afghanistan - © Foto: EPA

Größter Feind Taliban

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2001 wurde sie vertrieben, jetzt sind sie im Großteil Afghanistans zurück an der Macht: Die Taliban – ihr Name steht für Widerstand gegen den Westen schlechthin.

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2001 wurde sie vertrieben, jetzt sind sie im Großteil Afghanistans zurück an der Macht: Die Taliban – ihr Name steht für Widerstand gegen den Westen schlechthin.

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Den US- und NATO-Streitkräften, die 2001 in Afghanistan die regierenden Taliban vertrieben und mangels Alternativen das korrupte Regime von Präsident Karzai stützen, läuft die Zeit davon: Trotz massiver Truppenaufstockung durch US-Präsident Obama kontrollieren die afghanischen Taliban wieder 80 Prozent des Landes. US-General Stanley McChrystal, Oberbefehlshaber in Afghanistan, signalisierte in einem Interview in der Financial Times Gesprächsbereitschaft mit den afghanischen Taliban, die er im Gegensatz zur früheren Haltung der USA als „Teil der politischen Landschaft“ wahrnimmt. Auf der letztwöchigen Afghanistan-Konferenz in London wurde den Taliban ebenfalls die Hand entgegengestreckt.

Noch gehen die Kämpfe allerdings mit unverminderter Härte weiter. In der schwer zugänglichen pakistanischen Gebirgsregion an der Grenze zu Afghanistan, vor allem in Waziristan, vermutet man Rückzugsgebiete von Al-Kaida- und Taliban-Führern, die dort ihre Operationen planen. Wiederholt wurde die pakistanische Regierung aufgefordert, speziell gegen diese Kämpfer in der Nordwestprovinz NWFP (Nord-West Frontier Province) und in den halbautonomen Stammesgebieten FATA (Federally Administered Tribal Areas) vorzugehen, obwohl sich deren Aktivitäten nicht gegen Pakistan richteten. Das pakistanische Militär konzentriert sich aber lieber auf die „eigenen Taliban“, die eine Bedrohung für die Stabilität des Landes darstellen.

De facto herrscht an der pakistanischen Grenze zu Afghanistan seit Ende April 2009 Bürgerkrieg. Politiker und lokale Medien vermeiden diesen Ausdruck, lieber spricht man in Anlehnung an den vormaligen US-Präsidenten Bush vom „Krieg gegen den Terror“.

Und der wird von allen Seiten mit Vehemenz geführt: 2009 kamen in Pakistan rund 3500 Menschen bei Terroranschlägen ums Leben, zwei Drittel davon allein in der NWFP. Addiert man die Opfer von Terror, Militäroperationen, Gruppen-Clashes und US-Drohnen-Angriffen, beträgt die traurige Bilanz laut „Pakistan Security Report 2009“ nahezu 13.000 Tote. Der derzeitigen militärischen Offensive gingen gebrochene Friedensabkommen zwischen Taliban-Führern und Regierung in Islamabad voraus, zum offenen Krieg kam es aber erst auf Druck der USA.

US-Drohnen töten viele Zivilisten

Die in Afghanistan stationierten US-Streitkräfte senden auch im neuen Jahr unbemannte, mit Bomben bestückte Drohnen gegen echte und vermeintliche Taliban in der Grenzregion. Seit Beginn der Präsidentschaft Obama stieg der von pakistanischer Seite offiziell als „Untergrabung der staatlichen Souveränität“ kritisierte Drohnen-Einsatz rasant – in mehr als 70 Attacken starben über 700 Menschen. Laut Medienberichten soll sich unter den Toten auch der Führer der Taliban-Bewegung Pakistans, Hakimullah Mahsud, befinden. Doch Taliban-Sprecher dementieren; auch Hakimullahs Vorgänger, Baitullah Mahsud, kam im letzten Jahr gemeinsam mit seiner Frau bei einer Drohnen-Attacke ums Leben.

Ansonsten ist die Trefferquote dieser Einsätze verheerend: Auf jeden getöteten Feind kommen 140 pakistanische Zivilisten, die durch Drohnen sterben. Spricht man mit Betroffenen, erlebt man die Verbitterung der Bevölkerung auf die US-Politik als mindestens genauso tief wie den Zorn auf die pakistanischen Taliban, die ihren ehemals guten Namen als Freiheitskämpfer gegen die Sowjets und korrupte Warlords in Afghanistan verloren haben.

Franchise-Taliban in Pakistan

„In Pakistan sind Taliban nur noch Franchise-Nehmer dieses Namens. Sie besitzen keinen Rückhalt in der lokalen Bevölkerung“, bringt es Colonel Nauman Said auf den Punkt. „Den in Afghanistan kämpfenden Taliban dagegen ist eine gewisse Legitimität nicht abzusprechen, ihre Regierung wurde ja durch die Invasionsarmee von USA und NATO vertrieben.“

Said, der Kommandant der Badschaur Scouts, einer paramilitärischen Einheit in den Stammesgebieten, gilt als subtiler Kenner der Region und paschtunischer Kultur. Dass die Stammesgebiete FATA oft als wild und gesetzlos charakterisiert werden, stört ihn. „Das stimmt nicht! Die Gesetze der Paschtunen sind streng, das soziale Leben ruht auf strikter Einhaltung des jahrhundertealten Verhaltenskodex, Konflikte werden in der Dschirga besprochen, dem Ältestenrat des Stammes.“

Erst der unkontrollierte Fluss von Waffen und Geld in die FATA durch den Krieg in Afghanistan stürzte die Region ins Chaos, sagt Said: „Wir arbeiten hervorragend mit den Stämmen und ihren Laschkars zusammen, den traditionellen Stammesaufgeboten, die Regierung und Armee unterstützen. Unsere Feinde sind diese Taliban-Verbrecher.“

Die Laschkar-Verbände – eine Art freiwillige Stammespolizei auf Zeit – beziehen keinen Sold, ihre Waffen sind Privatbesitz. Jede Familie stellt je nach Größe und Besitz einen bis mehrere Kämpfer. Der Kommandant ist dem Ältestenrat verantwortlich; nach erfolgreicher Mission kehren die Laschkar-Mitglieder heim.

Manchmal freilich verschwimmt die Grenze zwischen Laschkar und Taliban: Berühmte Laschkar-Kommandanten wie Stammesführer Haji Abdul Malik von Adizai in der NWFP unterstützten früher die Taliban, wechselten später aber die Seite, weil sie mit „Kriminellen“ nichts zu tun haben wollten. Nach blutigen Kämpfen vertrieb Malik die Taliban aus seinem Gebiet – doch die Rache ließ nicht lange auf sich warten: Am 8. November 2009 wurde er bei einem Selbstmordanschlag getötet.

Wiederholter Seitenwechsel, Friedensabkommen sowie deren Bruch gehören zur Strategie aller Kämpfenden. Lokale wie internationale Geheimdienste (Militärs und Journalisten nennen hier vor allem die USA, Indien, Russland und Afghanistan) unterstützen je nach Interesse verschiedene Gruppen.

Geflecht wechselnder Allianzen

„Selbst für Einheimische ist es schwer, dieses Geflecht von wechselnden Allianzen zu begreifen“, sagt Kashif Hamid, der Leiter des „Center for Research, Communication and Dialogue“, einer NGO, die sich in den Stammesgebieten für Erziehung und Frauenbildung engagiert. „Wenn man die paschtunische Lebensweise nicht kennt, oder die alten feudalen Machtstrukturen, wird man kaum verstehen, wieso echte und sogenannte Taliban anfangs so erfolgreich waren.“

Er berichtet über einen einträglichen Geschäftszweig: Lokale Banden kidnappen Geschäftsleute gegen Lösegeld. „Der Stammesälteste kassiert oft einen Teil des Geldes, der Löwenanteil geht an korrupte Regierungsbeamte.“ Ohne Bestechung habe man vor Gericht keine Chance, viele Prozesse ziehen sich über den Tod der Streitparteien hinaus. „Die Taliban versprachen den Menschen Gerechtigkeit im Rahmen der Scharia – am Anfang funktionierte das auch. Sozial Schwächere waren begeistert.“ Viele Großgrundbesitzer halten ihre Pächter in einer Art Leibeigenschaft, ärmere Familien sind froh, wenn sie ihre Kinder durchbringen.

„Taliban übten vor allem auf Jugendliche aus armen Familien große Faszination aus“, sagt Kashif: „Stell dir vor, du bist Nr. 6 von acht Kindern, arbeitslos, hast keinen Schulabschluss und niemand nimmt dich ernst – da kommen Besucher in dein Dorf, unter ihnen gefeierte Afghanistan-Veteranen und ein rhetorisch brillanter Prediger. Sie laden dich in ihren Kreis, hören dir zu, drücken dir schließlich eine Kalaschnikow in die Hand, dazu ein Handy, und zahlen dir Gehalt – auf einmal bist du jemand. Ein respektiertes Mitglied einer gefürchteten Gruppe von Kämpfern. Diese neue Macht haben viele nicht verkraftet.“ Kashif seufzt. „Wenn sich Regierung und Dschirgas nicht schnell auf grundlegende Reformen einigen, gibt es in zwei bis drei Jahren den nächsten Aufstand.“

Zu Beginn hießen die Paschtunen die Taliban willkommen und bauten Moscheen für die zunächst waffenlosen Prediger. Mit Waffen, Geld und Einfluss ausgestattet, zeigten dann viele Taliban – unter ihnen Kämpfer aus Usbekistan, Tadschikistan, Arabien, Afrika – ihr wahres Gesicht: Mitte 2009 verfügten sie im Nordwesten Pakistans über eine komplette Parallelstruktur zur Regierung, in ihrer Willkürherrschaft unterschieden sie sich nicht von Feudalherren. Schulen und Spitäler wurden gesprengt, Frauen außer Haus nur in Ganzkörper-Burka geduldet, Musik und Tanz verboten, Sufi-Schreine und Gräber entweiht.

Unislamisches Taliban-Verhalten

Stammesälteste, die sich den Taliban nicht beugten, wurden geköpft, Gegner bestialisch ermordet, es kam zu Schutzgeldzahlungen, Folter, Vergewaltigungen und Plünderungen. Diese Grausamkeit kostete Sympathien; ehemalige Befürworter wandten sich ab, schwiegen aber aus Angst.

Die allgemeine Empörung machte selbst vor den Namensvettern in Afghanistan nicht Halt. Anfang November 2009 distanzierte man sich dort vom „unislamischen Verhalten“ der Taliban in Pakistan. Kritische Kollegen wehrten sich sogar gegen die Bezeichnung Taliban, zu sehr sei dieser Name wegen der Vorgänge in Pakistan in Misskredit geraten; man schlug den ehemals verbündeten Brüdern angeblich sogar die Bitte um Waffenhilfe gegen die pakistanische Armee ab. Auch bei militanten Organisationen im eigenen Land fielen die pakistanischen Taliban in Ungnade. Bakht Zamin Khan, studierter Jurist, ist Kommandant der Al Badr-Mudschahidin in der Nordwestprovinz, die sich neben Flüchtlings- oder Katastrophenhilfe im Freiheitskampf im indisch besetzten Teil Kaschmirs engagieren und ab und zu in Afghanistan gegen US- und NATO-Truppen aktiv sind.

Fragen über die pakistanischen Taliban sind ihm unangenehm, kämpfte er doch lange Jahre als Mudschahid gegen die Sowjets in Afghanistan. „Das Programm der Tehrik-i-Taliban in Pakistan ist inhuman und richtet sich gegen das Land“, ringt er sich ab. „Abschlachten von Menschen, Auftragsmorde gegen Bezahlung und Kidnappen gegen Lösegeld haben mit wahrem Dschihad nichts zu tun.“

Dann folgt eine Loyalitätserklärung an Pakistan: „Wir würden nie gegen pakistanische Soldaten kämpfen, wir lieben unser Land! Unser Dschihad hilft anderen Muslimen in Not.“ Was US-General McChrystal über Afghanistan sagt, gilt eben auch für Pakistan: „Am Ende eines jeden Konflikts muss eine politische Lösung stehen.“

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