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Zwang mit Hammer und Zirkel

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Was immer möglich war, tat Bonn, den Hammer und Zirkel vor der eigenen und der Weltöffentlichkeit zu verbannen. Jetzt prangt das Zeichen in Reisepässen der Bewohner von Deutschlands Bundesrepublik und von Bewohnern des zweigeteilten Berlin.

Während Außenminister Brandt vor einer interessierten Wiener Öffentlichkeit noch seine Thesen zur deutschen Ostpolitik formulierte, trieb Walter Ulbricht in Pankow die Frontstadt wieder auf die Titelblätter der Weltpresse. Und über Berlin, wo es nach dem Bau der Mauer so ruhig zu sein schien,- ist wieder der Kalte Krieg mit einem Gewitterschauer hereingebrochen. Freilich: Die geteilte Stadt ist schon seit langer Zeit vom Fieber innerer Unruhe zerrissen. Und spätestens seit dem

1. Mai dieses Jahres wußte auch der gutmütigste Westberliner, daß die Existenz der außerparlamentarischen Opposition seiner Freien Universität mit Ost-Berlins SED gemeinsam marschiert. Am Tag der Arbeit hatten nämlich APO und SED bereits offen zusammen gefeiert. Und Sozialdemokrat Klaus Schütz, Bürgermeister der Frontstadt meinte resignierend: „Die SED hat eine neue Plattform gefunden.“

West-Berlins innere Unruhe war es auch, die es Walter Ulbricht leicht machte, einen neuen Affront gegen die Stadt, die er noch immer als Stachel im roten Fleisch empfinden muß, zu setzen. Der Augenblick war gut gewählt:

• Die USA sind nach dem Kennedy- Mord mit ihrer eigenen Innenpolitik beschäftigt: In Vietnam hat ein neuer Oberbefehlshaber sein Amt angetreten und das Pentagon mag fürchten, daß in Saigon, der Hauptstadt Südvietnams, ein Stalingrad der Alliierten herandämmert.

• Frankreich ist nach seiner Revolution gelähmt. Wahlen stehen vor der Tür und die Regierung Pompidou mag andere Sorgen haben als die Sicherung des freien Zugangs nach Berlin.

• Wilsons Schwäche nach weiteren verlorenen Nachwahlen ist offenkundig. Außerdem war in der Berlin- Frage England immer schon das schwächste Glied der Kette.

©Und schließlich war die Bundesrepublik gerade dabei, einen neuen Kurs ihrer Ostpolitik mit realen Erfolgen glaubwürdiger zu machen. Brandt sollte von Wien nach Belgrad reisen, um auch das Balkanimperium des Marschall Tito aus der Anti- Bonn-Front auszulösen.

Das freilich war wahrscheinlich der eigentliche Anlaß der plötzlichen Aktion Pankows gegen die ehemalige Reichshauptstadt. Denn die Nerven in den Ostberliner Parteibüros sind in den letzten Wochen durch mehrere Ereignisse strapaziert worden.

Die Tschechoslowakei hat ernsthafte Anstrengungen unternommen, aus ihrer außenpolitischen Isolierung herauszukommen. Der stellvertretende Ministerpräsident — und als Chefökonom Zentralflgur des „tschechischen Frühlings“, Ota 5ik — hatte offen angekündigt, daß man sich um wirtschaftliche Kontakte mit der Bundesrepublik bemühen werde; ja sogar von einer Anleihe war die Rede, die man von den „Imperialisten“ am Rhein erbitten könnte — sofern nur keine politischen Konsequenzen damit verbunden seien.

Belgrad hat die (Ost-Berlins wegen aufgegebenen) diplomatischen Bezie-

hungen zu Bonn wieder aufgenommen. Deutsche stellen das größte Urlauberkontingent, Deutsche sollen auch wieder helfen, das kapitalschwache System der jugoslawischen Kommunisten anzukurbeln.

Bukarest hat seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen gut an Bonn verdient. Und neidisch blicken die Nachbarn auf den fetten DM- Strom, der nach Rumänien fließt.

Polen hat sich schon soweit vorgewagt, daß heute eine Anerkennung der Oder-Neisse-Grenze durch die Bundesrepublik sofort zu Kontakten zwischen Warschau und Bonn führen müßte, die über den bisher sehr erfolgreichen deutsch-polnischen Wirtschaftsvertrag hinausgingen. .

Bleibt in Pankows Rechnung als wesentliches Plus nur die Sowjetunion: Sie hält treu zu ihrem treuesten Vasallen und wird solange Ulbricht nicht fallenlassen, solange die anderen Satelliten Moskaus einzigem Weg zum Sozialismus nicht folgen wollen. Aber hat man es nicht oft schon erlebt, daß . Moskau ein neues Konzept präsentiert, daß ein Kurswechsel von heute auf morgen eintritt? Und welchen Einfluß auf den innersowjetischen Konflikt zwischen Kossygin und Breschnjew haben überhaupt die Entwicklungen in Osteuropa? Kossygins weicher Kurs gegen Prag stößt auf zuneh-

menden Widerstand der altbolschewistischen Parteihierarchie.

So mußte sich Ost-Berlin beeilen, einen Status quo zu setzen, der nicht mehr verändert werden kann. Vielleicht hoffte die SED sogar auf einen neuen Weltkonflikt um Berlin, weil es dann am ehesten wieder eiserne Achsen mit den roten Partnern schmieden könnte.

Die Salamitaktik jedenfalls wat erfolgreich. Wieder ist eine Scheibe vom Recht der alten Hauptstadt abgeschnitten worden. Der papierene Protest der Alliierten, die 1945 den freien Zugang nach Berlin zugesagt hatten, ist wie immer verpufft und auch Bonn wird außer einigen wirtschaftlichen Konsequenzen nichts tun können.

Jetzt steht die Mauer nicht nur in der Stadt, sondern schon an der Autobahn und an den Gleisen der Bahn nach Berlin. Und niemand kann eigentlich sagen, wann auch eine künstliche Mauer die Luft sperren wird. Denn über die Korridore der Luft besteht bis dato die einzige noch verbleibende Möglichkeit, ohne Wissen und Erlaubnis der Herren aus Pankow nach Berlin ein- oder auszureisen.

Die Bedauernswertesten sind natürlich die Berliner. Zu den Sorgen der Stadt mit ihren aus dem Osten wahrscheinlich bezahlten Linksstudenten, ihrer Überalterung,

der schwächer werdenden Wirtschaftsstruktur kommt wieder die Angst, ob Ulbricht etwa ganz zuschlägt — und die Mauer öffnet, um seine Fangarme um die sturmreifdemonstrierte Stadt zu schlingen.

Man spürt am Kurfürstendamm und am Zoo wieder die Stimmung wie 1961, nach dem Mauerbau. Und der Berliner sagt bereits resignierend, daß ihn der Westen jetzt ganz fallengelassen hat. Vom „Geist der Blockade“ aus den Tagen des Generals Clay ist nichts mehr übrig.

Denn der neue Akt der DDR gegen Berlin ist nichts anderes als eine Bestätigung der europäischen Situation,

in der zwar der Dialogismus über die Mauern und Vorhänge hinwegführt, aber vor der Realität stehenbleibt: Die Lösung der Berlin- und der Deutschland-Frage ist die einzige echte Chance, daß die Spannungen in Europa abgebaut werden.

Die hoffnungsvollen Erwartungen in Bonn, daß schon ein deutscher Botschafter in einer roten Metropole den schönen Sommer bringt, hat Pankow diesmal durchkreuzt. Trotzdem müssen die Anstrengungen fortgesetzt werden, mit dem Osten endlich ins Gespräch zu kommen, auch unter Verzicht auf liebgewordene Vorstellungen. Denn auf Zusagen, die 23 Jahre alt sind, kann man sich in Bonn einfach nicht mehr ausschließlich verlassen.

So bringt der Stempel der DDR in den bundesrepublikanischen Pässen die Konfrontation mit der nüchternen Wirklichkeit: Ein Staat, der keiner sein darf, den man aber so tun läßt als ob…

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