Afghanistan - © Foto: Pixabay

Afghanistans langer Weg

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Afghanistan könnte Obamas Vietnam werden, warnen jene, die dem Frieden am Hindukusch keine Chance geben. Im Unterschied zu Vietnam ist diesmal aber die NATO mit dabei.

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Afghanistan könnte Obamas Vietnam werden, warnen jene, die dem Frieden am Hindukusch keine Chance geben. Im Unterschied zu Vietnam ist diesmal aber die NATO mit dabei.

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Kader Wadan bereut nicht, dass er nach 35 Jahren in Deutschland in sein Heimatland Afghanistan zurückgekehrt ist. "Es war mein Lebensziel, hier zu helfen. Deswegen habe ich auch Medizin studiert. Aber dann war immer Krieg", sagt der Deutsch-Afghane, der vor neun Monaten in die Hauptstadt Kabul zurückkam. In München war der Mediziner in der Hirnforschung tätig, nun soll er als hochrangiger Regierungsberater das Bildungssystem in Afghanistan in Gang bringen.

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Die Gewalt in seinem Heimatland, die Anschläge und Entführungen schrecken Wadan nicht ab. "Ich habe keine Angst vor den Taliban, vor ihnen kann man sich ohnehin nicht verstecken", sagt er. "Außerdem ist es hier wahrscheinlich gefährlicher als auf der Straße." Der Berater ist zu Fuß ins Luxushotel Serena gekommen. Im Jänner 2008 starben hier mehrere Ausländer bei einem Anschlag. Inzwischen schützt sich das beste Haus der Stadt mit dicken Mauern und einer Schleuse aus vier Meter hohen Stahltoren.

2 Kabuls: 1 für Afghanen, 1 für NATO

Draußen drängen sich Autos und alte Busse mit mühevoll nachgemalten Werbe-Aufdrucken ihrer früheren deutschen Besitzer durch die Straßen. Fliegende Händler werben um Kunden für alle möglichen Waren, ein Stück weiter liegt in eine blaue Burka gehüllt eine Frau bettelnd am Straßenrand. Das ist das normale, laute und quirlige Kabul. Jenseits der zahlreichen Checkpoints jedoch fängt das hoch gesicherte Kabul der NATO-Truppe ISAF an, das Territorium der zu Festungen aufgerüsteten Regierungsgebäude und Botschaften.

Viele Afghanen glauben nicht, dass es den internationalen Truppen in ihrem Land tatsächlich um eine Stabilisierung am Hindukusch gehe. Sie sind vielmehr überzeugt, dass sich die NATO einen wichtigen Vorposten an der Grenze zum Iran erhalten wolle und daher kein Interesse an einer Stabilisierung Afghanistans habe.

Ortswechsel, aber kein Szenenwechsel. Auch im NATO-Hauptquartier am Stadtrand von Brüssel gelten erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Mehr als 150 Demonstranten wurden erst kürzlich bei einer Protestveranstaltung vor der Zentrale des Militärbündnisses verhaftet. Beim NATO-Geburtstagstreffen im deutschen Baden-Baden und Kehl sowie im französischen Straßburg sollen rund 15.000 Polizisten die Jubiläumsfeiern sichern. Mit bis zu 25.000 Aktivisten wird gerechnet, die "bunt und laut gegen völkerrechtswidrige und von Wirtschaftsinteressen geleitete Kriege" der NATO protestieren. Vorsorglich wurde in Straßburg ein Friedensfahnenverbot verhängt. Von ihrer Forderung lassen sich die Friedensaktivisten dadurch nicht abbringen. Ihre Devise bleibt: NATO raus aus Afghanistan!

Im NATO-Hauptquartier wird gerade das genaue Gegenteil davon beschlossen. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer stimmt dieser Tage das Bündnis auf einen langen Einsatz am Hindukusch ein. Wie lange, das kann und will niemand der NATO-Strategen sagen.

Aus den Kosovo-Fehlern lernen

Doch der Vergleich mit dem Kosovo wird gezogen. Am 24. März 1999 hat die NATO mit Luftangriffen gegen serbische Stellungen den Kosovokrieg begonnen. Zehn Jahre später zeigen sich die, die damals schon dabei waren, "tief enttäuscht" bis hin zu "desillusioniert". Und das nach der Euphorie, die zu Kriegsende im Juni 1999 geherrscht hat. "Wir haben den Konflikt nicht beendet, wir haben ihn nur eingefroren - das war ein großer Fehler", sagt ein hochrangiger NATO-Mitarbeiter, der nicht mit Namen genannt werden will. Aus den Kosovo-Fehlern habe man gelernt. Keine halbe Sache mehr, lautet die Devise. In Afghanistan soll sie bis zum guten Ende durchexerziert werden.

Viele Afghanen glauben allerdings gar nicht, dass es den internationalen Truppen in ihrem Land tatsächlich um eine Stabilisierung am Hindukusch gehe, sagt der heimgekehrte Arzt Kader Wadan. "Viele bezweifeln, dass es mit Demokratie und Menschenrechten zu tun hat, was in Bagram und Kandahar geschieht", spielt Wadan auf Folterberichte aus den Militärstützpunkten an. Etliche Afghanen sind vielmehr überzeugt, dass sich die NATO einen wichtigen Vorposten an der Grenze zum Iran erhalten wolle und daher kein Interesse an einer Stabilisierung Afghanistans habe. In dieser verfahrenen Lage hält Wadan einen grundlegenden Neuanfang für nötig. "Man bräuchte eine ehrliche Versöhnung auf allen Ebenen", fordert er. "Die Geschichte lehrt den Weg: Es ist noch nie so gewesen, dass mit Gewalt Friede erzwungen wurde." Trotz aller Probleme dürfe man das Land aber nicht aufgeben. "Afghanistan ist auf dem Weg der Besserung. Jetzt sollte man die Infusion nicht abstellen", wirbt er um mehr Ausdauer des Westens. Für seine persönliche Sicherheit hält der Berater vor allem Abstand zu Polizisten. Wadan: "Sie sind derzeit an den meisten Entführungsfällen in irgendeiner Art beteiligt. Die Polizei ist sehr korrupt."

Unterstützung an Heimatfront bröckelt

Afghanische Sicherheitskräfte auszubilden, ist eine Kernaufgabe der NATO, um die Sicherungsaufgaben so schnell wie möglich an Afghanen abzugeben. Denn die Unterstützung an der Heimatfront bröckelt. In Zinksärgen heimkehrende Soldaten lassen die Umfragewerte für den Krieg in Europa in den Keller sausen. Aber noch eine Befürchtung treibt die Militärplaner in Brüssel um. Die Finanz- und Wirtschaftskrise reißt große Löcher in die Militärbudgets. Wie lange werden dann noch vor allem die osteuropäischen NATO-Mitgliedsstaaten ihr Engagement in Afghanistan rechtfertigen können, wenn zuhause das Geld an allen Ecken und Enden abgeht? Für die Wahlen am 20. August ist noch einmal eine Verstärkung der Truppen zugesagt - aber dann droht der Rückzug. Die Polen machen bereits den Anfang.

Umso wichtiger ist für die NATO die Zusage von weiteren Truppen, die Präsident Obama im Rahmen seiner neuen Afghanistan-Strategie in das Krisengebiet schicken will. Iran, der neue Verbündete bei der Befriedung Afghanistans, sieht das anders: "Eine Erhöhung der Zahl ausländischer Truppen wird sich als uneffektiv erweisen", sagt der iranische Vize-Außenminister Mohammed Mehdi Achundsadeh. "Ausländische Soldaten haben Afghanistan keine Stabilität gebracht." Inländische aber auch nicht. Trotzdem führe kein Weg an Verhandlungen mit den Taliban vorbei, sagt Kadar Wadan: "Wir müssen sie von der bewaffneten in die politische Opposition bringen." Mit der Obama-Unterscheidung in gemäßigte und gewaltbereite Taliban kann er allerdings nichts anfangen. "Es gibt keine gemäßigten Taliban. Das sind Leute, die unzufrieden sind. Mit denen muss man reden."

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