Der Priester als Kamerad

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Mit den Freudigen die Freude teilen und die Tränen mit den Trauernden, vor dieser Herausforderung steht der Militärseelsorger im Auslandseinsatz.

Der Weg führt nach der Lagebesprechung im Kommandogebäude durch das Camp. Von allen Seiten herzliche Grüße und von den Morgenmuffeln ein Nicken - wir gehen an die Arbeit! Was bringt der Tag, was wird erwartet? Ich erinnere mich gern an die Zeit im Ausland - im Camp bei Suva Reka im Kosovo oder im Camp Faoar in der Nähe von Damaskus - als dieses Beginnen uns, die sonst so unterschiedlichen Soldaten mit all unseren Alltagserwartungen, verband.

Gleich bei den ersten Schritten kommen die Gespräche auf die ersten Sorgen, die vielleicht den einen oder anderen nicht schlafen ließen. Wenn auch schon meine ersten Gebete an Gott gerichtet sind, so kommen jetzt die Dinge, die er auch noch berücksichtigen sollte - das wird von einem Militärseelsorger zusätzlich erwartet, nicht allein zuhören, auch für den einen oder anderen Kameraden zu beten, in der Messe seiner oder des Todestages eines Familienmitgliedes zu gedenken.

Schneller zu handeln ist, wenn zum Beispiel jemand auf dich zukommt, der von der Krankheit des Kindes erzählt, von der Ratlosigkeit der Frau und den Vorfällen und Schwierigkeiten mit den Schwiegereltern der zuhause wohnenden Ehepartnerin. Bei Ratlosigkeit kommen schnell Schuldzuweisungen - und der Soldat ist Tausende Kilometer von der Heimat entfernt und kann telefonisch nicht alles abklären. Ein Kopf voller Sorgen kann im Dienst aber leicht Fehler zulassen - da muss geholfen werden. Ich bestaunte in diesen Fällen oft die Schnelligkeit der sonst langsam mahlenden Mühlen der Bürokratie.

Kurier des Generals

Einzelne Dienststellen oder Gemeinschaftsräume besuchte ich regelmäßig und hielt so Kontakt zur Basis. Hier konnte ich auch umsetzen, was bei den Generalsbesprechungen im Hauptquartier uns der Brigadegeneral ans Herz legte: Ihr seid direkt bei der Mannschaft, könnt meine Ideen erläutern und die Anliegen erklären, Unklarheiten ausräumen. Zu schnell werden manchmal Befehle umgesetzt und der Einzelne mit Fragen im Regen stehen gelassen. Ich habe nie erlebt, dass nicht der ein oder andere sich wirklich einmal "auskotzen" wollte - das Herz befreien von Fesseln, die zusammenschnürten. Einfach reden mit dem Pfarrer, der zuhört, dem Kameraden, der verschwiegen wieder seiner Wege zieht.

Nach langer Zeit verwundert mich immer wieder, welche Wege mich mit meinen früheren Kameraden neuerlich zusammenführen. Sei es eine Hochzeit, eine Taufe oder der Wunsch einer Adventbesinnung des Schweizer Militär- Oldtimer-Clubs. Auch die Besuche reißen nicht ab, zudem eröffnet das Internet den Austausch vieler Grüße. Nach vier Jahren rief mich ein ehemaliger deutscher Oberfeldwebel an und berichtet von seiner Lokaleröffnung in Kabul - und welche Erinnerungen dabei ausgetauscht wurden!

Die österreichischen Soldaten sind stets auch von anderen Nationen umgeben. Da ist auch der Pfarrer, der im Einsatz nicht nur die Österreicher wieder mit einer vertrauteren Form von Kirche konfrontiert, einer, der den Einzelnen wieder in den Bannkreis der Liebe Gottes zieht, ein Repräsentant der Kirche, die alle einlädt diese Beziehung zu leben. Viele konnte ich wieder in die Kirche aufnehmen, andere, die in den ehemaligen Oststaaten lebten, durfte ich taufen. Firm- und Ehevorbereitung gehörten dazu, genauso das einmalige Erlebnis die Kinder von englischen Offizieren, die in Damaskus Dienst versahen, zur Erstkommunion zu führen.

Wann immer es die Zeit erlaubte, konnte ich meine Neugier nach Allgemeinwissen befriedigen, indem ich die geschichtlichen Stätten des jeweiligen Landes erforscht habe. Das führte dann wieder dazu, dass die Soldaten dorthin geführt und in Vorträgen weitergebildet wurden. Über die alten Klöster, die noch im Kosovo bestehen, oder die Hl. Stätten im Heiligen Land. So ist der Einsatz auch gleich für alle eine Möglichkeit, Land und Leute kennen zu lernen.

Gefühl der Ohnmacht

Die Unterschiedlichkeiten der ethnischen Gruppen kann man nur durch Beobachtungen verstehen lernen. Wie groß wäre der Wunsch gewesen, in Gruppen Schülern Unterricht zu erteilen - und über deren Möglichkeiten zu diskutieren, in eine neue Zeit zu gehen. Wie ohnmächtig stand ich vor der Gewalt, die in die Herzen der Kinder gelegt wurde, um ja keine Übereinstimmungen aufkommen zu lassen. Kinder, die bei Protestkundgebungen an vorderster Stelle aufzutreten hatten - Parolen ihrer Eltern schreiend. So verhetzt wird der Friede noch auf sich warten lassen. Dabei werden die armen, kranken und geistig behinderten Mitglieder ihres Volkes gerne vergessen - wir waren deswegen oft bei den Ausgegrenzten und halfen mit Spenden aus der Heimat.

Aber auch in den kirchlichen und verschiedenen religiösen Kreisen ist ein Zusammenspiel noch unvorstellbar. Dabei ist die interreligiöse Auseinandersetzung im Gange - aber die im Ausland abgeschlossenen Übereinkünfte werden nur zögerlich, wenn überhaupt umgesetzt. Vielleicht würde ein interreligiöses Pflichtfach an einem auswärtigen Studienort Abhilfe schaffen und die Grenzen des eigenbrötlerischen Denkens auch in den religiösen Fachbereichen sprengen.

Viele dieser Diskussionen begleiteten die Soldatenpastoral im Ausland. Dabei ging es allzu oft auch um die inneren diözesanen Konflikte im Heimatland. Mit Tausenden Soldaten aus verschiedensten Ländern Kontakt zu haben, heißt auch Einblicke in die verschiedenen Gebräuche und Verständnis für die unterschiedlichsten Umgangsformen zu gewinnen. Im Namen unserer bischöflichen Finanzkammern musste ich mir allzu oft an die Brust klopfen, wenn es um die Behandlung der Bittsteller, um Aufschub oder Stundung etc. ging.

Soldaten im Ausland machen ihren Dienst, damit sie in ihrer Laufbahn als Berufssoldaten diese wichtigen Erfahrungen verwenden können; andere brauchen jedoch das Geld, damit sie Schulden tilgen, die Arbeitslosigkeit in der Heimat überwinden oder familiäre Geldnot lindern können. Wie auch immer die Anliegen gelagert sind - Geld wird gebraucht und wenn Forderungen der Diözesen kommen, ist der Austritt aus der kirchlichen Gemeinschaft all zu schnell getan. Dabei kann schon der Vorwurf kommen, warum hat bei mir niemand nachgefragt? Es waren erhebende Momente, Ausgetretene wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen, weil der tiefere Sinn erkannt worden war. Dabei erlebte ich auch sehr positiv die persönliche Nachfrage des Erzbischofs von Wien, Kardinal Christoph Schönborn, der sich um einen Soldaten sorgte.

"Einer von ihnen sein"

Als Pfarrer durfte ich begleiten - tagelang, ob im Camp, in Hochgebirgslagern, an Grenzen oder Gebirgspässen -, einer von ihnen sein; ich durfte Erlebnisse teilen und Schritt um Schritt lernen, mit allen das Leben und die Erwartungen und Hoffnungen zu teilen. In kleinen Anstößen wurde ich auch ein Priester, den man wahrnahm, der nicht - wie im Dorf - allzu oft eine unbekannte Größe ist, bei all den vielen Anforderungen, die heute an diese "Manager, mit allzu viel Administration", wie der Pastoraltheologe Paul Zulehner sie in einem Vorarlberger Interview einmal nannte, gestellt werden. So wurde sichtbar, dass die Kameradschaft hineinmündete in eine Gemeinschaft von verschieden denkenden, aber christlich geprägten Soldaten, die gute Ideen in ihrem Einsatz umzusetzen versuchten. Allein die Geduld fordernde und die Kräfte raubende Ohnmacht beim Anblick der vielen unverständlichen Geschehnisse im Ausland wurden dann wieder im Basislager mit den Kameraden - und hier zähle ich mich ganz zur Truppe - diskutiert. Mit den Freudigen die Freude teilen und die Tränen mit den Trauernden, das war eine schöne Herausforderung, die ich gerne wiederholen würde.

Der Autor

ist Zisterzienser in der Gebietsabtei Wettingen Mehrerau und war von 2000 bis 2003 Militärseelsorger im Kosovo und auf den Golanhöhen.

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