die FPOe Repräsentant einer „konträren’ Weltanschauung? Dem Sinn des Wortes „konträr” entsprechend, mub das so verstanden werden: Hie Kirche, hie nationaler Freisinn, organisiert in der FPOel Wie man hört, hat die FPOe zwar (nach Befragungen) erheblich weniger Kirchengänger unter ihren Mitgliedern und Anhängern als die SPOe, aber doch noch so viele, dab ihr an einem loyalen Verhältnis zur Kirche gelegen sein mübte. Dazu kommt, dab einige Führer der FPOe doch einigen Wert auf ihre christliche Herkunft zu legen scheinen und wahrscheinlich in keiner Weise daran interessiert sind, dem hinterwäldlerischen Antiklerikalismus der NSDAP innerhalb der FPOe Raum zu geben. Diese Kräfte — und es sind wertvolle Menschen unter ihnen — seien gebeten, beizutragen, dafj die Atmosphäre weiterhin entgiftet bleibt und nicht ludendorffsche „Weisheit’ den Rang eines Ersatzglaubens für die Männer der FPOe erhält.

ALBERT SCHWEITZERS MAHNRUF AN DIE WELT, die Afombombenversuche einzusfellen, gipfelt in dem Hinweis darauf, dal} heute bereits jede weitere Versuchsexplosion als ein Unglück für die Menschheit anzusehen ist, das unter allen Umständen verhindert werden muß. Der Atomstaub bleibt vierzig Jahre in der Luft, die biologische Gefährdung der Menschheit, zumal auch der Nachkommenschaft ist in einem Ausmaß gegeben, an dem, wie Schweitzer erklärt, die diversen amtlichen Erklärungen vorbeireden. Der Appell des grotjen Menschenfreundes und Nobelpreisträgers unterstützt die Aktion der Göttinger Achtzehn, der leider von gewissen Kreisen als ein Einsfimmen „in den schauerlichen Chor der abendländischen Selbstmörder aus Angst vor dem Tode’ dargestellt wurde. Vernünftiger, wirklichkeitsbewuf)ter zeigen sich verantwortliche Kreise der Weltpolifik. John Foster Dulles erklärte, eine Einstellung der Atomversuche sei ohne Abrüsfungsabkommen möglich. Die wichtigste Unterstützung des Weltkreuzzuges für die Einstellung der Atomwaffenversuche und gegen die Atomwaffen haf nunmehr Papst Pius XII., genau einen Tag nach Dr. Schweitzers Aufruf, der Weltöffentlichkeit übermittelt. Der Heilige Vater empfing den japanischen Sonderbotschafter Masafoschi Matsuschita — die japanische Regierung ist in der letzten Zeit mehrfach führend im Ringen um ein Verbof der Atomwaffen und ihrer Versuche hervorgetreten und hat nunmehr in Rom wertvolle Unterstützung gefunden. In der Nofe Papst Pius’ XII. an den japanischen Botschafter wird, ganz konform mif Dr. Schweitzers Appell, fesfgehalfen, daß Atomexplosionen unübersehbare biologische Folgen für künftige Generationen der Menschheit haben können. Die Menschheit möge ihr Wettrennen in Richtung auf den Atomtod einstellen. Diese Note des Heiligen Vaters, als Stlmmes des Gewissens der katholischen Christenheit, bedeutet eine entschiedene Stärkung für jene einsamen Stimmen in der Christenheit, die bereits seit Jahren das Verbot der Atomwaffen und die Einstellung der Bombenversuche gefordert haben und leider auch in christlichen Kreisen befeindet und verfolgt wurden. Es ist an der Zeit, gerade In der katholischen Christenheit, diese Mahnung des Papstes so ernst zu neh- tnen, wie sje es verdient — ąnd sich nicht nur, wief es “l6idet der Braüetf-’teß Rosinen für den eigenen Parteikuchen jeweils aus den Enzykliken und Botschaften des Heiligen Vaters herauszusuchen. Wenn, endlich, einmal In unserer Christenheit eine Einigung über diese schwere Frage zu erzielen wäre, würde damit ein Gewicht in die Waagschale geworfen werden, dem sich keine Regierung, in Ost und West nicht, auf die Dauer entziehen könnte.

BRAUCHT ENGLAND NOCH ZYPERNI Die bitteren Kommentare offizieller türkischer Stellen zu dem enthusiastischen Empfang, der dem Erzbischof Makarios in Athen bereitet worden ist, unterstreichen einen Aspekt des Zypernproblems, der bisher keine hinreichende Beachtung gefunden hat. Für eine befriedigende Lösung dieses Problems ist mehr erforderlich als eine britischgriechische Verständigung etwa in dem Sinne, daf} den Zyprioten das geforderte Selbstbestimmungsrecht zugebilligt würde und Großbritannien sich mit der befristeten Beibehaltung bestimmter Luftstützpunkte auf der Insel begnügte; jedes solche Uebereinkommen würde nur zu neuen gefährlichen Verwicklungen führen, wenn es nicht gelingt, einen Weg zu finden, um auch den türkischen Ansprüchen Rechnung zu tragen. Was die Türkei mit Recht verlangt, ist nicht allein der Schutz ihrer auf Zypern lebenden hunderttausend Konationalen, die alle Ursache haben, das Schicksal zu fürchten, das ihnen unter griechischer Herrschaft zuteil würde; die Türkei will begreiflicherweise auch sichergehen, daß die Insel, die wie ein gewaltiger Flugzeugträger vor ihrer Küste liegt, nicht eines Tages einer feindlichen Macht als Basis für Operationen gegen das kleinasiatische Festland dienen kann. Nun hat sich in den letzten sechs Monaten, seit dem Vorabend der onglo-französischen Intervention am Suezkanal, verschiedenes ereignet, was es der britischen Regierung erleichtern sollte, die entsprechenden Entschlüsse zu fassen. Die Annahme, der Besitz Zyperns sei unerläßlich für die Erfüllung der britischen Bündnisverpflichtungen gegenüber Jordanien, ist mit der Kündigung des britisch-jordanischen Allianzver- troges hinfällig geworden; wie es ja schon bei dem peinlichen Ausgang des bewaffneten Konflikts mit Aegypten klargeworden war, daß die Evakuierung der Kanalzone im Jahre 1954 der militärisch untermauerten Vorherrschaft Großbritanniens im Nahen Osten ein Ende gemacht hat. Worauf es in diesem Raume heute vor allem ankommf, ist, die bedenkliche Schwächung zu überwinden, die der rechte NATO- Flügel durch die britisch-griechisch-türkische Spannung und in besonderem Maße durch die Verärgerung der Türkei erlitten hat.

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