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Zuviele Verbeugungen vor Breschnew?

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Außer Spesen sei nichts gewesen, konnte man in einer westdeutschen Provinzzeitung lesen. Ganz so unrecht hatte sie damit nicht. Breschnews Bonn-Besuch war nicht so wie einst im Mai 1973, als der Kanzler noch Brandt, der Außenminister Scheel und die ostpolitisch tonangebende Eminenz Egon Bahr hießen. Diesmal war alles kühler, distanzierter, realistischer. Aber war die Visite des Kreml-Chefs deshalb auch ergiebiger?

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Außer Spesen sei nichts gewesen, konnte man in einer westdeutschen Provinzzeitung lesen. Ganz so unrecht hatte sie damit nicht. Breschnews Bonn-Besuch war nicht so wie einst im Mai 1973, als der Kanzler noch Brandt, der Außenminister Scheel und die ostpolitisch tonangebende Eminenz Egon Bahr hießen. Diesmal war alles kühler, distanzierter, realistischer. Aber war die Visite des Kreml-Chefs deshalb auch ergiebiger?

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Die Geburtwehen des lange geplanten Staatsbesuchs hatten während des letzten Jahres ein solches Ausmaß angenommen, daß nicht wenige überhaupt bezweifelten, ob Breschnew die Reise an den Rhein antreten würde. Nach mehrmaligem Verschieben kam die Ankündigung aus Moskau dann just zu dem Zeitpunkt, als der amerikanische Präsident Carter seine vorläufige Entscheidung gegen den Bau der Neutronenwaffe verkündete. Nicht nur die CDU/CSU-Opposition vermutete kausale Verknüpfungen. Denn sollte der Bau der von den Sowjets gefürchteten, weil ihre übermächtige Panzerarmee vorzeitig zu Schrott degradierenden Waffe endgültig verhindert werden, konnte das nur erreicht werden, wenn der durch die Roten Panzer meist bedrohte und damit Hauptnutznießer der Bombe, die Bundesrepublik, den Amerikanern deutliche Ablehnung signalisierte.

Dies auch, aber nicht alleine, war Grund genug für Breschnew, endlich nach Bonn zu reisen. Für den Kreml-Chef spielt nämlich auch eine nicht zu unterschätzende Rolle, daß die von ihm mit Verve propagierte Entspannungspolitik angesichts zunehmender Schwierigkeiten mit dem Westen und mehr und mehr ausbleibendem wirtschaftlichem Segen im eigenen Lager stark kritisiert wird. Alt und kränklich geworden und von dem WUlgh BSseeTt,' einen glorreichen Lebensabend abzuschließen, konnte also nur ein außenpolitischer Erfolg, der die bisher verfolgte Linie bestätigte, Breschnews Verbleiben in den obersten Sowjetämtern sichern.

Diese Beweggründe kamen Bonner Interessen entgegen. Die SPD-FDP-Koalition, seit Schmidts Amtsantritt mit spektakulären Staatsbesuchen keineswegs verwöhnt, versprach sich von dem Besuch eine nicht unbeträchtliche Imageaufbesserung. Auch die Entspannungsgläubigen in der SPD sahen eine günstige Gelegenheit, das auf Sand gelaufene Schiff der deutschen Ostpolitik wieder flott zu machen. Hinzu kam, daß bei den bevorstehenden wichtigen Konferenzen - NATO-Gipfel in Washington, Weltwirtschafts-Gipfel in Bonn und Abrüstungs-Debatte der UNO - die Bundesrepublik als zweite Westmacht hinter den Amerikanern eine maßgebliche Rolle zu spielen hat. Daher konnte es durchaus nützlich sein, vorher die derzeitige Seelenlage der Sowjets zu erkunden.

Trotz solch einsichtiger Gründe waren die Zweifel am Sinn des Breschnew-Besuchs groß genug. Zwei Wochen nach der Visite sind sie keineswegs geringer geworden. Außer einem Schönwetter-Kommuniquee, einem im Kern nichtssagenden Wirtschaftsabkommen mit einer 25jähri-gen Laufzeit und den üblichen Absichtserklärungen ist kaum Positives zu verzeichnen. Im Gegenteil: In den hauptsächlichen Problemkreisen -Entspannungen, Abrüstung und Wirtschaftsbeziehungen - ist vielmehr die innere Widersprüchlichkeit der gegenseitigen Beziehungen erneut überdeutlich spürbar geworden. Insbesondere die deutsche Frage, der völlige

Dissens in der Beurteilung des Status von West-Berlin, ist um keinen Deut einer Verständigung näher gekommen. Stattdessen ließen Politiker der Regierungsparteien, allen voran SPD-Fraktionschef Herbert Wehner, keine Gelegenheit aus, in Sachen Berlin Interpretationen zum Besten zu geben, die denen der Sowjets verdächtig nahe kommen. Der von Moskau ungeliebte Halbsatz des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin, in dem von den Bindungen des Westteils der Stadt an die Bundesrepublik die Rede ist, die „aufrechterhalten und entwickelt“ werden können, scheint manchem Koalitionspolitiker aus dem Gedächtnis abhanden gekommen zu sein. Das führte auch in der Regierung selbst zu einem mühsam gedämpften Krach

zwischen Außenministerium und Kanzleramt. Der auf Profilierung und Abgrenzung seiner FDP bedachte Außenminister Genscher hatte gegenüber dem hohen Gast offen von „Störfaktoren“ der sowjetischen Berlin-Politik sprechen wollen, mußte sich dann aber vom Bundeskanzler via Regie-

rungssprechen Bölling zurückpfeifen lassen. Man wolle schließlich keine unnötige Belastung des Besuchs.

Herbert Wehner spannte den Bogen noch strammer. Es gehe nicht an, daß mancher das Berlin-Abkommen auf seine Belastbarkeit prüfen wolle, und feierte es als großen Erfolg, daß die

Ostverträge bisher im großen und ganzen eingehalten worden seien. Angesichts solcher Weisheit kann man sich verwundert fragen, zu welch anderem Zweck Verträge denn sonst geschlossen werden sollten. SPD-Chef Willy Brandt, immer noch seiner ostpolitischen Glanzzeit nachtrauernd, wußte in Sachen Berlin nichts besseres von sich zu geben, als das den Sowjets höchst angenehm in den Ohren klingende Faktum, daß die West-Sektoren kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik sind und nicht von ihr regiert werden.

So viele Verbeugungen vor dem Kreml sind nur aus der Auffassung dieser Politiker von Entspannungspolitik zu begreifen. Es blieb Wehner vorbehalten, dies vor dem Bundestag zu erläutern. Entspannung sei kein Vorgang, bei dem man darauf warten könne, ob die andere Seite etwas tue. • Im Klärtext: Weigern sich die Sowjets -und das tun sie beharrlich - in der Berlinfrage eine Änderung ihrer Politik vorzunehmen, muß man ihnen entgegenkommen. Allerdings hat sich diese Methode der Vorleistung noch nie ausgezahlt

Im Gegenteil: Wenn Moskau wirklich an Entspannung mit der Bundesrepublik gelegen ist, sollte man eher von ihrer Seite Zugeständnisse erwarten können, da sie schließlich davon, etwa auf wirtschaftlichem Gebiet, auch profitieren will. Das geschlossene Wirtschaftsabkommen bietet für die gegenseitigen Mißverständnisse ein beredetes Beispiel. Handelspartner sind auf sowjetischer Seite die staatlichen Handels- und Wirtschaftsunternehmen, die vom Kreml aus dirigiert werden. Auf deutscher Seite hingegen ist nicht der Staat, sondern ausschließlich die freie Unternehmerschaft Partner im angestrebten Geschäft. Ob die deutschen Firmen das Rahmenabkommen mit praktischen Geschäftsverträgen ausfüllen, hängt maßgeblich von der Großwetterlage zwischen Moskau und Bonn sowie davon ab, ob die Handelsbeziehungen sich in harter Münze auszahlen. Bonn kann dazu nichts mehr als gute Worte liefern.

So blieb die einzige Überraschung des Breschnew-Besuchs einer Seite vorbehalten, von der man es am wenigsten erwarten konnte. Das im Programm vorgesehene Gespräch mit den Oppositionschefs Kohl und Strauß ging ausschließlich auf die Habenseite des Letzteren. Mit Breschnew und Strauß waren zwei politische Schlitzohren unter sich. Der CSU-Vorsitzende, für östliche Propaganda der Bösewicht schlechthin, umschiffte trickreich alle Klippen und verstand sich mit dem Kreml-Chef offenbar so gut, daß dieser es sich nicht nehmen ließ, den Bayer - im Gegensatz zu Kohl -persönlich bis zum Wagen zu bringen. Eine Geste, die auch der Ost-Berliner Propagandamaschinerie noch erhebliches Kopfzerbrechen bereiten wird.

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