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Randhemerkungen zur woche

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IN EINER ZEIT, DA DIE WELTBÜHNE

von der geballten Kraft zweier überdimensionaler Großmächte beherrscht wird, ist es selbst für Staaten, die nach früheren Begriffen zu den starken zählten, schwer geworden, ihrem Standpunkt Geltung zu verschaffen. Dies gilt um so mehr für ein kleines Land, dessen theoretische Souveränität in tausend Belangen von dem Willen der Mächte, die es besetzt halten, abhängig ist. Aus diesem Grunde mochte jeder Versuch der österreichischen Regierung, auf diplomatischem Wege die Verhandlungen um den Staatsvertrag wieder in Gang zu bringen und seinen schon so lange überfälligen Abschluß zu beschleunigen, von vornherein als aussichtslos erscheinen. Eine solche Auffassung ist durch den jüngsten Erfolg der öterreichischen Außenpolitik in eindrucksvoller Weise widerlegt. Dieser mit Zähigkeit und Geschick verfolgten Politik ist es gelungen, der Österreichresolution Brasiliens in der Vollversammlung der UNO die Unterstützung von nicht weniger als 48 Mitgliedern der Vereinten Nationen zu gewinnen; und wenn auch die Annahme dieser Resolution noch keineswegs gleichbedeutend ist mit der Gewißheit, daß die UdSSR nun gesonnen sei, ihren Widerstand gegen die Wiederaufnahme und den Abschluß der Staatsvertragsverhandlungen aufzugeben, so ist ihr hoher moralischer Wert doch nicht zu unterschätzen. Die Regierungen von 48 Staaten haben durch den Mund ihrer bevollmächtigten Vertreter die Überzeugung zum~ Ausdruck gebracht, daß Österreich einen vollauf begründeten Anspruch darauf besitzt, ohne weiteren Verzug die ihm in der Moskauer Deklaration zugesicherte Stellung als freier und unabhängiger Staat in der Gemeinschaft der Völker einzunehmen; und das ist ein Votum, dessen Bedeutung auch die Gegner der österreichischen Freiheit in Rechnung stellen müssen. ......

AN FÜHRENDER STELLE, gezeichnet von eimm ihrer Redakteure, hat das s o-zial istische Zentralorgan Stellung zu den Friedenskundgebungen der Caritas — und darüber hinaus zum österreichischen Katholizismus genommen. Gebrochen wurde das während und nach dem Katholikentag vom österreichischen Sozialismus sich selbst diktierte Schweigen. Das verdient doch, festgehalten zu werden, und nicht nur angeschwärzt, wie es geschehen ist. Offen sichtbar ist hier nicht nur der Blick auf die Wahlen und auf katholische Wähler, vermerkbar ist hier nicht nur eine gewisse Fremdheit innersten katholischen Anliegen gegenüber, sichtbarer und wichtiger ist hier doch die bisher zurückgehaltene Anerkennung vor der Öffentlichkeit, vor den eigenen Parteifreunden, daß es im heutigen katholischen, ja kirchlichen Raum nicht nur „Finsterlinge“ und „Arbeiterfeinde“ gibt (wie man gerne bis-^ weilen noch feststeilen zu können glaubt), sondern recht ansehnliche Kräfte, die sich ehrlich bemühen, die Klüfte von gestern zu überwinden. Das kann nicht oft genug geschehen — hüben und drüben — und es ist gut, daß es am Vorabend des Wahlkampfes geschah. Wir wollen es also als ein Vademekum für beide Seiten annehmen: einen Leitfaden, eine herzliche Einladung, sich — tüte's eben der eine und der andere nennen will — „christlich“ und „demokratisch“ im jungen neuen Jahr in die Auseinandersetzung zu stürzen. So, daß es morgen keinen gereut, sich zur Mitarbeit mit dem anderen Genossen an einen Tisch zu setzen, dem gestern noch das Wort des Gegners galt. Der Friede vor der Weihnacht und zur Weihnacht will, ein junger Bub, wachsen gerade in notwendiger harter Arbeit, die die Köpfe zusammenstoßen läßt. Der Wahltag ist nicht mehr weit. Er erfüllt seinen Sinn nur, wenn er die Einbegleitung zu einem Arbeitsjahr der Wähler und der Gewählten ist. Der Katholizismus in Österreich gehört keiner Partei; er verpflichtet aber jeden zur Entscheidung für eine demokratische Partei in seinem Gewissen, zur Entscheidung auch für Personen, für Persönlichkeiten, die sich als Christen bekennen. Ein solches Bekenntnis wird unter anderem auch in der Form abgelegt, in der sich die deutliche Absetzung gegen andere, gegen gegnerische Bestrebungen bekundet.

ETWAS VIEL VISITENKARTEN sind es schon, die die Opposition von den rechten Bänken des Parlaments diesmal den Wählern vorlegt. Da ist einmal der „Verband der Unabhängigen“, der trotz aller gegenteiligen Erklärunigen und persönlicher Einzelaktionen durch Wort und Tat die neue Heimstätte des traditionellen „nationalen“ Lagers geworden ist - „Nationalen“, wohlgemerkt nicht „neonazistischen“: diese Vergröberung sei vermieden, wenn auch die Gefahr einer Unterwanderung nicht leichtfertig abgetan ist. Zu ihm stießen nach ihrem Abschied von der Volkspartei die Leute der „Jungen Front“, die seither unter dem Titel „Aktion zur politischen Erneuerung“

agitierten. VdU und „Aktion“ vereint entschlossen sich, eine „Soziale Erneuerungsbewegung“ zu bilden. So weit, so gut (oder _ auch nicht); aber welch eine Überraschung: für den Nationalrat kandidiert die „Soziale Erneuerungsbewegung“ wieder unter dem alten Firmenschild des VdU, nämlich als „Wahlpartei der Unabhängigen“ (WdU), und jene Kandidaten, denen der Sieg eines Mandats lächelt, werden dann in das Parlament sicher als Mitglied des KdU (Klub der Unabhängigen) einziehen. Womit eigentlich wieder alles beim alten ist. Mit dem einen Unterschied freilich, daß ein politisches Zwischenspiel seinen Abschluß gefunden hat. Nach dem Abschied der „Jungen Front“ von der ersten Regierungspartei — auch heute ist man noch nicht überall von der Notwendigkeit dieses Schrittes überzeugt — und den ersten Kontakten mit dem VdU war die Absorption dieser politischen Gruppe durch den VdU nur mehr eine Frage der Zeit. Der Sog eines der drei „historischen“ Lager ist eben doch nicht zu unterschätzen ... Nun ist es soweit. Ob es jenen wenigen, die nicht nur von „Erneuerung“ sprechen, sondern auch ehrlich daran glauben und die dank ihres Intellekts auch einen Beitrag dazu leisten könnten, gelingen wird, den Kurs des VdU zu beeinflussen, darf bezweifelt werden. Wie lange werden sie mit ihren neuen Parteifreunden Schritt halten können, ohne ihre Einsicht und ihr besseres Wissen, kurz: sich selbst verleugnen zu müssen? Auf diese Frage wird die Zukunft antworten.

UM DIE JAHRESWENDE sollen im Sudan die ersten Wahlen zu einer Konstituante abgehalten werden. Im Hinblick auf das Übereinkommen zwischen England und Ägypten kommt diesen Wahlen besondere Bedeutung zu. Politische Parteien in unserem Sinne gibt es im Sudan nicht. Die politischen Kräfte im Sudan gruppieren sich um die Unabhängigkeitsbewegung und die Nationale Front, die für Vereinigung mit Ägypten eintritt. Interessant ist, daß hinter jeder dieser Parteien eine religiöse Sekte steht. Die Unabhängigkeitsbewegung wird von der Hanafi-Sekte getragen, während die Khatmia-Sekte eine Union mit Ägypten befürwortet. Die religiösen Differenzen zwischen diesen zwei streng moslemischen Sekten erscheinen dem Außenstehenden kompliziert und unwesentlich. Sie bestehen hauptsächlich in der Anerkennung beziehungsweise Nichtanerkennung der göttlichen Inspiration des Derwisä.e»-Mohammed .Achmed, der sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zum „Mahdi“ oder Messias erklärte und die ~ÄTrgpter Türmt ihrem englischen Alliierten aus dem Lande jagte. Um so tiefer sind aber die persönlichen Differenzen zwischen den Führern der zwei Bewegungen, Sayyed Sir Abdur-rahman el Mahdi Pascha und Sayyed Sir Ali el Mighrani Pascha. Mahdi Pascha ist der posthume Sohn des ursprünglichen „Mahdi“ und führt seine Tradition der Unabhängigkeit des Sudans, wenn auch in gemäßigter Form, fort. Dieser gemäßigte Mahdismus ist schon sehr lange von der britischen Sudanregierung anerkannt und wird sogar als Gegengewicht gegen Ägypten gefördert. Obwohl beide Führer sich als' Nachkommen des Propheten i.Iohammed bezeichnen, was schon der Titel „Sayyed“ besagt, stammt Mahdi Paschas Gegenspieler Mighrani Pascha aus einer aristokratischeren Familie. Die Mighranis waren seit dem Mittelalter die geistigen und religiösen Führer des Sudans — bis ins vorige Jahrhundert, da sie der Mahdi und seine Anhänger aus dem Lande trieb. Diese Schmach haben die Mighranis nie vergessen. Mit der siegreichen anglo-ägyptischen Armee Kitcheners kehrten die Mighranis wieder zurück und wurden in ihre alten Würden wieder eingesetzt. Diese Position hielten sie ungeschmälert, bis die Khartumer Regierung in den zwanziger Jahren das Wiederaufkommen des Mahdismus unter dem Sohn des Mahdi zu fördern begannen. Dies trieb den jetzigen Führer der Mighranis in die Arme der Ägypter, Um so bitterer muß für Mighrani Pascha das

Übereinkommen zwischen Mahdi Pascha und dem ägyptischen Premierminister General Naguib gewesen sein. Es ist unwahrscheinlich, daß sich Mighrani Pascha so einfach verkaufen läßt, und im autonomen Sudan wird man wahrscheinlich noch viel von den Zwistun zwischen ihm und Mahdi Pascha zu hören bekommen.

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