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Tschechoslowakische Streiflichter

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Preßburg, 20. Februar Kopfschüttelnd sagt der tsdiechische Zollbeamte gn der Preßburger Grenze: „Jetzt schmuggeln die Leute tatsächlich schon Essen von Österreich in die Tschechoslowakei!“ Es ist wirklich so und verblüffend für den, der vor einem Jahr in Preßburg noch .feststellte, daß sich die Eisenstangen der Preßburger Selcher unter der'-Last köstlicher Erzeugnisse bogen, und Lederwaren, Textilien in bester Qualität auf dem Markte waren. Heute gähnende Leere. Die Stände der Markthali sind geschlossen. Vor den Textilgeschäften stehen Menschenschlangen. Dies in der Slowakei, die zum Unterschied von Böhmen und Mähren nie Kleiderkarten gekannt hatte. Sie war ja .immer als „Hitlers Naturschutzpark“ bezeichnet worden, als das Land, an dem Berlin demonstrieren wollte, wie gut es denen ginge, die mit dem Deutsdien Reich Schulter an Schulter marschierten, D'e. erste Zeit nach dem Krieg schien es wiederum, als verdiente das Land nunmehr die Bezeichnung „Stalins Naturschutzpark", als wolle der mächtige östliche Nachbar zeigen, wie gut es Ländern erginge, die mit Rußland Schulter an Schulter marschierten. Nur zu gerne ließ die Tschechoslowakei es sich gefallen, „Gods own country“ — Gottes eigenes Land zu sein. Im Vorjahr brachen die Pulte der Delikatessenläden fast unter der Last der UNRRA-Konserven, die niemand kaufte, denn es gab frisches Fleisch die Hülle. Seit wenigen Wochen ist das Fleisch in der Slowakei rationiert. Zehn Dekagramm pro Person und Woche. Die Lebensmittelrationen in Böhmen sind teilweise niedriger als die während des Krieges. Zwischen Preßburg und Prag werden scharfe Gepäckskontrollen der Wirtschaftspolizei durchgeführt, da aus Böhmen Textilien nach der Slowakei, aus der Slowakei nach Böhmen aber Lebensmittel geführt werden. Die slowakischen Beamten untersuchen auch den protestierenden tschechischen Schaffner auf das genaueste, Frischfleisch ist nicht einmal für den Aufruf genügend vorhanden, Das fruchtbarste Gebiet der Slowakei, das Gebiet von Neutra, bekam Seit vier Monaten weder Mehl noch Brot zugeteilt — jeder muß sehen, wie er sich hilft. Preßburg und Handlova, die Stadt der Kohlengruben, haben eigene Lebensmittelkarten mit Sonderaufdruck. Wie man mir sagt, bekäme man auf diese — als einzige — die aufgerufenen Mengen im großen und ganzen zugeteilt. Schuld an der schlechten Ernte wird den Bauern zugeschrieben, die das ihnen vom Staat zugeteilte, den Großgrundbesitzern enteignete Land oft ohne Maschinen bekamen und nicht genügend Arbeitskräfte oder auch Arbeitslust besitzen, es zu bebauen. So tragen Felder, die, normalerweise stets neun Meterzentner Frucht brachten, nur den vierten Teil. Handlova, das früher täglich 310 Waggon Kohle förderte, bringt es heute mit Höchstleistung nicht über 217 Waggon. Man versucht nun mit allen Mitteln, die Förderung zu steigern. Hier arbeiten Elektriker, Schuharbeiter der nahen Bata-Werke, Intelligenzler, manuelle Arbeiter usw. in den Kohlengruben, viele freiwillig des hohen Lohnes halber, andere als Einberufene zur Arbeitsbrigade. Die Löhne sind sehr hoch, bis zu 16.000 Kčs. Es ist Akkordarbeit, wie übrigens jede Arbeit heute in allen Fabriken und Betrieben der Tschechoslowakei. Die Förderung leidet unter den ungeschulten Händen. Denn die Kohlenarbeiter waren größtenteils Deutsche gewesen,, die abtransportiert würden, „odsuniert", wie das verballhornte tschechische Wort „odsun“ — Abtransport — von den Deutschen bezeichnet wird. Viele Wirtschaftler sehen trübe in die Zukunft. Doch das tschechische, sehr fleißige Volk arbeitet zäh am Aufbau seines Landes. Der Arbeiter ist zufrieden. Es geschieht einiges für ihn und er anerkennt dies. Der Mittelstand ist weniger befriedigt. Er fürchtet für seinen Besitz und um den Ausgang der nahen Wahlen. Über , diese zu prophezeien ist müßig, Wenn sie wirklich demokratisch vor sich gehen, ist anzunehmen, daß die Kommunisten einen -leichten Verlust erleiden. Daher auch jetzt der scharfe Vorstoß des Kommunismus, jetzt schon sich die M.acht und die Führung der Wahlen zu sichern. Im Angesicht der großen Entscheidung daher aber auch der Widerstand der Sozialdemokraten, der Katholischen Volkspartei und der Volkssozialisten. In diesem Ringen wird entscheidend sein, ob der Staatspräsident Doktor Benesch die Kraft haben wind, die parlamentarische Demokratie vor der drohenden Diktatur des Kommunismus zu retten. Noch einmal ist Dr. Benesch vor die Aufgabe gestellt, der Tschechoslowakei, die Freiheit zu gewinnen.

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